Nachhaltigkeit und RadfahrenReifen-Recycling by Schwalbe

Sissi Pärsch

 · 23.04.2023

Schwalbe ist Vorreiter in Sachen Reifen-Recycling
Foto: Ralf Bohle GmbH

Der Kreislaufgedanke rückt ins Zentrum einer zukunftsfähigen Wirtschaft. Dafür setzt der Reifenspezialist Schwalbe einen Reifen-Recycling-Prozess in Gang.

Jetzt, wo zur Dringlichkeit des Klimaschutzes die Dringlichkeit der geopolitischen Auswirkungen hinzukommt, gilt Ressourceneffizienz als brennendes Thema unserer Zeit. Was allerdings wortwörtlich brennt, ist ein Großteil der 650.000 Tonnen Altreifen, die im Jahr allein in Deutschland anfallen. Während das Interesse an der Kreislaufwirtschaft langsam an Fahrt aufnimmt, arbeitet der Kölner Fahrradreifenspezialist Schwalbe bereits seit Jahren an einem zirkulären Geschäftsmodell. 2015 führte die Marke einen Reifen-Recycling-Prozess mit hundertprozentiger Wiederverwertbarkeit für Schläuche ein – heute besteht jeder Standard-Schwalbe-Schlauch zu 20 Prozent aus recyceltem Kautschuk.

Im Vergleich zum Schlauch allerdings gestaltet sich das Zerlegen und Wiederaufbereiten eines Reifens mit all seinen unterschiedlichen Bestandteilen deutlich komplexer und aufwendiger. Schwalbe lancierte in den 90ern ein Downcycling-Verfahren und arbeitete die Altreifen zu Gummimatten für den Handel um. Verbrannt wurden die Reifen somit zwar nicht, aber ein Materialkreislauf schien noch in weiter Ferne.

Die Antreiber

Deshalb suchte die Marke auch regelmäßig den Kontakt zur Technischen Hochschule Köln. Die entwickelt in ihrem :metabolon Institut (auf dem Areal einer ehemaligen Mülldeponie) Konzepte für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft. Auf Anregung seines Professors kam 2019 schließlich Sebastian Bogdahn – selbst passionierter Radfahrer – auf Schwalbe zu, auf der Suche nach einem Kooperationspartner für seine Masterarbeit zum Thema Fahrradreifen-Recycling. Der Topf findet seinen Deckel.

In seiner Arbeit entwickelte Bogdahn eine gesamtheitliche Prozesskette – in der Theorie. „Aber unser Ziel und Anspruch war es stets, diese auch umzusetzen. Was man im Labor erarbeitet und auf Papier skizziert, muss keineswegs in der Praxis gelingen. Aber es zeichnete sich recht schnell ab, dass die Erfolgschancen vorhanden sind – und vor allem, dass alle Beteiligten den Willen und Ehrgeiz haben, dass es gelingt.“

Bei 650.000 Tonnen Altreifen, die im Jahr allein in Deutschland anfallen, ist der Bedarf an Reifen-Recycling hoch.Foto: Ralf Bohle GmbH
Bei 650.000 Tonnen Altreifen, die im Jahr allein in Deutschland anfallen, ist der Bedarf an Reifen-Recycling hoch.

Die intensive Zusammenarbeit resultierte zum einen darin, dass der 34-Jährige inzwischen fest bei Schwalbe angestellt ist. Als Recycling Manager ist er Teil des vierköpfigen Corporate Social Responsibility Teams, das von Schwalbe-Gründerenkel Felix Jahn angeführt wird. Zum anderen startete Schwalbe 2022 tatsächlich als erster Fahrradreifenhersteller weltweit ein Recycling-System für Reifen.

Die Umwandler

Zu den wichtigen Rädern in dem Prozess zählt neben der TH Köln vor allem Pyrum Innovations. Das saarländische Unternehmen kann eine Entstehungsgeschichte aus dem Start-up-Bilderbuch vorweisen. 2007 beschlossen vier Freunde in einer 9-m2-Gartenlaube in Dillingen, ein Unternehmen aufzubauen, das durch Pyrolyse Gummi- und Kunststoffabfälle thermisch zerlegt: ein Verfahren, das ohne Sauerstoff auskommt. Es entsteht also keine Verbrennung, und somit gibt es auch keine Emissionen oder Gerüche. Versucht hatten das zuvor einige, geschafft noch niemand. Die Saarländer hatten mit ihrem patentierten Verfahren Erfolg.

