Jörg Spaniol
· 16.04.2023
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Radtouren in der Kälte: Eine Herausforderung für Funktionstextilien. Die Test-Langarm-Funktionshemden zeigen, wie unterschiedlich Hersteller damit umgehen.
Wie unsexy ist das denn? Langarm-Funktionshemden sind nicht unbedingt das Radsportmaterial, das Haben-will-Reflexe auslöst: grau, dunkelblau oder schwarz, meistens aus Plastik, und oft müffeln sie schon nach einer Stunde schweißig. Viele Modelle kommen und gehen im Laufe der Jahre durch den persönlichen Bestand. Doch dann ist da das eine, das bleibt: ein über zehn Jahre altes Unterhemd, durch zahllose Waschgänge verfärbt, am Kragen ausgeleiert – aber einfach ein Lieblingsteil. Was es dazu macht, erschließt sich durch gründliches Nachspüren: Das Lieblings-Unterhemd puffert einen großen Temperaturbereich ab, wirft auch unter engen Trikots keine Falten und zwickt nirgends. Es stinkt kaum. Die Ärmel sind lang und eng genug, und der Kragen hat die richtige Höhe. Das ist eigentlich alles.
Doch was so einfach klingt, ist in der Praxis eher die Ausnahme. Die Angelegenheit ist zudem ziemlich individuell: Umfragen im Freundeskreis zeigen, dass das Favoriten-Shirt des einen längst nicht jedem anderen taugt. Also alles Zufall? Nein, das dann auch wieder nicht. Ein paar Klassiker funktionieren bei den meisten. Und damit wird es interessant. MYBIKE hat von den einschlägigen Herstellern aktuelle Langarm-Funktionshemden angefordert, die sich nach deren Meinung besonders gut für das Radtraining bei kaltem Wetter eignen.
Jörg Spaniol, MYBIKE-Testautor:
Den einen Testsieger für alle kann es bei den Unterhemden nicht geben. Die Anforderungen sind zu unterschiedlich. Doch die meisten Hersteller wissen recht genau, was ihr Shirt leistet: Ihre Einsatzempfehlungen liegen überwiegend dicht an unseren Ergebnissen.
Auf den ersten Blick wirkt das Ergebnis ziemlich homogen: schmal geschnitten, überwiegend schwarz, grau und Kunstfaser. Doch wenn der zweite Blick aufs Material-Etikett fällt, wird es ausgesprochen bunt. Anders als Trikots, bei denen nur zwei bis drei Faserarten verwendet werden, bestehen die Langarm-Funktionshemden im Test aus insgesamt sieben verschiedenen Materialien, bis zu fünf davon in einem einzigen Hemd! Welche Mischung zum Einsatz kommt, hat sicher auch etwas mit Rohstoffpreisen, Lieferbedingungen und etwaigen Schwierigkeiten bei der Verarbeitung zu tun. Doch ganz wesentlich für die Materialwahl ist die Frage, was das Unterhemd am Ende leisten soll. Und das ist eine durchaus komplexe Angelegenheit.
Der Körper als Kraftwerk ist auf etwa 37 Grad Kerntemperatur optimiert. Wenn die Temperatur zu hoch oder zu niedrig ist, sinkt nicht nur die Leistung, sondern es wird auch schnell lebensgefährlich. Gleichzeitig arbeitet die Maschine Mensch in einem sehr breiten Drehzahlbereich, und sie erzeugt sehr wechselhafte Mengen an Abwärme. Am Schreibtisch sitzend, soll die Heizleistung etwa 100 Watt betragen, während die Abwärme schon bei einer sportlichen Tretleistung von 200 Watt um die 600 Watt liegt -mehr als 25 Prozent Wirkungsgrad hat der Mensch nicht. Faktor sechs also zwischen Ruhe und Training, und damit eine technische Herausforderung.
Zu geringe Temperaturen kompensieren wir durch Kleidung, zu hohe durch Abstrahlung, Fahrtwind – und ganz wesentlich durch Verdunstung. Der Schweiß, den wir dafür produzieren, sollte für die beste Wirkung möglichst dicht am Körper verdunsten. Die schwierige Aufgabe für die Textilingenieure: Langarm-Funktionshemden müssen diese Kühlung unterstützen, aber gleichzeitig so schnell trocknen, dass sie in Ruhephasen nicht weiterkühlen. Eine fast unlösbare Aufgabe, denn nicht nur die Abwärme, sondern auch Art und Anzahl der Bekleidungsschichten sowie das Wetter wechseln häufig.
