Jörg Spaniol
· 18.11.2021
Langlebigkeit ist der Schlüssel zu Nachhaltigkeit. Für Hersteller ist sie wirtschaftlich, aber nicht attraktiv. Trotzdem gibt es immer mehr Positiv-Beispiele.
Man kennt das: Exakt nach Ablauf der Gewährleistung haucht der Akku-Schrauber sein Leben mit einer stinkenden Rauchwolke aus. Nimmt man dann die Mühe auf sich und bringt das Teil zurück zum Baumarkt, staunt man nicht selten Bauklötze: dann nämlich, wenn die Reparaturrechnung über dem Anschaffungspreis liegen soll. Gut, dann kann man ja gleich einen neuen Akku-Schrauber kaufen. Und genau damit kalkulieren Hersteller. Im Fachjargon heißt das „geplante Obsoleszenz“. Damit ist eine Marketing-strategie gemeint, bei der das (schnelle) Veralten eines Produktes vom Hersteller geplant und konzeptionell vorgesehen ist. Viele Hersteller aus unterschiedlichen Branchen arbeiten nach diesem Prinzip. Sie könnten langlebige Produkte bauen, wollen das zum Zwecke der Umsatzgenerierung aber explizit vermeiden.
Glücklicherweise gibt es immer mehr Firmen, die umdenken und sich von diesem Prinzip der Konsumspirale abwenden. Auch in der Radbranche werben Hersteller zunehmend mit der Langlebigkeit ihrer Produkte – sei es über extralange Garantieversprechen, Ersatzteilversorgung, Produkt-Upgrades oder Reparatur-Services. Die Radsport- und Outdoor-Marken Triple2, Patagonia, Löffler, Vaude, Gore Bikewear und Assos zum Beispiel reparieren über den Handel eingesandte Funktionskleidung aus ihrem Sortiment. Fahrradtaschen-Spezialist Ortlieb gibt nicht nur fünf Jahre Garantie auf Material und Verarbeitung, sondern verspricht auch die Ersatzteilversorgung für mindestens zehn Jahre. Außerdem kann man bei den Heilsbronnern, wo technisch möglich, ein Upgrade auf neuere technische Details – wie etwa Haltesysteme – bekommen.
Auf Langlebigkeit und Wertbeständigkeit setzt auch der Pedelec-Hersteller Coboc, bekannt aus dem City-, Trekking- und Commuter-Bereich. Die Heidelberger wollen mit einer neuen Baureihe die Akku-Lebensdauer verlängern: Hauseigene Akku-Packs, die einen bestimmten Teil ihrer Kapazität eingebüßt haben, sollen analysiert, gegebenenfalls repariert und in einem zweiten Lebenszyklus in ein entsprechend günstigeres Coboc eingebaut werden. In einem dritten Lebenszyklus, bei etwa 70 Prozent Restkapazität, ist der Einbau in eine große, mobile Powerbank vorgesehen.
Das Thema Nachhaltigkeit schon länger auf die Fahnen geschrieben hat sich Reifenhersteller Schwalbe. Im Laufe vieler Jahre hat die Ralf Bohle GmbH ihr Rücknahmesystem für kaputte Fahrradschläuche optimiert. Mittlerweile wird das Grundmaterial Butyl in einem eigenen Verfahren in der Schwalbe-Fabrik in Indonesien de-vulkanisiert. Sechs Millionen alte Butylschläuche hat Schwalbe bisher wiederverwertet. 20 Prozent eines Schwalbe-Schlauches sollen aktuell aus Recyklat bestehen. Der Energieverbrauch bei Recycling-Butyl liegt um 80 Prozent niedriger als bei neuem Butyl aus Erdöl. Sechs Millionen Schläuche, das sind 600 Tonnen Material. Kosten spart der Hersteller laut Sebastian Bogdahn, Nachhaltigkeitsbeauftragter bei Schwalbe, damit keine. Aber der Nutzen geht dennoch über den reinen Öko-Ansatz hinaus: „Wir machen uns damit unabhängiger vom Erdöl – das hat also auch einen strategischen Aspekt für uns.“
... fallen Späne, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Bestandteile von Schmierstoffen, Reifen und Bremsbelägen bleiben unvermeidlich in der Natur zurück. Fachleute nennen das „umweltoffene Anwendung“. Vor allem ambitionierte Mountainbiker fahren verschleißintensiv. Man kann von etwa 200 Gramm Gummiabrieb, 10–20 Gramm Bremsbelägen und etwa 80 Gramm Schmierstoffen pro Kopf und Saison ausgehen. Beim Autoverkehr verursacht der Abrieb von Reifen und Bremsbelägen mehr gesundheits- und naturbelastenden Feinstaub als Dieselmotoren. Der Reifenabrieb des deutschen Autoverkehrs wird auf 120.000 Tonnen jährlich geschätzt. Fahrräder addieren eine eher homöopathische Menge dazu, doch auch ihre Schadstoffe (wie Blei, Zink, Cadmium, Weichmacher) reichern sich in der Umwelt an. Wenigstens beim Schmierstoff gibt es biologisch abbaubare Alternativen. So bietet der Schmierstoffhersteller Danico seit zehn Jahren ein Kettenöl auf Sonnenblumenölbasis an, das als „nicht gewässergefährdend“ eingestuft wird. In verschiedenen Praxis- und Labortests überzeugte auch die Schmierwirkung.
