Kai Hilbertz
· 26.10.2021
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Wenn Hände, Schultern oder der Nacken schmerzen, könnte es an der Handposition liegen. Änderungen am Cockpit schaffen Erleichterung. Probleme und ihre Lösungen im Überblick
Die Einstellung der drei Kontaktpunkte Pedale, Sattel und Lenker bestimmt, wie effizient und komfortabel Sie Rad fahren. Dieser Artikel widmet sich der Optimierung Ihrer Lenkzentrale – Radsportler sprechen bei der Zusammensetzung von Vorbau, Lenker und Griffen vom „Cockpit“. Wenn Sie sich die Mühe machen, das Cockpit schrittweise an Ihre Bedürfnisse anzupassen, fahren Sie nicht nur angenehmer Rad, Sie können zudem Fehlstellungen vermeiden, die Schmerzen verursachen. Gehen wir mal davon aus, dass das Fundament zur richtigen Sitzposition bereits gelegt ist – die Satteleinstellung. Bevor man das Cockpit verfeinert, sollte nämlich der Sattel in Höhe, Neigung und der Position nach vorne und hinten korrekt eingestellt sein. Wie ist nun die Position des Lenkers optimal einzustellen? Die Antwort ist zunächst unbefriedigend.
Sie lautet: Es kommt darauf an. Das Optimum hängt von den Bedürfnissen der oder des Einzelnen ab, denn jede Lenkerposition ist ein Kompromiss zwischen Leistung und Komfort. Eine Bahn- Rennfahrerin wird den Lenker möglichst tief und aerodynamisch günstig platzieren, denn sie ist an Tempo und Kraftentfaltung interessiert – der Komfort spielt keine Rolle. Ein Radpendler in der Stadt wird sein Cockpit eher so einrichten, dass er im dichten Stadtverkehr die Übersicht behalten kann. Zudem spielt hier der Komfort eine größere Rolle. Sie sollten also als Erstes überlegen, was Ihre Ziele sind. Sind Sie mit der jetzigen Höhe des Lenkers zufrieden? Wenn Sie unsicher sind, kann ein verstellbarer Vorbau helfen, ein paar verschiedene Höhen auszuprobieren. Beim Hollandrad schwebt der Lenker mehrere Zentimeter über dem Sattel, während Pendler oder Tourenfahrer die Griffposition, je nach Bedarf, knapp unter oder knapp über dem Sattel montieren. Bei großen Radrennfahrern befindet sich der Lenker bisweilen 15 Zentimeter unter Sattelniveau.
Schmerzen im Nacken oder im unteren Rücken machen unmissverständlich klar, wo die persönliche Untergrenze der Lenkerhöhe liegt. Natürlich kommt es nicht nur auf die Höhe des Lenkers an, sondern auch auf seine Position nach vorne beziehungsweise nach hinten. Wenn die Hände weiter nach vorne positioniert werden, kommt mehr Gewicht aufs Vorderrad. Wenn Sie in einer gestreckteren Position aus dem Sattel gehen, können Sie besser beschleunigen. Eine zu gestreckte Haltung hat ähnliche Folgen wie ein zu tiefer Lenker: Sie führt zu Schmerzen im unteren Rücken oder Nacken. Verlagern Sie Ihre Griffposition nach hinten, sitzen Sie aufrechter, dafür belasten Sie den Sattel stärker. Bei relativ geraden Lenkern gilt: Breite Lenker, kombiniert mit langen Vorbauten, machen die Lenkung träge. Schmale Lenker mit kurzen Vorbauten machen die Lenkung nervös.
Nicht nur die Breite des Lenkers ist ergonomisch wichtig. Auch seine Kröpfung nach hinten, der sogenannte Backsweep, und seine Biegung nach oben oder unten (Up- und Downsweep) spielen eine große Rolle. Zu breite, zu gerade Lenker knicken die Handgelenke stark ab, dadurch wird der Karpaltunnel verengt und der Medianusnerv gereizt. Das kann zu Taubheitsgefühlen im Daumen, Zeige- und Mittelfinger führen. Die Lösung ist ein schmalerer Lenker, mehr Backsweep oder beides. Bei Schmerzen an der Außenseite der Hände oder Taubheitsgefühlen im Ring- und kleinen Finger ist dagegen der Ulnarnerv gereizt. Abhilfe schafft ein ergonomisch günstigerer Griff. Insbesondere Flügelgriffe entlasten den Ulnarnerv effektiv. Ein Lenker mit mehr Backsweep kann ebenfalls hilfreich sein. Leider ist selbst eine mühevoll optimierte Hand- und Lenkerposition kein Werk für die Ewigkeit: Nachlassende Elastizität im Alter zwingt meist zu weiteren Korrekturen.
mit Tobias Hild Gründer / Geschäftsführer SQlab
MYBIKE: Gegen radbedingte Schmerzen im Nacken oder an den Händen gibt es verschiedene Stellschrauben. Womit fängt man am besten an?
