Jörg Spaniol
· 11.05.2021
Johannes Biechele und Fabian Reuter hatten vor zehn Jahren mit drei Kumpels die Idee für ein leichtes, per Handgriff entnehmbares E-Bike-Antriebskonzept. Heute sind die beiden Mittdreißiger die Chefs von Fazua – und beliefern die ganze Welt.
Natürlich steht da ein Tischfußball im Aufenthaltsraum. Und ein altes Küchenbuffet mit WG-Charme. Und ein Schlagzeug. So viel Gründerklischee muss sein. Doch gegenüber anderen Start-ups hat Fazua einen entscheidenden Vorteil: In den drei Stockwerken des Neubaus und des angegliederten Altbaus entstehen keine extrascharfen Luftschlösser, sondern echte Hardware. Zehntausende Antriebe pro Jahr, Tendenz stark steigend. Die Start-up-Deko dürfte einfach übrig geblieben sein, weil es viel zu schnell aufwärtsging mit Fazua und dem E-Bike überhaupt, um sich beim Innendesign zu verkünsteln.
100 Mitarbeiter sind es mittlerweile, die im Münchener Süden ein einziges, zentrales Produkt fertigen und fortentwickeln: den „Evation“-Antrieb von Fazua. Welche Idee kann so gut sein – und warum sind die Boschs, Broses und Shimanos nicht darauf gekommen? Johannes Biechele, kurz Hannes genannt und so hörbar bayerisch wie der Firmenname Fazua („Fahr zu!“), muss sich nur kurz am Kopf kratzen, um das Produkt zu erklären, denn darin hat er Routine: „Unsere Nische ist ‚E-Bike, aber in Geil‘. Als wir angefangen haben, war ein E-Bike ein Tiefeinsteiger mit schwerem Motor. Das war aber nie unser Ding. Für mich muss ein Radl geil aussehen! Und wir bauen für sportliche Leute. Das ist eine Entscheidung, die der Kunde gleich am Anfang trifft: Brauche ich einen starken Bosch-Motor, der mich von A nach B schiebt, oder will ich dynamischer fahren?“
Motor to go
Also entwickelte Fazua seinen Unterrohr-Akku schon zu einer Zeit, in der andere den Stromspeicher noch als markanten Block irgendwo am Rad verstauten. Doch der technisch entscheidende Trick ist die komplett entnehmbare Antriebseinheit (siehe Seite 54) aus Akku und Motor. Beides zusammen wiegt weniger als mancher Pedelec-Akku alleine. Dort, wo bei anderen E-Bikes der Mittelmotor sitzt, bleibt bei Fazua nur ein doppelt faustgroßes, etwa 1,3 Kilo leichtes Getriebe im Rahmen. Abgesehen von den nötigen Rahmendetails zur Akku- und Motoraufnahme wiegt ein Fazua-Rad inklusive Akku und Motor nur gut 4,5 Kilo mehr als ein ähnliches Fahrrad ohne Motor. Trotzdem unterstützt der Antrieb den Fahrer mit normaler Pedelec-Power – nur eben nicht so lange und mit weniger Spitzenleistung. Jenseits der 25 Stundenkilometer entkoppelt ein Freilauf den Motor. Wer schneller tritt, spürt keinen Widerstand. Der Freilauf, das geringe Gewicht und der schlanke Look positionieren Fazua auf dem Markt. Unter den 40 Radmarken, die den Antrieb einbauen, sind deshalb viele Rennradhersteller.
