Angelika Urbach
· 28.04.2023
Dehnen für Radfahrer! Wer als Radfahrer oder Radfahrerin seinen Körper, neben der Kraftarbeit auf dem Rad, mit Dehnübungen verwöhnt, schafft eine Basis, für lange und schmerzfreie Touren. In der dreiteiligen MYBIKE-Serie, Körperschule, geben wir Tipps und zeigen einfache Übungen zum Nachmachen. Hier: Beweglichkeit
Nach einer langen Autofahrt tun es die meisten Menschen den Katzen gleich: Sie räkeln sich und ziehen alle Glieder in die Länge bis die Verspannungen nachlassen und der Körper sich weich und locker anfühlt. Radfahrer können diesen Effekt gezielt nutzen. Sportartspezifische Dehnübungen bessern typische Schmerzzonen, die den Spaß auf langen Touren oftmals ausbremsen. So lassen sich zum Beispiel von der Haltearbeit strapazierte Muskeln an den Schultern und im Nacken mit einfachen Übungen lockern.
Ziel der Übungen sind langfristige Effekte. Experten raten, während und kurz nach der Tour auf intensives Dehnen zu verzichten, um Mikro-Verletzungen der frisch beanspruchten Muskulatur zu vermeiden. Wer Beschwerden gezielt und auf lange Sicht lindern will, sollte das Stretching vielmehr als eigene Sporteinheit in seinen Alltag integrieren.
Die Flexibilität unseres Körpers bestimmt über die Art, wie wir Unfälle vermeiden
„Die Konsequenz beim Dehnen zahlt sich für Radfahrer in zweifacher Hinsicht aus“, verspricht Ulrike Daubermann, Physiotherapeutin und ehemaliger Profi im Bikemarathon. Schon nach den ersten drei Wochen fühle sich der Körper im Alltag beweglicher, erholter und frischer an. Darüber hinaus steige die Leistungsfähigkeit auf dem Rad. Die Expertin betont: „Mit dem richtigen Dehnprogramm verlängern Radfahrer die Strecke, auf der sie schmerzfrei unterwegs sind.“ Zu dieser Leistungssteigerung tragen verschiedene Effekte des Dehnens bei:
Regelmäßiges Dehnen löst Verspannungen, d.h. die belasteten Muskeln bleiben im Alltag und auf dem Rad länger beschwerdefrei. Schöner Nebeneffekt: Ein flexibler Nacken ermöglicht beim Blick nach hinten einen größeren Bewegungsradius und verleiht Radfahrern ein angenehmes Gefühl von Sicherheit.
Die Leistungsfähigkeit der für den Vortrieb arbeitenden Muskeln nimmt zu. Regelmäßig gedehnte Muskeln zeigen in Versuchen eine bessere Kraftentfaltung in gedehnter Position und gleichzeitig eine höhere Zugtoleranz. Das sorgt dafür, dass Radfahrer längere Strecken ermüdungsfrei pedalieren können. Allerdings tritt dieser Effekt nur langfristig auf – einmaliges Dehnen macht sich bei der nächsten Ausfahrt noch nicht bemerkbar.
Geschmeidige Muskeln gelten als weniger anfällig für Verletzungen wie Zerrungen oder Muskelfaserrisse. Einige Wissenschaftler glauben zudem, dass Heilungsprozesse nach entsprechenden Verletzungen in flexiblen Muskeln rascher ablaufen.
Die Kombination aus Radfahren und regelmäßigem Dehnen ist ein perfekter Schutz vor Arthrose im Hüftgelenk. Das Pedalieren „schmiert“ die Gelenke, gleichzeitig erweitert das Dehnen der verkürzten Bein- und Hüftbeugemuskulatur den Bewegungsradius der Hüfte und beugt einem Kapselmuster vor. Auf diese Weise beugen Radfahrer einem punktuellen Abrieb des Knorpels vor, der in anderen Fällen die Arthrose vorantreibt. Das Gelenk bleibt damit auf lange Sicht leistungsfähig und schmerzfrei.
Während viele Radsportler Dehnübungen als feste Einheit in ihrem Trainingsplan verankern, arbeiten Freizeitfahrer meist ausschließlich am Ausbau ihrer Kondition und an der Kräftigung jener Muskeln, die rasche Leistungszuwächse sichern. Dennoch sollten sich gerade Freizeitfahrer regelmäßig dehnen, rät die Physiotherapeutin. Sie ist überzeugt: „Die Flexibilität unseres Körpers bestimmt die Art und Weise, wie wir uns bewegen und damit auch über die Art, wie wir Unfälle vermeiden.“
Die Dehnfähigkeit des Körpers lässt sich bis ins hohe Alter hinein verbessern. Für unser Dehnprogramm haben wir Übungen ausgesucht, die von jungen und älteren Radfahrern gleichermaßen absolviert werden können. Vorsicht gilt bei Muskelverletzungen, wie beispielsweise einer Zerrung. „In diesem Fall pausieren Sie bitte mit dem Dehnen des betroffenen Muskels bis die Beschwerden nachlassen“, rät unsere Expertin.
„Dehnen ist die Basis jedes gesunden Krafttrainings“, betont Ulrike Daubermann. Denn um seine volle Leistung zu entfalten, benötigt der Muskel Flexibilität. Aus diesem Grund steht das Beweglichkeitstraining am Anfang unserer dreiteiligen Serie. Für spürbare Effekte sollten Radfahrer ein- bis zweimal pro Woche rund eine halbe Stunde Zeit fürs Dehnen einplanen. Die Tageszeit oder die Umgebung spielen eine untergeordnete Rolle.