Zuoberst in der Textil-Werkzeugkiste liegen die Fasermaterialien. Aus Laborversuchen ist bekannt, dass beispielsweise Elasthan, das die Passform unterstützt, schlecht trocknet. Oder dass Polypropylen praktisch kein Wasser aufnimmt, während Polyester und Polyamid das in Maßen tun. Auch das Verhalten von Wolle oder Baumwolle ist gut untersucht, ebenso das Tragegefühl all dieser Stoffe. Keine Faser leistet alles Gewünschte, quer durch alle Eventualitäten von Feuchtigkeit und Temperatur. Also sind die Textilexperten gezwungen, ihr Produkt schon durch die Materialwahl und den Materialmix auf bestimmte äußere Randbedingungen und für bestimmte Trainingsintensitäten zu optimieren.
Dazu kommt die große Bedeutung der Struktur des Gestricks. Viele Langarm-Funktionshemden im Test sind auf der Innenseite anders strukturiert als außen: Grobe Maschen oder Schlingen sollen den Schweiß durch Kapillarkraft auf die Hemdoberfläche leiten, wo er – zwar hautnah, aber nicht direkt auf der Haut – kühlend verdunstet oder an die nächste Kleidungsschicht weitergeleitet wird. Der straffe Sitz mancher Muster ist auch der Funktion geschuldet, weil er vollflächigen Körperkontakt garantiert. Merinowolle spielt in diesem Werkzeugkasten eine Sonderrolle. Diese besonders feine Schafwolle lagert in ihren Fasern relativ viel Feuchtigkeit ein, bevor sie klatschnass ist und damit kaum noch isoliert. Ein Merinohemd mit beispielsweise 50 Prozent Feuchtigkeit wird sich deshalb angenehmer tragen als ein Baumwollshirt mit demselben Wassergehalt.
Auch von Kunstfasern unterscheidet sich das Tragegefühl. Doch Wolle polarisiert: Während das Odlo-Modell als Hautschmeichler gelobt wurde, wurden Sportful und Icebreaker teils als kratzig kritisiert. Dicke Wollhemden wie die von Odlo oder Icebreaker empfehlen wir zudem wegen ihres Trocknungsverhaltens nur eingeschränkt für stark Schwitzende oder intensives Training. Für entspannte Pedelec-Touren können sie dagegen ideal sein – auch aus einem anderen Grund.
Unbestreitbarer Vorteil von Merinowolle, aus der drei unserer elf Muster ganz oder überwiegend gestrickt sind: Das Naturmaterial entwickelt praktisch keinen Schweißgeruch. Der entsteht nämlich aus der Zersetzung von Schweiß durch Bakterienstämme – die sich auf Wolle nicht ansiedeln, auf Kunstfaser allerdings gerne. Auf welcher Kunstfaser sie das bei wem tun, ist kaum vorherzusagen. Oft entwickelt sich die Geruchsanfälligkeit zudem erst nach vielen Wäschen.
Zwei Langarm-Funktionshemden (GripGrab und UYN) waren antibakteriell ausgerüstet – ein hautärztlich umstrittenes Extra, da es die natürliche Hautflora stören soll. Ohnehin verliert sich die Wirkung mit der Zeit. Neben der Fasermischung trägt auch der Sitz erheblich zum Tragekomfort bei. Wie auflackiert sitzende Shirts fördern durch ihren flächigen Hautkontakt prinzipiell die Thermo-Regulierung, doch für Füllige sind sie eher nicht gemacht. Vor allem Falke, GripGrab, UYN und Van Rysel gehen mit hochelastischen, nahtarmen Hemden diesen Weg. Genussradler können es etwas legerer angehen, doch körpernaher Sitz ist Pflicht.
