Jörg Spaniol
· 18.11.2021
Carbon und Akkus sind aus der Fahrradwelt nicht mehr wegzudenken. Dummerweise sind ausgerechnet sie die ökologischen Sorgenkinder. Wie kommt man aus diesem Dilemma heraus?
Die Expertengremien tagen wöchentlich, und sie tun dies seit über einem Jahr. Doch ob die Lösung so schnell wächst wie der Akku-Problemberg, scheint fraglich: Die Europäische Union arbeitet seit 2019 an einer neuen Batterieverordnung. Die gewünschte Elektromobilität zwingt zur Eile, denn der Bedarf an Lithium-Ionen-Akkus wird sich in den nächsten Jahren schnell vervielfachen.
Dass Akkus teuer sind – bis zu 2.000 Euro kostet ein 1.000-Wattstunden-Klotz –, liegt auch an ihren wertvollen Zutaten. Kobalt, Lithium, Nickel und Mangan, aber auch Aluminium und Kupfer stecken im Stromspeicher. Ihre Gewinnung verursacht Umweltschäden und verbraucht viel Energie, und ihre Preise steigen mit der Nachfrage. Schon heute bestimmt das Batteriegesetz, dass Altbatterien zurückgenommen und mindestens zur Hälfte recycelt werden müssen, doch diese Quote bezieht sich nur auf die reine Masse. Solange die Preise niedrig genug sind, werden deshalb nur die leicht zu gewinnenden Materialien wie Aluminium recycelt. Künftig wird es darum gehen, auch die problematischen Stoffe zu recyceln – mit immer strengeren Vorgaben: Kobalt, Nickel und Kupfer sollen in einigen Jahren zu 95 Prozent wiedergewonnen werden, Lithium zu 70 Prozent. Virginijus Sinkevičius, der EU-Umweltkommissar, griff noch tiefer in die Nachhaltigkeitskiste und verkündete das Ziel, alle Rohmaterialien sozial und ökologisch verantwortlich zu gewinnen und zur Herstellung saubere Energie einzusetzen.
Doch voraussichtlich werden die Pedelec-Akkus so weitreichenden Vorschriften durch ein Hintertürchen entkommen: Stromspeicher mit weniger als zwei Kilowattstunden sind von diesen Quoten ausgenommen. Ein normaler Pedelec-Akku hat nur ein Viertel davon (und auch die zunehmend als Lithium-Akku ausgelegten Starterbatterien für Pkws sind kleiner …). Natürlich gilt weiterhin die bisherige Recycling-Pflicht und die Rücknahme durch die Händler. Doch mehr Nachhaltigkeit sieht anders aus.
"Aus Umweltsicht plädieren wir auch ganz klar dafür, einzelne Akku-Zellen zerstörungsfrei austauschbar zu machen, statt alles untrennbar zu verkleben."
Das Umweltbundesamt, das auch politische Entscheider berät, hätte sich mehr vorstellen können. Falk Petrikowski, in dessen Abteilung die Batteriethemen fallen, äußert zwei Ideen, die auch ohne die erhöhten Recycling-Quoten die Ökobilanz verbessern könnten. Es geht um die reparaturfreundliche Konstruktion der Akkus: „Aus Umweltsicht plädieren wir auch ganz klar dafür, einzelne Akku- Zellen zerstörungsfrei austauschbar zu machen, statt alles untrennbar zu verkleben.“ Petrikowski gibt zu, die Hersteller könnten mit einer gewissen Berechtigung argumentieren, dass Vorgaben dieser Art die Innovationsmöglichkeiten einschränken würden – unsere Handys wären beispielsweise mit dieser Vorgabe wohl nicht so leicht und flach geworden, wie sie es heute sind. „Letztlich bleibt es aber eine politische Abwägung, welchem Bedürfnis man den Vorrang einräumen möchte.“
Dass Carbon unsere Fahrräder leichter machen kann, ist so weit klar. Dass seine Herstellung im Vergleich zu Metallen sehr viel energieaufwendiger ist, haben wir in Teil 1 unserer Serie (MYBIKE 5/2021) dargestellt. Die deutlich bessere Energiebilanz der Metalle liegt auch an deren guter Recycling-Quote: Angeblich sind 75 Prozent des jemals hergestellten Aluminiums noch heute im Gebrauch. Bei entsprechender Sortierung wird es zu über 90 Prozent wiederverwertet und spart dabei 95 Prozent der Energie, die es als „neuer“ Rohstoff benötigt.
Carbon hingegen ist Sondermüll – mit großen Problemen: Faserteilchen stehen im Verdacht, Gesundheitsschäden zu verursachen. Verbrennen lassen sich die Kohlefasern auch praktisch nicht, da keine Müllverbrennungsanlage die nötigen Temperaturen von weit über 1.000 Grad erreicht. Und einfaches Deponieren ist verboten.