Dehnen lockert die Muskeln und beugt Verspannungen vor. Allerdings können bestehende muskuläre Dysbalancen durch Dehnen allein nicht beseitigt werden, warnen Ärzte und Physiotherapeuten. Dazu sei immer eine gleichzeitige Kräftigung des Gegenspielers nötig – am besten unter Anleitung eines erfahrenen Trainers oder Therapeuten!
Unsere Übungen lockern jene Muskeln, die beim Radfahren hart arbeiten. Sie können das Programm nach Ihrem Wohlbefinden in den Tag einbauen.
Die zart ausgebildeten Nackenmuskeln vollbringen auf Tour Höchstleistungen, um den Kopf in einer überstreckten Position zu halten. Die vorwärts gerichtete Haltung der Arme begünstigt Verspannungen am seitlichen Nacken und an den Schultern zusätzlich.
>> Übung: Sie stehen aufrecht; der Kopf zieht nach oben in Richtung Decke, die Schultern sind abgesenkt. Neigen Sie nun den Kopf zur linken Seite und drehen am Ende der Bewegung die Nase in Richtung Boden. Bei Schwindel die Übung bitte aussetzen!
>> Effekt: Sie spüren die Dehnung in den Muskeln vom Ohransatz bis zur Schulter.
>> Ausführung: 20 bis 30 Sekunden halten und dann lösen; auf jeder Seite drei Wiederholungen.
Die spezifische Armhaltung und der Griff am Lenker begünstigen Verkürzungen der Muskeln von Brust und Oberarmen und bewirken einen Zug auf die Schultergelenke. Vorteil des Dehnens: Eine gut gedehnte Brustmuskulatur gibt Organen wie Lunge und Herz mehr Platz für die Atmung.
>> Übung: Sie stehen in Schrittstellung parallel zu einer Wand: legen Sie Ihre linke Hand bei gestrecktem Arm nach hinten auf die Wand, das Handgelenk ist dabei um 90 Grad nach hinten geknickt. Ziehen Sie die linke Schulter bewusst nach unten und drehen dann den Oberkörper sanft weg von der Wand.
>> Effekt: Sie spüren eine Dehnung in Brust und Arm. Neben den Muskeln dehnt diese Übung den Medianus-Nerv und dient damit gleichzeitig als Prävention für das Karpaltunnel-Syndrom.
>> Ausführung: Dehnung 20 bis 30 Sekunden halten und dann lösen; auf jeder Seite drei Wiederholungen.
Die statische Haltearbeit auf dem Rad bedeutet eine ungewohnte Belastung für unseren auf Beweglichkeit ausgerichteten Rücken. Als Folge entstehen Verspannungen, die sich durch gezieltes Dehnen lockern lassen.
>> Übung: Sie stehen mit leicht geöffneten Beinen, die Fußspitzen zeigen nach vorne. Lassen Sie Ihre Hände langsam am Oberschenkel entlang zum Knie wandern, von dort weiter am Schienbein entlang zu den Füßen.
>> Effekt: Sie spüren die Dehnung im unteren und mittleren Rücken. Vorsicht: Bei akuten Rückenbeschwerden, z.B. Bandscheibenvorfall, diese Übung bitte aussetzen.
>> Ausführung: 20 bis 30 Sekunden halten und dann lösen; drei Wiederholungen.
Die Vorderseite des Oberschenkels und der Hüftbeuger neigen durch den Bewegungsablauf beim Radfahren zu Verkürzungen. Dies kann negative Auswirkungen auf die Statik des Beckens haben.
>> Übung: Im Stand mit der linken Hand den linken Fuß greifen, dabei die Bauchmuskeln anspannen, damit das Becken nicht ins Hohlkreuz kippt; den Fuß in Richtung Gesäß ziehen, Oberschenkel parallel halten. Variante: Falls Ihre Muskeln nur wenig beweglich sind, können Sie ein Handtuch oder ein Seil um den Fuß legen und damit die Dehnung halten.
>> Effekt: Sie spüren die Dehnung im Bereich der Hüfte und Vorderseite des Oberschenkels.
>> Ausführung: Dehnung 20 bis 30 Sekunden halten und dann lösen; auf jeder Seite vier Wiederholungen.
Wer kräftig pedaliert, verschafft seinen Waden ein Power-Workout – und provoziert Verkürzungen. Diese wiederum beeinträchtigen das reibungslose Zusammenspiel der Muskelgruppen im Bein.
>> Übung: Sie stehen hinter einem Stuhl und fassen dessen Lehne; treten Sie nun mit dem linken Bein einen großen Schritt nach hinten; das Körpergewicht lastet auf dem vorderen Bein; beide Fußspitzen zeigen nach vorne, das hintere Bein ist gestreckt. Drücken Sie in dieser Position die Ferse des hinteren Beins bewusst in den Boden.
>> Effekt: Sie spüren die Dehnung in der Wade.
>> Ausführung: Dehnung 20 bis 30 Sekunden halten und dann lösen; auf jeder Seite drei Wiederholungen.
Die Muskeln an der Rückseite der Oberschenkel beeinflussen maßgeblich die Beweglichkeit des Beckens. Vom Pedalieren sind sie häufig verspannt. Folge: Das Becken wird nach hinten gezogen und die natürliche Beugung der Wirbelsäule wird im Lendenbereich flach.
>> Übung: In Rückenlage mit beiden Händen das linke Bein umfassen, das rechte Bein liegt gestreckt auf dem Boden; dann das linke Bein so weit als möglich zum Oberkörper ziehen und langsam das Knie durchstrecken.
>> Effekt: Sie spüren eine Dehnung an der Oberschenkelrückseite. Sollten Leistenschmerzen auftreten, bitte die Hüftbeugung reduzieren.
>> Ausführung: Die Dehnung 20 bis 30 Sekunden halten und dann lösen; auf jeder Seite drei Wiederholungen.