Den einen, einzigen Testsieger kann es in diesem Produktbereich kaum geben. Zu vielfältig sind die Randbedingungen, zu individuell die Voraussetzungen persönlichen Wohlgefühls. Trotzdem sind wir sicher, dass unsere Empfehlungen helfen, Fehlkäufe zu vermeiden – in unerwartetem Schulterschluss mit den Herstellern. Viele von ihnen geben in den Tiefen der Produktbeschreibung Hinweise auf den Einsatzbereich ihrer Langarm-Funktionshemden. Sie stimmen weitgehend mit unseren jeweiligen Empfehlungen zu Temperatur und Intensität überein.
Normalerweise ist Castelli eine Marke, die mit hoher Funktionalität glänzt. Das „Flanders Warm“ kommt angesichts dieser Erwartungen eher bescheiden weg. Das reine Polyestermaterial trocknet zwar rasant, doch die verfilzte Innenseite nimmt den Schweiß nur sehr zögernd auf. Er bleibt auf der Haut und wird schnell nasskalt. Daher sehen wir den Einsatzbereich im weniger schweißtreibenden Drehzahlbereich. Die Passform orientiert sich Castelli-typisch an schlanken Sportlerinnen und Sportlern, doch das Unterhemd ist aufgrund des nur querelastischen Materials wenig flexibel und „figurtolerant“. Bei der Haptik kritisierten mehrere Versuchspersonen unelastische, kratzende Nähte. Doch einer Testerin war das Shirt offenbar auf den Leib geschneidert: Sie machte es zu ihrem Favoriten.
MYBIKE-Urteil: Befriedigend
Fußball-Veteran Franz Beckenbauer prägte über das Duell Deutschland–England den unvergessenen Satz „We call it a Klassiker“. So ein Klassiker ist auch das seit Jahren fast unveränderte Craft-Hemd. Diese aktuelle Version enthält viel Recycling-Polyester und ein wenig Netzgestrick, insgesamt bleibt es bei der bewährten Funktion. Im Training nimmt das leichte Hemd fühlbar Feuchtigkeit auf, wodurch es etwas kühlt. Die Herstellerempfehlung sieht den Einsatz bei intensiverer Belastung und kühlen, aber nicht eiskalten Temperaturen vor, was auch der Erfahrung unserer Probanden entspricht. Das reine Polyestershirt ohne Elasthan sitzt nicht ganz so straff wie andere, doch dafür trocknet es schnell. Abseits der Belastung kann das Tragegefühl nicht ganz mit den Hautschmeichlern im Test konkurrieren.
MYBIKE-Urteil: Gut
Wer laborfixiert nur auf die Fasermischung und die Trocknungszeiten des Falke-Shirts schaut, wird es total unterschätzen: Es „feuchtelt“ länger als andere Kunstfasermodelle. Dass es trotzdem ein Favorit des sportlichschlanken Testteams ist, verdankt es seiner guten Schweißableitung und seinem sehr eng anliegenden Sitz – bei feuchter Haut ist es sogar schwer anzuziehen. Die volle Passform-Punktzahl verfehlt es wegen des etwas zu weiten Halsbereichs und einer vorderen Länge, die sich in Tights leicht wulstig zusammenrollt. Der Hersteller bewirbt es für milde bis kalte Bedingungen und hohe Trainingsintensität. Das entspricht weitgehend unseren Erkenntnissen. Bei der Temperatur korrigieren wir die Empfehlung etwas in Richtung Wärme. Insgesamt sehr sportlich, aber kein Favorit der Langarm-Funktionshemden für vielstündige Wintertouren.
MYBIKE-Urteil: Gut
So konsequent wie kein Mitbewerber setzt Gore auf schnell trocknendes Material. Weil das innen rau strukturierte Polypropylen den Schweißtransport noch einmal beschleunigt, verstärkt sich das im Vergleich sehr trockene Hautgefühl. Vor allem unter Regenkleidung, die ansonsten einen Nässestau provoziert, kann das Material damit punkten. Die Herstellerempfehlung für hohe Trainingsintensität würden wir im Vergleich zu stärker kühlenden Langarm-Funktionshemden relativieren, doch dafür funktioniert das Gore-Shirt auch auf längeren Runden als erste Lage. Kritikpunkte waren das etwas „plastikmäßige“ Tragegefühl und Schnittdetails wie der etwas niedrige T-Shirt-Kragen. Außerdem dauert es eine Weile, bis beim Anziehen die Ärmel so weit zurechtgezupft sind, dass sie keine störenden Falten mehr werfen.