Kommentar von Jörg Spaniol
Wenn die Mehrheit aller Verbraucher in einer Umfrage Nachhaltigkeit „wichtig“ oder „sehr wichtig“ findet – wäre es dann nicht sinnvoll, mit einem Öko-Label für Fahrräder eine Kaufempfehlung zu geben? So, wie man Kühlschränke anhand ihres Energieeffizienz-Labels miteinander vergleichen kann? Der Rad-Blogger Martin Moschek (www.biketour-global.de) hat so ein Label angeregt. Eine schöne Idee. Aber keine gute. Schon kann man kaum einschätzen, welches der vielen Etiketten auf der Fischdose oder Radsocke mehr ist als ein Werbe-Fake. Bestes und prominentestes Beispiel mal wieder: die Automobilbranche. Dort soll ein CO2-Label Aufschluss über die Energieeffizienz geben. Das ist aber so angelegt, dass ein knapp drei Tonnen schwerer SUV grüner dastehen kann als ein Klein-wagen – auch wenn er doppelt so viel Sprit verbraucht. Der lobby-getriebenen Autoindustrie kommt das sehr entgegen. Die US-Autorin Naomi Klein („No Logo“) glaubt deshalb nicht, dass sich mehr Nachhaltigkeit durch die bewussten Kaufentscheidungen mündiger und informierter Konsumenten erreichen lässt, wenn die Hersteller mit Nebelkerzen um sich werfen: „Wir werden das Problem nicht im Einkaufszentrum lösen. Wir brauchen politische Antworten.“, sagt sie. Anders ausgedrückt: Wenn es uns ernst ist mit der Nachhaltigkeit, müssen wir wohl akzeptieren oder gar fordern, dass die Gesetzgebung einschreitet. Die schäd-lichsten Dinge, die größten Öko-Frevel müssen verboten werden oder wirtschaftlich abschrecken – auch wenn das nächste Auto dann kein SUV und das nächs-te Rad nicht aus Carbon ist.
„Wenn eine Öko-Winzigkeit gnadenlos überbetont wird.“
INTERVIEW mit Kathrin Hartmann
MYBIKE: Können Sie in wenigen Worten erklären, was Greenwashing ist – und was daran denn schlimm sein soll?
Greenwashing ist eine Unternehmensstrategie. Vor allem Firmen mit keineswegs nachhaltigem Ansatz stellen sich mit einzelnen Projekten oder Produkten als umwelt- und sozialverträglich dar. Sie verdecken damit ihr schädliches Kerngeschäft. Damit täuschen sie die Konsumenten und signalisieren vor allem der Politik, dass alles okay ist und nicht reguliert werden muss. Dabei kann man ja mühelos sehen, dass diese Freiwilligkeit uns bisher nicht weit gebracht hat.
Ist doch besser, ein Reifenhersteller produziert 0,5 Prozent seiner Reifen mit biologisch angebauter Löwenzahnmilch, als dass er Umweltthe-men komplett verdrängt, oder?
Wenn es nicht darauf hinausläuft, dass ein schädlicher Rohstoff durch einen anderen schädlichen ersetzt wird – wie etwa beim Bio-Sprit –, schadet es erst mal nicht. Wenn diese Öko-Winzigkeit aber gnadenlos überbetont wird, ist es klassisches Greenwashing. Und auf Käuferseite ist es natürlich lächerlich, wenn je-mand sein Rad mit dem fetten Auto in die Berge fährt und dann glaubt, seine „grünen“ Fahrradreifen würden den Ausflug umweltverträglich machen.
Wem schadet es denn, wenn Besserverdiener das Label „Nachhaltigkeit“ als Distinktionsmerkmal oder als Seelentröster gegen das schlechte Gewissen nutzen?
Eigentlich fängt es schon mit dem Paradoxon an, dass Wohlhabende zwar das größte Umweltbewusstsein haben, aber zugleich durch größeren Wohnraum, größere Autos, mehr Konsum und mehr Fernreisen auch überdurchschnittlich der Umwelt schaden. Auf der individuellen Ebene ist der Öko-Konsum damit eine Art Ablasshandel. Gesellschaftlich führt der „nachhaltige“ Konsum aber dazu, dass dieses überlebenswichtige Thema zu einer Art Hobby und zu einer Frage des Geldbeutels umgedeutet wird. Das entpolitisiert die Probleme. Sie müssen aber politisch gelöst werden.
"Man kann mühelos sehen, dass die Freiwilligkeit uns bisher nicht weit gebracht hat."