Hild: Den Druck auf die Hände über eine aufrechtere Sitzposition rauszunehmen ist nahe liegend. Aber meist ist das nicht die smarteste Lösung, denn deutliche Änderungen hier wirken sich beispielsweise auf das Fahrverhalten des Rades aus. Die Lenkerhöhe kann zwar tatsächlich die Ursache sein, doch je nach persönlicher Anatomie können auch der Griff, die Lenkerbreite oder seine Biegung orthopädische Probleme auslösen.
Was kann beispielsweise ein stärker nach hinten gebogener Lenker an schmerzhaften Handproblemen ändern?
Die Aufgabe der Lenkerbiegung ist es, eine seitliche Überstreckung des Handgelenks zu vermeiden. Je nach Sitzposition tritt dieses Problem bei zu geraden Lenkern häufig auf.
Was ist wichtig bei den Griffen?
Am wichtigsten ist die Griffsicherheit. Dazu muss der Griff sicher umschlossen werden können. Angesichts unterschiedlicher Handgrößen halten wir daher drei unterschiedliche Griffgrößen mit verschiedenem Durchmesser für richtig. Die Entlastung des Ulnarnervs durch Entlastungsflügel ist inzwischen weit verbreitet, doch dabei darf der Griff nicht in den Karpaltunnelausgang hinten am Handballen drücken. Deshalb haben wir die Entlastungsflügel nicht zu groß ausgeformt und möglichst weit außen positioniert. Griffe und Lenker bestimmen gemeinsam die Handhaltung. Sie sollten deshalb aufeinander abgestimmt sein.
Was bringen Barends und Innerbarends?
Zusätzliche Griffmöglichkeiten entlasten generell Hände, Schulter und Nacken. Innerbarends verbessern darüber hinaus die Aerodynamik und erhöhen damit die Reisegeschwindigkeit, Barends außen helfen im Wiegetritt bergauf.
Beim professionellen Bikefitting wird das Rad per Videoanalyse, Laservermessung oder physiologischen Tests optimal auf den Radfahrer angepasst. Die Kosten variieren zwischen 50 und 400 Euro. Eine günstigere Alternative sind Do-it-yourself- Anleitungen und Schablonen. Hier das Angebot im Überblick:
Ergon Fitting-Boxen für komfortorientierte Tourenradler, Rennradler und Mountainbiker mit Step-by-step-Anleitung und Hilfsmitteln, www.ergonbike.com
GebioMized Professionelles Bikefitting per Videoanalyse und Druckmessverfahren an verschiedenen Standorten in Deutschland, www.gebiomized.de
Radlabor Körpervermessung per Body-Scanner, Anpassung von Lenker, Griffen, Bremshebeln und Sattel, www.radlabor.de
Ergotec Viele Videos zum Themenbereich „Radfahren ohne Schmerzen“ und Bikefitting auf dem Online-Portal www.richtigradfahren.de
SQlab Mess-Schablonen für zu Hause zur Sitzknochenvermessung, Griffweitenermittlung und Bestimmung des Fußtyps, www.sq-lab.com
Bevor Sie mit dem Cockpit experimentieren, dokumentieren Sie die Ausgangsposition. Dann beginnt die Versuchsreihe.
Zugegeben: Die folgenden Winkelmaße widersprechen ein wenig unserer Grundannahme, dass letztlich das eigene Gefühl entscheidet. Zudem ist das folgende Vorgehen einigermaßen aufwendig. Doch wenn die gegenwärtige Position komplett unpassend er-scheint, kann ein Aufbau nach allgemeinen Erfahrungswerten helfen. Dazu lehnen Sie sich im Sattel sitzend an eine Wand und lassen sich flach und aus Hüfthöhe von der Seite fotografieren. Kontrollieren Sie auf dem Bildschirm den Winkel zwischen Oberarm und Oberkörper.