Wie schnell das Konzept einschlug, lässt sich anhand der wechselnden Firmenstandorte nachvollziehen: In der Tüftlerphase war es die Wohnung eines der Gründer, es folgten ein Raum in einem Gewerbehof, ein paar Räume mehr in einem Münchener Gewerbegebiet – und 2018 schließlich der Umzug in einen dreistöckigen Industriebau im Münchener Umland, in dem zuvor Airbus an Raketen arbeitete. Weil auch der absehbar zu klein wurde, baute Fazua ein Jahr später ein nagelneues, fast ebenso großes Gebäude an. So etwas kostet Millionen. Und anders als bei einem Großunternehmen mit reichlich Spielgeld hatte dies keiner der ursprünglich fünf Gründer in der Tasche. Bei den ersten Patenten, etwa für die komplett nach unten entnehmbare Antriebseinheit, schoss Hannes’ Freundin noch Geld aus der Privatschatulle vor. Doch für Fabian Reuter, den kaufmännischen Strategen von beiden, war das ein absehbar zu langsamer Weg auf den Markt:
„Patente sind nicht mehr der Goldstandard, wenn man bestehen will. Schon weil sich meistens irgendwelche Wege finden, sie zu umgehen. Es ist viel wichtiger, als Erster das richtige Produkt für eine Zielgruppe zu haben. Und dann braucht man eine gewisse Größe, um die Nische gleich zu besetzen und die Marke aufzubauen!“
Vorschusslorbeeren und Risikokapital
Also zogen die beiden los, um mit ihrer guten Idee und Überzeugungskraft Investorengeld einzusammeln und die Nische „sportlicher Antrieb“ möglichst rasch zu besetzen. Kein leichtes Unterfangen in einer Zeit, in der das E-Bike gerade erst schlüpfte, aber der eine oder andere Investoren-Euro bereits in der Branche verdampft war. Hannes Biechele: „Irgendwie haben wir unsere Idee wohl gut rübergebracht. Die Herren mit dem Geld schauen dir ernsthaft in die Augen und checken, ob du jemand bist, dem sie das zutrauen. Und offensichtlich waren wir die passenden Typen dafür. In so einem Investment sind jedenfalls viele Vorschusslorbeeren enthalten ...“ Individuelle Business Angels, Risikokapital-Fonds und öffentliche Zuschüsse hatten bald so viel in den Topf geworfen, dass Fazua abheben konnte – mit den Gründern als angestellten Teilhabern und einem Produkt, das sich noch immer weiterentwickelt.
Etwa ein Drittel der Mitarbeiter ist dafür zuständig. Im Keller, wo massive Betonböden und -wände einst der Rüstungsproduktion standhalten mussten, krachen jetzt Bruchtest-Apparaturen mit großen Hantelscheiben auf Achsstummel, surren CNC-Fräszellen über Prototypen neuer Bedienelemente, laden sich neue Akkuzellen explosionsgeschützt im Sandbett. Drei Etagen darüber löten Ingenieure winzige Teile auf Platinen, um die Motorelektronik zu verbessern. Sogar ein Biomechaniker arbeitet bei Fazua daran, eine gefühlte Symbiose aus Mensch und Maschine entstehen zu lassen, und im Treppenhaus stehen die Testräder, mit denen mancher Mitarbeiter den Antrieb auf dem Arbeitsweg gleich einem Praxis-Check unterzieht.
Fast erstaunlicher als die Entwicklungsabteilung am Firmensitz ist die Tatsache, dass Fazua seine Antriebe auch in der Hochlohnzone südlich von München fertigt. Ein paar Gussteile kommen aus China, den weitaus größeren Rest der Komponenten liefern mitteleuropäische Betriebe. An langen Werkbänken mit diversen Schütten und Schachteln stehen Menschen mit Corona-Sicherheitsabstand und verschrauben, verlöten, verpressen oder verkleben kleine Teile zu Antriebseinheiten. Münchens Speckgürtel, ein Kostennachteil? Nein, sagt Fabian Reuter: „Der Standort ist gut für uns! Hier gab es Platz, um zu wachsen, hier geht es den Leuten gut. Was wir hier in der Montage machen, ist ja nur ein Teil der Wertschöpfung, da spielt es keine große Rolle, dass die Löhne höher sind. Für uns ist es wichtiger, ein persönliches Verhältnis zu den Zulieferern und Angestellten zu haben, als die Sachen irgendwo weltweit zusammenbasteln zu lassen.“
Die letzten Meter des Firmenrundgangs führen in eine vielleicht fünf Meter hohe Halle. Das Erdgeschoss des im vergangenen Jahr bezogenen Neubaus beherbergt das Hochregallager. Hier kommen Bauteile an, hier gehen Evation-Antriebe an die Fahrradfirmen raus. Noch ist Platz in den Regalen, zur Kapazitätsgrenze von 100.000 Antrieben jährlich ist noch etwas Luft, doch die Pläne zur Aufstockung der Firmenzentrale um eine Etage stehen bereits. Sieht so aus, als liefe es geradeaus für die Gründer. Provokative Frage: Wäre das nicht der perfekte Zeitpunkt, den Laden an einen Mitbewerber zu verkaufen und dann lebenslänglich Palmenstrand und Hängematte zu genießen? Hannes Biechele wirkt einigermaßen irritiert: „Verkaufen? Ganz im Gegenteil! Das ist unser Baby, das lassen wir nicht im Stich!“