„Als ich vor dreieinhalb Jahren auf sie zuging, befanden sie sich noch in einer fortgeschrittenen Start-up Phase“, erzählt Bogdahn. Seit gut einem Jahr ist Pyrum börsennotiert, und CEO und Co-Gründer Pascal Klein wird 2022 von der Zeitschrift Capital als „Top 40 under 40“ geführt. In den von Pyrum entwickelten und gebauten Anlagen werden die Altreifen zunächst geschreddert und in drei Bestandteile sortiert: Stahl, Textilfasern und Gummigranulat. Letzteres zerfällt im Pyrolyse-Verfahren zu Dampf und Koks. Der Dampf kondensiert zu hochwertigem Öl, das von BASF abgenommen wird und als Rohöl-Ersatz Einsatz findet – u.a. in Jacken von Vaude oder Türgriffen von Mercedes. Das im Prozess entstandene Gas speist die Anlage, die somit komplett energieautark läuft. Und der gewonnene Ruß, im Fachjargon Recovered Carbon Black (rCB), findet bei Schwalbe in der Neureifenproduktion seinen Einsatz.

Das saarländische Unternehmen Pyrum schreddert 1t Altreifen zu 750 kg Gummigranulat, 100 kg Textilfasern und 150 kg Stahl.Foto: Ralf Bohle GmbH
Das saarländische Unternehmen Pyrum schreddert 1t Altreifen zu 750 kg Gummigranulat, 100 kg Textilfasern und 150 kg Stahl.

Die Sammler

Aber auch die logistische Umsetzung des Kreislaufes stellte Schwalbe vor Herausforderungen. Es galt, ein Rücknahmesystem auszuarbeiten, das die Altreifen vom Fachhandel zu Pyrum bringt, und auch die Händler mit an Bord zu nehmen. Zum Start des Projekts Mitte 2022 waren es 50 Rad-Shops – zu Beginn des Jahres 2023 bereits über 1300. Abgeben kann man übrigens Reifen jeglicher Marke. Ein Einzelhändler aus Freising hält den Reifenrückgaberekord – und das wohl noch über viele Jahre: Ingo Ruhland weigerte sich über 23 Jahre, alte Reifen zu entsorgen. Stattdessen stapelte er sie im Gewölbe seines Rad-Geschäfts, einem ehemaligen Bierkeller. Irgendwann, so war er überzeugt, könne man sie in einem Reifen-Recycling-Prozess zurückführen. 20.000 gesammelte Reifen später, im November 2022, wuchtete er mit seinem fünfköpfigen Team die Reifen in einen Lkw.

„Wir sollten uns in allen Bereichen mehr darum kümmern, solches Material wiederzuverwerten, statt immer nur neue Rohstoffe abzubauen“, meinte er bei der Abholung. In Zukunft landen zurückgegebene Reifen bei Radl Ruhland nicht mehr im Keller, sondern in der eigens angefertigten Schwalbe-Recycling-Box. Ist sie mit 200 Reifen gefüllt, wird sie vom Logistikpartner Emons abgeholt. Auch das Kölner Unternehmen sah sich mit ganz neuen Herausforderungen konfrontiert. „Das Spannende an diesem Projekt war und ist das unbekannte Volumen“, sagt Emons-Niederlassungsleiter Jan Hochlenert-Pottberg. „Niemand konnte bei den ersten Gesprächen genau sagen, was uns erwartet. Aber durch den frühen Kontakt konnten wir maßgeblich beim Logistik-Prozess mitwirken, und so entstand sehr schnell eine außergewöhnlich vertrauensvolle Zusammenarbeit. Jetzt können wir teilweise sogar bei Anlieferung von Fahrrädern beim Händler gleichzeitig die gefüllten Boxen abholen.“

Ingo Ruhland ist zufrieden. Im November 2022 wurde der „Reifenberg“ aus dem Keller seines Fahrradladens endlich abgetragen.Foto: Ralf Bohle GmbH
Ingo Ruhland ist zufrieden. Im November 2022 wurde der „Reifenberg“ aus dem Keller seines Fahrradladens endlich abgetragen.