Bei Stadträdern und Pedelecs ist ein Winkel von ca. 70 bis 80 Grad verbreitet. Wer sportlich unterwegs ist, wird eine etwas gestrecktere Haltung mit etwa 90 Grad wählen, wogegen jemand, der lieber aufrecht fährt, einen Winkel von ungefähr 60 Grad einnehmen kann. Der Rücken sollte dabei mit leichter Vorspannung gerade sein. Diese Winkel sind weder aufs Grad genau messbar noch immer richtig, doch in der Praxis bewährt und sinnvolle Ausgangsbasis. Beachten Sie, dass diese Winkel nur einen Teil der Position festlegen. Würde ich im Bild links einen tiefer geneigten und leicht kürzeren Vorbau montieren, würde zwar der Winkel zwischen Oberarm und Oberkörper in etwa gleich bleiben, doch Rücken und Arme kippen dann weiter nach vorne – mit ganz anderem Fahrgefühl. Der zweite Winkel wird zwischen Handrücken und Unterarm gebildet. Der Winkel sollte circa 20 Grad betragen, die Handgelenke sind leicht nach oben angewinkelt. Wenn auf Ihrem Foto Ihre Hände stark nach oben oder unten abgewinkelt sind, korrigieren Sie die Handstellung. Der Austausch runder Griffe gegen passende Ergogriffe hilft, diesen Winkel zu stabilisieren. Stellen Sie die Drehung dieser Griffe ein. Gerade bei Flügelgriffen ist es wichtig, dass der Flügel nicht zu hoch oder zu tief eingestellt ist, da eine falsche Stellung zur Reizung des Ulnarnervs führen kann. Wenn Sie unsicher sind, variieren Sie den Drehwinkel. Sie werden schnell merken, welche Stellung am besten funktioniert. Es geht darum, die Ausgangs-stellung zu dokumentieren. Wenn Sie weitgehende Veränderungen vorgenommen haben, lassen Sie weitere Fotos schießen, damit Sie die Bilder vergleichen können.
Bei Fahrradgriffen gibt es drei Grundtypen: runde oder, genauer gesagt, zylindrische Griffe, leicht ergonomisch geformte Griffe und stark ergonomisch geformte Flügelgriffe. Menschen mit eher kleinen Händen sowie viele Mountainbike- Racer bevorzugen nach wie vor klassische, zylindrische Griffe mit schlanker Form. Sie sind leicht, bieten aber wenig Dämpfung. Wer es lieber etwas bequemer hat, greift zu ergonomisch geformten Griffen. Sie sind nicht einfach dicker, sondern verfügen, je nach Hersteller, über verschiedene Formen, die den Händen angepasst sind und mehr Auflagefläche bieten. Vergrößert man außen die Fläche immer mehr, kommt man beim ergonomischen Flügelgriff an. Da es auch Griffe mit kleinerem Flügel gibt, ist die Grenze zwischen gemäßigtem Ergogriff und Flügelgriff fließend. Als Variante gibt es diverse ergonomische Griffe mit integrierten Barends für eine zusätzliche Griffposition
Hat Ihr Fahrrad einen Lenker mit starker Kröpfung (Backsweep) nach hinten, zum Beispiel 40° oder 50°? Dann könnte es sinnvoll sein, Griffe wie die Ergon GC1 auszuprobieren, die speziell für solche Lenker entworfen wurden. Hier abgebildet in der „BioKork“-Ausführung.
Griffe wie die Ergon GC1 * sind speziell für Lenker mit starker Kröpfung (Backsweep) nach hinten entworfen worden.
Viele Griffe gibt es in nur einer Größe. Wenn man mit einem Satz dieser Griffe gut zurechtkommt, dann ist das wunderbar. Wenn nicht, drohen Probleme: Zu kleine Griffe lassen sich nicht sicher und komfortabel greifen. Das kann zu einer Reizung des Ul-narnervs und Taubheitsgefühlen führen. Zu große Griffe können dagegen nicht vollständig umfasst werden, was vor allem auf Holperstrecken die Fahrsicherheit beeinträchtigt. Manche Hersteller bieten ihre Griffe daher in zwei oder sogar drei verschiedenen Größen an.
Vor allem Ergon und SQlab sind damit im Nachrüstmarkt gut vertreten. Wie ermittelt man die passende Größe? Die beiden Marken tun dies auf unterschiedliche Weise. Ergon orientiert sich an den Handschuhgrößen und empfiehlt seine Griffe in der Größe Small oder „S“ für Menschen mit einer Handschuhgröße zwischen 6,5 und 8,5. Die Größe Large oder „L“ ist für Radfahrer mit der Handschuhgröße 8,5 bis 10,5 gedacht. Um die passende Griffgröße zu ermitteln, misst SQlab den Abstand zwischen der Daumenbeuge und der Spitze der Hand. Eine Länge bis zu 13 cm ergibt die Größe „S“, eine Länge von 13 bis 15 cm ergibt Medium („M“) und eine Länge über 15 cm ergibt einen Griff in der Größe „L“. Eine Schablone für diese Messung findet sich hier auf der SQlab-Website.
Den vollständigen Artikel zum Cockpit-Tuning aus Ausgabe 4/2021 können Sie unter dem Artikel als PDF herunterladen. Der Artikel kostet 1,99 Euro.