MYBIKE-Urteil: Sehr gut
MYBIKE-Tipp: “Regen” 2/2023
Die gute Nachricht zuerst: Keine anderen Langarm-Funktionshemden des Tests erhielten für die Passform und den Sitz so viel Lob wie dieses. Es liegt gut an, ohne irgendwo einzuschneiden, und hat die richtigen Proportionen für Sportlerinnen- und Sportler-Körper, inklusive Toleranz nach oben. Ungewaschen riecht es etwas chemisch, was mit der umstrittenen antibakteriellen Ausrüstung zusammenhängen könnte. Nach mehreren Wäschen verflüchtigte sich dieser Duft. Etwas weniger euphorisch sind auch die in der Praxis gesammelten Einschätzungen zum Körperklima: Trotz der komplexen Strick-Strukturen und des hohen Anteils an schnell trocknendem Polypropylen saugt sich das relativ dicke GripGrab-Hemd auch hautnah voll und kann sich klamm anfühlen. Es erhielt für intensivere Dauerbelastung wenig Lob.
MYBIKE-Urteil: Gut
Das teure Merinohemd vereint in sich die Vor- und Nachteile von Wolle: Das Icebreaker-Modell trocknet kaum schneller als ein Baumwoll-T-Shirt, fühlt sich feucht aber deutlich wärmer an. Weil Merinowolle sich nicht so ausgefuchst „zweiflächig“ verstricken lässt wie manche Kunstfaser, bleibt diese feuchte Wärme hautnah spürbar. Für Starkschwitzer und hohe Intensitäten würden wir es deshalb nicht empfehlen. Die Haptik von Merinowolle polarisiert. Ein ansonsten unempfindlicher Tester empfand das Netzgestrick am Rücken als kratzig. Andere lobten das Tragegefühl des trockenen Shirts – Wolle als Funktionsfaser bleibt Gefühlssache. Der Schnitt des (sehr groß ausfallenden) Icebreaker-Hemdes ist sportlich, aber nicht radspezifisch und vor allem an Bauch und Hüfte eher leger als hautnah.
MYBIKE-Urteil: Befriedigend
Die österreichische Firma Löffler ist ein Pionier der Funktionswäsche und verarbeitet in der eigenen Strickerei diverse Faserarten. Beim „Transtex Hybrid“ fällt vor allem der Anteil der aus Holz gewonnenen Faser Lyocell und von Baumwolle auf. Die Fasern sind zweiflächig verarbeitet, Innen- und Außenseite des Shirts unterscheiden sich deutlich in Material und Gestrick. Nach Ansicht der Testerinnen und Tester leitet diese Struktur die Feuchtigkeit gut von der Haut weg in die Außenfläche. Der Schnitt ist schlank und eng anliegend, aber nicht komprimierend. Das fühlt sich auf der Haut für viele angenehmer an als die hautengen Pellen. Nicht radspezifisch, daher vorne relativ lang. Der Hersteller empfiehlt es für mittlere bis hohe Aktivität. Das passt. Ein sehr vielseitiges Shirt mit breitem Einsatzbereich.
MYBIKE-Urteil: Gut
Odlos reines Merinohemd gewinnt ziemlich klar die Hautschmeichler-Wertung der Langarm-Funktionshemden – zumindest im gemäßigten Einsatz. „Fast seidige Oberfläche“ und „Baumwollgefühl“ steht in den Testbögen. Auch die Merino-Mitbewerber Icebreaker und Sportful erreichen nicht solche Haut-Sympathiewerte. In der Trocknungsmessung liegt das Hemd im Mittelfeld, auf ähnlichem Niveau wie etwa Falke, GripGrab oder Löffler. Unter Trainingsbelastung entwickelt es trotzdem das wolltypische feuchtwarme Treibhausklima. Der Hersteller empfiehlt es zutreffend für moderate Anstrengung. Auch der Schnitt ist eher zivil, wie bei einem Langarm-T-Shirt mit schlanken Ärmeln. Im Schulterbereich sowie am Bauch kann es unter engen Trikots Falten werfen. Ein Hemd für kühle Genusstouren, Reisen und Pedelec-Radler.
