Zweites Leben fürs Fahrrad

Jochen Donner

 · 19.11.2021

Zweites Leben fürs FahrradFoto: Daniel Simon
Zweites Leben fürs Fahrrad

In Zeiten leer gekaufter Bikeshops und stockender Lieferketten ist ein gebrauchtes Fahrrad eine attraktive Lösung, nicht nur für Sparfüchse. MYBIKE-Tipps für Käufer und Verkäufer.

Verrückte Zeiten: Das Fahrrad boomt wie selten zuvor, doch Fahrradläden und -hersteller sind ausverkauft, hoffen händeringend auf Nachschub. Weltweit sind fein austarierte Lieferketten durcheinander, Teile-Knappheit macht eine geord­nete Versorgung der pandemiebedingt zusätzlich gewachsenen Nachfrage unmöglich. Da sieht sich manch ein Kunde nach Alternativen um: Auch gebraucht macht das Investitionsgut Fahrrad noch etwas her. Hat es im „ersten Leben“ respektvollen Umgang und gute Pflege genossen, ist es ohne Weiteres bereit für ein oder mehrere „nächste Leben“. Je länger die Nutzungsdauer, desto nachhaltiger wirkt sich das auf den ökologischen Footprint des Industrieprodukts Fahrrad aus. Dass sich Gebrauchte auch preislich wesentlich günstiger anschaffen lassen, ist ebenfalls ein schlagendes Argument.

Für Second-Hand-Käufer herrschen derzeit recht günstige Zeiten: Zwar gibt es eine hohe Nachfrage nach Gebrauchträdern. Die Preise sind deshalb relativ hoch. Doch insgesamt ist der Bestand an Fahrrädern in Deutschland riesig. Laut Zweirad-Industrie-Verband lag diese Zahl 2020 bei 79 Millionen Fahrrädern. Statistisch kommt damit auf so gut wie jeden Bundesbürger ein Fahrrad. Und nicht wenige davon sind ein Kandidat für ein Second-Hand-Schnäppchen.

Vielleicht einen Leasing-Rückläufer?

Neue Gebrauchsformen und Finanzierungsmodelle wie Bike-Abos, Verleih-Räder, Leasing- oder Jobrad-Verträge sorgen für einen reichhaltigeren Gebrauchtmarkt. Selbst ganze Fahrrad-Flotten, die im kommerziellen Verleih oder Fuhrpark von Firmen genutzt und turnusmäßig erneuert werden, wandern häufig in professionelle Resale-Kanäle. Dadurch sind insgesamt sehr viel mehr und deutlich hochwertigere Bikes in Umlauf.

Für Kaufwillige stellt sich die Frage: Wie und wo kann ich ein gutes Gebrauchtrad finden und kaufen? Es gibt viele Angebote im Fahrradhandel direkt. Vereinzelt stehen Gebrauchte aus Inzahlungnahmen oder Verleih neben der Neuware in den Läden. Einige Shops haben sich auch ganz auf Räder aus zweiter Hand spezialisiert. Der Vorteil bei gewerblichen Verkäufern ist, dass man als Käufer mit geprüfter und funktionierender Technik rechnen kann. Schließlich muss ein Händler mindestens zwölf Monate für gebrauchte Ware garantieren. „Wir beziehen viele unsere Bikes auch von Sammlern. Denen geht oft irgendwann der Platz zu Hause aus“, erklärt Yavuz Saritas vom Münchner Shop „2nd-Hand Sports“. Saritas schätzt daran, dass diese Räder geliebt, gepflegt und meist nur wenig gefahren wurden. Er kann als Wiederverkäufer daher meist auf gute Substanz und wenige versteckte Mängel hoffen. „Dennoch checken wir alle Bikes gründlich in unserer Werkstatt. Jedes Bike, das rausgeht, ist garantiert problemlos fahrbar. Daran hängt schließlich unser guter Ruf!“, argumentiert Verkaufsleiter Saritas.

Riesiger Online-Markt für gebrauchte Räder

Auch online hat sich ein professioneller, gewerblicher Second-Hand-Markt etabliert. Es gibt immer mehr Onlineversender, die aufbereitete Bikes mit individuellen Originalfotos, detaillierter Beschreibung und freiwilligen 30 Tagen Rückgabe-Recht per Spedition bundesweit versenden. „Wir checken jedes unserer Räder in der Werkstatt zu 100 Prozent durch. Sind Teile defekt oder stark abgenutzt, werden sie ohne Zögern ersetzt“, beschreibt Max Oswald die Vorgehensweise bei Versender Bikesale.de. „Speziell bei E-Bikes achten wir genau auf die Kilometerleistung und die bisherige Anzahl der Ladezyklen. Ist ein Akku schon gealtert, ersetzen wir den vor einem Verkauf“, erklärt Oswald. „Hilft ja nichts, wenn ein Käufer schon kurze Zeit später bei uns reklamieren muss!“

"Nicht immer findet man genau, was man sucht. Doch unter Gebrauchten entdeckt man oft die tollsten Räder."