Vom Masterstudenten bis zum Reifenhersteller, von der Gartenlaube bis zum Bierkeller... der von Schwalbe etablierte Kreislauf zeigt, wie Räder ineinandergreifen und Dinge bewegen können, wenn der Wille und die Verpflichtung zum Thema vorhanden sind.


Interview mit Pascal Klein, CEO von Pyrum Innovations

Pascal Klein: “Politiker und Wirtschaftsbosse haben im Fahrradgeschäft von uns erfahren.”Foto: Ralf Bohle GmbH
Pascal Klein: “Politiker und Wirtschaftsbosse haben im Fahrradgeschäft von uns erfahren.”

MYBIKE: Herr Klein, die Fahrradindustrie ist im Verhältnis doch recht marginal – wieso spielt sie dennoch eine wichtige Rolle für Pyrum Innovations?

Weil es ein sehr schöner Markt ist, mit dem man viele Menschen erreichen kann. Man kann auch gut demonstrieren, dass und wie es funktioniert. Sie glauben gar nicht, wie viele Politiker, Wirtschaftsbosse und Entscheidungsträger sich bei uns gemeldet haben, weil sie Radfahrer sind und im Fahrradgeschäft erstmals von uns erfahren haben. Daraus haben sich unglaublich viele Türen für uns geöffnet. Im „Kleinen“ konnten wir zeigen, dass man den zirkulären Kreis auch wirklich schließen kann.

Sie arbeiten auch an der Pyrolyse von Matratzen, Hausdämmung, Kohlefaserprodukten etc. Warum haben Sie mit Altreifen begonnen?

Weil wir im Altreifenmarkt wirklich kurzfristig eine massive Verbesserung bewirken und komplett „grün“ werden können. Aktuell wird etwa die Hälfte der ca. 650.000 Tonnen Altreifen, die pro Jahr in Deutschland anfallen, in Zementwerken verbrannt. Dabei sind die Fahrradreifen nicht einmal enthalten. Bei ihnen kann man wohl von fast 100 Prozent ausgehen, da sie fast ausschließlich über die Restmülltonne entsorgt werden und so bekanntlich in die Müllverbrennung wandern.

Was passiert eigentlich mit dem Stahl?

Aus dem eingeschmolzenen Stahl entsteht Draht für neue Reifen. Hier haben wir ein hundertprozentiges Recycling.

Abgesehen von der Erforschung und Umsetzung des Verfahrens, wo lagen die großen Herausforderungen für Sie?

Die Technik ist sehr kompliziert, und es haben sich schon etliche Firmen an der Entwicklung einer effizienten Pyrolyse-Anlage die Finger verbrannt und verkalkuliert. Somit gab es stets das Vorurteil: „Na ja, wenn Großkonzerne das nicht geschafft haben, wieso sollten es dann so ein paar Jungspunde aus dem Saarland hinbekommen?“ Wir waren immer auf uns gestellt und wurden erst ernst genommen, als BASF bei uns investiert hat. Nun glaubt man plötzlich an uns.

Wie sehen die Ziele von Pyrum aus?

Langfristig ist der Plan, bis zu 20 Werke in Europa aufzubauen und somit 15-20 Prozent des Altreifenmarktes in Europa zu recyceln.

Politiker und Wirtschaftsbosse haben im Fahrradgeschäft von uns erfahren.