MYBIKE-Urteil: Gut
MYBIKE-Tipp: “Pedelec” 2/2023
Drei Viertel Wolle, dazu etwas Polyamid, das die Robustheit steigert, und Elasthan für einen hautnäheren Sitz: Sportful hat mit dem Mix seines Merinoshirts gute Voraussetzungen für einen Erfolg geschaffen. Dass es trotzdem nur knapp zu einem „Gut“ reicht, liegt an Schwächen in jedem Einzelbereich. Mehrere, aber nicht alle Testpersonen empfanden das Hemd als kratzig – auch bei Merinowolle gibt es unterschiedlich feine Faserqualitäten. Den Sitz des schnörkellosen und ausreichend elastischen Shirts lobte die Mehrheit, doch eine bessere Wertung scheitert an der geringen Länge, die nur mit Trägerhosen zuverlässig reicht (wer nur solche trägt, sollte keine Probleme haben). Obwohl das Hemd insgesamt sehr schnell trocknet, kritisierte die Mehrheit der Probanden den zu geringen Abtransport des Schweißes.
MYBIKE-Urteil: Gut
Die italienische Hightech-Strickerei hinter UYN protzt mit ihren technischen Möglichkeiten: diverse Oberflächenstrukturen, wechselnde Farben und Dicken... Von diesen Feinheiten spürt man unterwegs wenig, doch unterm Strich ist das Shirt in diesem Vergleich der Langarm-Funktionshemden die Empfehlung für gleichmäßiges Radeln in der Kälte. Das zweiflächige Gestrick leitet Feuchtigkeit in die äußeren Schichten weiter, weshalb es sich trotz seines schwachen Trocknungsverhaltens auf der Haut noch gut anfühlt. Der eher straffe, körpernahe Sitz unterstützt die Funktion. Zwei Kritikpunkte betreffen den Schnitt des für den Wintersport gemachten Hemdes: Die lange Vorderseite aus dem relativ dicken Material rollt sich in Tights wulstig hoch. Und bei einem so warmen Shirt wäre ein etwas höherer Kragen passend.
MYBIKE-Urteil: Sehr gut
MYBIKE-Tipp: “Winter” 2/2023
Rechts überholt: Für weniger als die Hälfte des Durchschnittspreises der Langarm-Funktionshemden im Testfeld bietet Discounter Decathlon mit seiner Hausmarke Van Rysel ein konkurrenzfähiges Rad-Unterhemd an. Diejenigen, die es bei intensiverem Training und mildem Wetter ausprobieren konnten, waren auch ohne Blick aufs Preisschild sehr angetan. Hat man die schlanke und sehr elastische Pelle erst einmal glatt gezupft, überzeugt der rennradmäßige Schnitt mit ausgeprägt langen Armen und körpernaher Schulterpartie sowie einem angenehm hohen Kragen. In Sachen Körperklima ist das Van Rysel allerdings etwas limitiert. Es verteilt den Schweiß gut, hinterlässt aber einen eher leicht kühlenden als deutlich wärmenden Effekt – was sich mit den Angaben des Herstellers zum Einsatzbereich deckt. Die Wärmeleistung im Dauerbetrieb fällt gering aus.
MYBIKE-Urteil: Gut
Vor allem auf langen Ausfahrten bei kalten Bedingungen beeinflusst das Unterhemd stark das Wohlbefinden. Unser Praxistest mit mehr als 50 Mustern, kombiniert mit Labormessungen, führte zu klaren Empfehlungen. Doch die Ergebnisse sind nicht auf andere, vermeintlich ähnliche Produkte übertragbar. Die Erfahrungen mit den diversen Strickarten und Fasermischungen zeigen aber, dass die meisten Hersteller die Funktion gezielt steuern können.
MYBIKE: Kann man als Käufer eigentlich schon am Etikett mit den Materialangaben erkennen, wie sich ein Hemd verhalten wird?