Doch egal, ob von privat oder vom Profi: Ein Gebrauchtrad muss dem Interessenten körperlich passen, und es muss strukturell und technisch gut dastehen. Ohne Probefahrt sollten Sie ein Fahrrad nicht kaufen. Nur so können Sie Größe, Sitzposition und Fahrverhalten realistisch einschätzen. Denken Sie daran, dass Sie dem Verkäufer für die Probefahrt ein Pfand bieten können. Am unkompliziertesten sind Personalausweis oder Führerschein.

Wie kaufen?

Haben Sie ein Rad gefunden, das Sie interessiert, ist es hilfreich, sich zuerst im Web allgemein und beim Hersteller genauer darüber zu informieren. Eventuell lassen sich so noch Baujahr(e), originale Ausstattung und der ursprüngliche Kaufpreis recherchieren. Zur ungefähren Altersbestimmung eignen sich oft die genauen Modellbezeichnungen der Schaltkomponenten: Über deren Hersteller lassen sich die Baujahre meist besser eingrenzen. Grob können Sie rechnen, dass ein Bike in gutem, durchschnittlichem Zustand im ersten Jahr 20 bis 30 Prozent, in den nächsten 2 bis 4 Jahren 30 bis 50 und zwischen 5 und 10 Jahren rund 50 bis 70 Prozent seines Neuwerts verliert. Es sei denn, es handelt sich um etwas Außergewöhnliches, wie etwa ein begehrtes Sammlerobjekt.

Beim Kauf von privat ist technisches Verständnis zur zutreffenden Beurteilung des Objekts unverzichtbar. Sind Sie sich unsicher, nehmen Sie möglichst jemanden mit, der sich gut mit Radtechnik auskennt. Ohne Sitzprobe und ausgedehnte Probefahrt sollten Sie ebenfalls nicht kaufen. Zu groß sind die Unterschiede in der Sitzposition, die durch bloße Anschauung nicht erkennbar werden. Und nur, wenn Sie ein Bike in verschiedenen Fahrsituationen erleben und ausprobieren, können Sie Verschleiß, Mängel und Vorschäden halbwegs sicher ausschließen.

Wo kauft man gebrauchte Räder am besten?

VOM HÄNDLER

Wer in einem Bikeshop kauft, kann davon ausgehen, dass die Second-Hand-Bikes technisch in Ordnung und professionell repariert, gewartet und geprüft sind. Und dass sie ausgiebig begutachtet und Probe gefahren werden können. Zudem ist eine Beratung durch das Verkaufspersonal oft sehr hilfreich. Wer sich selbst technisch wenig auskennt, ist für einen Gebrauchtrad-Kauf hier also am besten aufgehoben. Zudem muss ein gewerblicher Händler bei gebrauchter Ware mindestens ein Jahr Garantie gewähren. Nach sechs Monaten kommt es allerdings zur Umkehr der Beweislast: Dann muss der Kunde nachweisen, dass ein reklamierter Mangel bereits zum Zeitpunkt des Kaufs vorhanden war.

  Tipp: Fast in jeder Stadt gibt es gemeinnützige Sozialbetriebe, die benachteiligte Menschen z. B. zu Fahrradmechanikern ausbilden. Dort werden meist auch günstige Recycling-Räder verkauft.Foto: Daniel Simon
Tipp: Fast in jeder Stadt gibt es gemeinnützige Sozialbetriebe, die benachteiligte Menschen z. B. zu Fahrradmechanikern ausbilden. Dort werden meist auch günstige Recycling-Räder verkauft.

Viele Bikeshops haben Gebrauchtes, zum Beispiel aus Inzahlungnahmen oder Demo-Bikes, mit im Angebot. Einige haben sich jedoch auch ausschließlich auf Second-Hand-Bikes spezialisiert. Oft sogar auf spezielle Sortimente: französische Rennsport­räder, MTBs aus den 90er-Jahren, Reiseräder, Stahlrahmen-, E-Bikes oder Lastenräder. Besonders in Großstädten findet sich für fast jede Nische ein spezialisierter Shop. Der Nachteil beim Kauf im Bikeshop: Man muss sich die Zeit nehmen, vorher zu recherchieren und jeden Laden mit interessanten Bikes einzeln aufzusuchen. Meist kann man sich vorher über deren aktuelles Angebot auf der Website informieren. Zudem sind dort die Preise meist fest kalkuliert und in der Regel nicht (oder nur minimal) verhandelbar.