Was wir im Radbereich als Carbon bezeichnen, ist nicht die bloße Kohlenstofffaser, sondern ein Verbundstoff aus mehreren Bestandteilen. Das Wertvollste daran sind die Fasern aus reinem Kohlenstoff. Sie widersetzen sich dem Recycling gleich aus mehreren Gründen: Die Fasern sind bei Leichtbauteilen in einer Matrix aus nicht schmelzbaren Kunststoffen fixiert. Diese Kunstharz-Matrix muss beim Recycling derzeit unter enormem Energieaufwand und sehr kontrollierten Bedingungen sozusagen verdampft werden, um die puren Fasern zu gewinnen. Diese Fasern sind aber viel kürzer, als sie für hochwertige Produkte nötig wären, denn Carbon-rahmen entstehen aus teils winzigen, zusammenlaminierten Schnipseln. Zudem ist reiner Kohlenstoff nicht einschmelzbar. Aus einer kurzen Faser wird nie wieder eine lange. Über 3.000 Tonnen kohlenstoffverstärkter Kunststoff fallen derzeit in Deutschland pro Jahr an – mit stark steigender Tendenz. Wohin also mit dem wachsenden Problemmüllberg? Rotwild-Konstrukteur Lutz Scheffer vertraut auch hier auf die Innovationskraft: „Allein aus den Windkraftanlagen der ersten Generation kommen aktuell Tausende Tonnen Rotorblätter auf uns zu, da entsteht ein enormer Handlungsdruck. Deswegen werden sich die Verfahren zum Carbon-Recycling schnell verbessern.“
Dohrmann ist ein Ur-Gestein der Radbranche. Die Entwicklung von Stahl über Alu hin zu Carbon begleitete er von Anbeginn. Bei Stevens leitet er die Bereiche Strategie, Produkt und Marketing.
„CARBON IST VIEL DAUERFESTER ALS ANFANGS BEFÜRCHTET UND DESHALB MEIST NOCH IN GEBRAUCH.“
MYBIKE: Stevens hat schon 2010 damit angefangen, nicht mehr nutzbare CFK-Teile und Rahmen ins Recycling zu geben. Wie kam es dazu?
Wir haben in Hamburg in relativer Nähe, in Stade, einen Luftfahrt-Campus. Dort sind die entsprechenden Firmen dicht am Thema. Da man Carbonschrott nicht im Hausmüll entsorgen kann, haben wir diesen Weg beschritten. Wir geben unseren Händlern die Möglichkeit, ihren Carbonschrott an uns zurückzugeben
Wie viel Carbonschrott fällt da an?
Bislang sicher unter fünf Prozent dessen, was unser Haus verlässt. Carbon ist doch viel dauerfester als anfangs befürchtet und deshalb meistens noch im Gebrauch. Und es kommt nicht alles zu uns zurück. Das sind vor allem zerstörte Rahmen, wo es um Unfälle, Crash Replacement oder Garantie ging.
Ist Alt-Carbon ein gefragter Rohstoff?
Nicht wirklich. Ich denke, das läuft kostenmäßig für uns auf null raus. Die Firma zerlegt mit diversen Tricks das Laminat und kann die Carbon-reste als Rohstoff wieder verkaufen. Aber eben nicht für hochwertige Anwendungen, sondern nur für technisch schwächere Produkte.
Aktuelle Topbikes sind leicht, komfortabel und schön – aber schwer zu reparieren und damit kurzlebig. Lutz Scheffer entwickelt seit über 25 Jahren High-End-Fahrräder. Er sieht den technischen Fortschritt positiv.
„ES GEHT NICHT UM FRÜHER UND HEUTE, SONDERN UM GUT UND SCHLECHT.“
MYBIKE: Vor 20 Jahren konnte man sein Fahrrad noch problemlos selbst zusammenschrauben. Heutige High-End-Räder sind fast so kompliziert wie ein Auto. Wer soll das reparieren?
Natürlich wird die Reparatur mit wachsender Integration für den Endkunden schwieriger. Aber es wachsen ja nicht nur die Probleme, sondern auch die Lösungen nehmen zu! Wenn mein Radhändler keinen Sechsfach-Kranz für mein 30 Jahre altes Rad mehr liefern kann, bestelle ich den irgendwo im Internet. Und wenn die Reparatur etwa durch innen verlegte Züge schwieriger geworden ist, finde ich definitiv ein Online-Video, in dem ich die Lösung gezeigt bekomme.
Ist die Technik eines modernen E-Bikes nicht automatisch defektanfälliger als die gute alte Mechanik?
Man muss sich um jedes Rad kümmern, nichts hält ewig. Aber klar: Ein E-MTB hat etwa durch die hohen Kräfte viel Verschleiß an den Antriebskomponenten. Auf der anderen Seite entwickeln sich aber auch Dinge wie die Funkschaltungen, die mir den ganzen Ärger mit den Schaltzügen ersparen. Und oft sind es winzige Details, die ein gutes Rad reparierbar machen: keine zerbröselnden Kunststoffsteckteile, hochwertige Schrauben, präzise Verbindungen. Es geht nicht um Früher und Heute, sondern um Gut oder Schlecht.