STEFANOVIC: Das geht höchstens bei Wolle. Ein reines Wollshirt wird sich im Zweifel immer ähnlich verhalten, weil die Fasereigenschaften weitgehend festliegen. Bei Kunstfasern sind beispielsweise die Dicken und Querschnitte des Garns einstellbar. Und damit ändern sich die Eigenschaften des Shirts.
Wie entscheidend ist die Struktur des Gestricks, also beispielsweise ein glattes Gestrick wie bei einem T-Shirt im Vergleich zu aufgerauten Innenseiten?
Die Struktur des Gestricks macht einen Riesenunterschied: Maschenweite, etwaige Schlaufen, die Verzwirnung eines Garns – alles das beeinflusst die Trageeigenschaften massiv. Als Kunde kann man das aber kaum vorab beurteilen.
Löffler bietet viele verschiedene Fasermischungen für Funktionswäsche an, auf dem gesamten Markt gibt es noch mehr. Wonach entscheidet sich die Mischung?
Konzipiert wird das für den jeweiligen Einsatzbereich, also eine bestimmte Temperatur und Intensität. Intern muss es auch für die Produktion passen, also Näherei, Zuschnitt und so weiter. Davon abgesehen, ist das ein Ergebnis langer Entwicklungen und vieler Tragetests. Die machen wir sowohl intern als auch mit von uns unterstützten Sportlern.
Sind wenigstens die sich am Ende einig?
Was den Tragekomfort angeht, ist jeder Mensch anders. Und genau wie dem einen immer die Jeans der Marke A gut passen, dem anderen aber Marke B, bevorzugen auch Profis sehr unterschiedliche Materialien bei der Funktionswäsche. Selbst wenn der Schnitt und die Haptik gleich sind, hängt die Wahl doch stark von persönlichen Vorlieben ab.
“Die Struktur des Gestricks macht einen Riesenunterschied.”
Für den Test von Langarm-Funktionshemden für Radsportler waren die Hersteller weitgehend frei in der Wahl der Muster. Weder das Grundmaterial noch der Einsatzbereich wurden vorgegeben.
Weil Labortests nur Teilaspekte der Funktion der Unterhemden überprüfen können, orderte MYBIKE jedes Muster in vier- bis sechsfacher Ausführung. Insgesamt wurden mehr als 50 Muster an erfahrene Radsportler und Radsportlerinnen ausgegeben, die die Langarm-Funktionshemden am Ende des jeweiligen Trainings auf Fragebögen beurteilten. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse, etwa zu Passform, Haptik und Körperklima, wurden mit den Probanden diskutiert. Eine zweite Stufe des Praxistests erfolgte auf dem Ergometer bei gleichbleibender Leistung und Außentemperatur.
Die Feuchtigkeitsaufnahme und der Trocknungsverlauf geben Hinweise auf den Einsatzbereich. Wir haben die Langarm-Funktionshemden eine halbe Stunde lang untergetaucht gewässert, abtropfen lassen und kurz in der Waschmaschine angeschleudert, um Staunässe zu eliminieren. Während des weiteren Trocknens wurden die Hemden in regelmäßigen Abständen gewogen und der Feuchtigkeitsanteil protokolliert. Nach vier Stunden lag die Feuchtigkeit in fast allen Fällen unter fünf Prozent des Materialgewichts. Die Mehrzahl der Shirts ist zweiflächig gestrickt. Innen- und Außenseite unterscheiden sich in Struktur und teilweise Material. Das Ziel ist eine geringe, definierte Feuchtigkeit im unmittelbaren Hautkontakt durch Ableitung des Schweißes in die nächste Textilschicht. Diese Eigenschaft wurde in einem Spraytest mit Wasser überprüft und verglichen.
Labortests und Praxisbewertungen ergänzen und stützen sich. Doch trotz der hohen Zahl an Mustern und Probanden enthalten die Ergebnisse stark subjektive Anteile. Zudem zeichnen sich auch technisch gut konstruierte Langarm-Funktionshemden durch unterschiedliche Einsatzbereiche aus – dargestellt in den Empfehlungen für „Temperatur“ und „Intensität“. Nicht alle Produkte sind für exakt denselben Zweck gemacht. Auf eine Bewertung in Dezimalnoten wurde deshalb verzichtet.