Auch online und per Versand finden Gebrauchtkäufe statt: Bei Firmen wie Bikesale, Greenstorm oder Rebike (teils mit stationärem Ladengeschäft oder Verleih-Betrieb) gehen zahlreiche „junge Gebrauchte“, mit und ohne E, aus Verleih-Flotten oder Leasing- und Jobrad-Verträgen in hoher Frequenz wieder in private Hände für ein zweites Leben auf der Straße. Die Onlineshops stehen für geprüfte Technik und zwölf Monate Garantie. Zudem bieten sie unterschiedliche Zahlungsmöglichkeiten, Leasing, Finanzierung und teils sogar 30 Tage Rückgaberecht. Die Bikes werden per Spedition im Vollkarton bundesweit versendet. Der Kunde muss nur den Lenker gerade drehen und die Pedale anschrauben.

Foto: Daniel Simon

VON PRIVAT

Onlineportale wie Ebay, Ebay Kleinanzeigen, quoka.de, in der Schweiz ricardo.ch, in Österreich willhaben.at sind gute Plätze, sich einen Überblick über Angebot und Preise zu verschaffen. Hier lassen sich die Angebote inhaltlich, preislich und regional filtern. Auch in Reiserad- oder Pedelec-Foren und anderen Online­communities wie Facebook Marketplace sind oft Verkaufsanzeigen zu finden.

Privatkäufe sind Vertrauenssache. Am besten funktioniert deshalb ein Kauf, wenn sich Käufer und Verkäufer lokal treffen, auf Augenhöhe austauschen und das Rad zur ausführlichen Probefahrt bereitsteht. Ideal, wenn man dann gemeinsam zu einem für beide Seiten angenehmen Abschluss kommt. Für ein erfolgreiches Inserat sind zahlreiche, aussagekräftige Bilder, klare, sachliche Beschreibungen und eine realistische Preisvorstellung auf der Verkäuferseite von Vorteil. Die Vorlage der Originalrechnung, des Handbuchs und des Service-Hefts belegt die Rechtmäßigkeit der Besitzverhältnisse und den Zustand des Verkaufsobjekts. Als Käufer sollte man das begutachtete Bike realistisch bewerten und gut abwägen, ob und welche Kompromisse man einzugehen bereit ist, auch preislich. Tendenziell schätzen natürlich Verkäufer den Wert ihres Rads höher ein als Käufer. Doch auch als Käufer sollte man immer realistisch verhandeln. Schließlich wollen beide Parteien zufrieden sein.

Bei der Zahlung ist abgezähltes Bargeld die unkomplizierteste Lösung. Aber auch Paypal, mit Käuferschutz für rund fünf Prozent Gebührenaufschlag bei Privatanbietern, oder ohne Schutz, wenn man an eine vertrauenswürdige Person zahlt („Freunde & Familie“), ist eine schnelle, zuverlässige Zahlungsmethode. Über­- weisung dauert länger und kann vom Käufer im Zweifelsfall nicht rückgängig gemacht werden.

Vom reinen Kauf nach Augenschein, ohne das Rad persönlich gesehen und gefahren zu haben, raten wir ab. Es sei denn, man kann sich aufgrund individueller Umstände außergewöhnlich sicher sein, zum Beispiel, weil sich die Parteien gegenseitig oder der Käufer das spezielle Rad schon kennt. In einem solchen Fall sind auch zusätzliche Videos mit Detailaufnahmen und Tonspur hilfreich. Allerdings kommen dann noch Versandkosten (ca. 50 Euro aufwärts) und -risiko zulasten des Käufers ins Spiel.

Privatverkäufern steht es nach gültiger Rechtslage frei, jegliche Garantie, Gewährleistung und Sachmängelhaftung oder Rückgabe auszuschließen. Es gilt: Gekauft wie gesehen. Dem Käufer bleibt also immer ein gewisses Risiko, dass er auf einem unerkannten Schaden sitzen bleibt. Deshalb haben wir auf den folgenden Seiten eine Checkliste mit neuralgischen Stellen angehängt. Gehen Sie diese bei einem Gebrauchtkauf sorgfältig durch.

Hier findet man private Gebraucht-Fahrräder:

➜ regionale, saisonale Flohmärkte oder Hof-­Flohmärkte (oft von gemeinnützigen Vereinen oder der Kommune einmal jährlich organisiert)

➜ Versteigerungen bei Fundämtern, kommunalen Entsorgungsbetrieben etc.

➜ Auch mit handgeschriebenen Angeboten auf Abreiß-Zetteln an Laternenmasten, Schwarzen Brettern von Unis, Schulen oder dem Supermarkt um die Ecke kann man Glück haben. Einfach die Augen offen halten!

Den kompletten Ratgeber Gebrauchtkauf aus MYBIKE 6/2021 können Sie kostenpflichtig unter dem Artikel als PDF herunterladen.

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