Schwalbes Reifen-Recycling-System - der Prozess

Reifen-Recycling von SchwalbeFoto: Ralf Bohle GmbH
Reifen-Recycling von Schwalbe
  • Die Altreifen werden in vier Stufen zerkleinert und separiert. 1t Altreifen ergibt 150 kg Stahl, 100 kg Textilfasern und 750 kg Gummigranulat.
  • Das Gummigranulat landet bei 700° unter Sauerstoffausschluss im Pyrolyse-Backofen. Daraus entstehen 190 kg Prozessgas, 250 kg Pyrolyseöl und 310 kg Pyrolysekoks (Recovered Carbon Black, rCB).
  • Mit dem Gas wird die Pyrolyseanlage energieautark betrieben.
  • Das Öl findet seinen Einsatz als Rohölersatz und wird von BASF abgenommen.
  • Das rCB wird für die Produktion neuer Reifen verwendet.

Interview mit Sebastian Bogdahn, Recycling & Sustainability Manager bei Schwalbe

Neben seiner Rolle als Recycling & Sustainability Manager bei Schwalbe promoviert er über Pyrolyse als Recycling-Technologie für Gummiprodukte.Foto: Ralf Bohle GmbH
Neben seiner Rolle als Recycling & Sustainability Manager bei Schwalbe promoviert er über Pyrolyse als Recycling-Technologie für Gummiprodukte.

MYBIKE: Sebastian, Schwalbe ist der erste Fahrradreifenhersteller weltweit mit einem Reifen-Recycling-System. Wie sieht es außerhalb der Branche aus?

Unser Projekt hat inzwischen Modellcharakter und wird tatsächlich als Blaupause für Kreislaufwirtschaft in der Reifen- und Gummiindustrie angeführt. Es macht uns schon stolz, dass wir es als kleiner Mittelständler geschafft haben, innerhalb von zwei, drei Jahren ein Vorzeigeprojekt zu etablieren, das jetzt als Anleitung dient.

Die Herausforderung liegt auch darin, eine Qualität des recycelten Rußes zu erreichen, mit dem sich langlebige, leistungsstarke Reifen herstellen lassen. Worin liegen hier die Herausforderungen?

Reifenmischungen werden ja aus Virgin Carbon Black gewonnen, einer schwarzen, kohlenstoffreichen Mischung aus Rohöl und Gas. Die Ruße sind dabei in ihren Charakteristika sehr genau definiert – und das ist bei Recovered Carbon Black nicht der Fall. Es werden verschiedene Reifen von verschiedenen Marken aufbereitet, und entsprechend gibt es eine Varianz in der Qualität. Wir forschen nun daran, einen möglichst gleichbleibenden Output zu haben. Dann können wir die Gummimischung anpassen. Dafür braucht es Analysen, Kontrollen und viel Feintuning.

2023 kommt der erste Schwalbe-Reifen aus 100 Prozent rCB auf den Markt. Wie sehen eure Ziele aus?

Kurzfristig gilt es, die Prozesse weiter zu optimieren und dann, wenn alles läuft, das Programm auch in andere Länder auszurollen. Dafür muss man sowohl rechtliche als auch logistische Themen klären. Und natürlich ist es unser Ziel, ein möglichst breites Spektrum unserer Reifen mit rCB auszustatten – ohne Abstriche in Sachen Qualität und Langlebigkeit zu machen.

Der Fachhandel bezahlt 139 Euro pro abgeholter Box mit 200 Reifen. Gab es auch Kritik an dem Finanzierungsmodell?

Ich hatte tatsächlich damit gerechnet, aber das war so gut wie nicht der Fall. Es war klar, dass sich ein solcher Prozess tragen muss – wir verdienen daran keineswegs. Und die Entsorgung von Reifen kostet stets etwas. Manche Händler verlangen auch einen kleinen Beitrag von ihren Kunden bei der Rückgabe. Auch da scheint keine Kritik zu kommen. Ich denke, das liegt auch daran, dass Radfahrer generell eine Sensibilität und ein Bewusstsein für das Thema haben.


Reifen-Recycling: Das bringt´s

  • Vermeidung von Müll und CO2-Ausstoß bei der Verbrennung
  • Gewinn von Rohöl-Ersatz in einer energieautarken Produktion
  • Gewinn von Recovered Carbon Black für neue Reifen
  • Reduktion von CO2 und fossilen Rohstoffen im Herstellungsverfahren