Armin Herb
· 05.01.2018
Wolle, Kunststoff, oder beides? Die erste Schicht auf der Haut ist die wichtigste. Funktionsunterhemden entscheiden über das Wohlfühlklima beim Radfahren – vor allem im Winter.
Welches ist das beste Funktions-Unterhemd für mich? Diese Frage lässt sich so einfach gar nicht beantworten. Mal sind die Hemden zu dick, mal sind sie zu dünn, mal trocknen sie schnell, mal langsam, mal riechen sie stark nach der Radtour, mal fast gar nicht. Dazu gesellen sich noch die recht unterschiedlichen subjektiven Empfindungen jedes einzelnen Sportlers. Nichtsdestotrotz ist die Suche nach dem passenden Textil kein Buch mit sieben Siegeln. Man muss sich nur die verschiedenen Systeme, sprich die diversen Faserkombinationen der Unterhemden genau ansehen.
Auch im Winter schwitzen wir beim Radfahren. Der eine mehr, der andere weniger. Das Schwitzen sorgt dafür, dass sich die Körpertemperatur bei gesunden 37 Grad einpendelt. Der Schweiß nimmt überschüssige Körperwärme auf und gibt sie nach außen ab. Es entsteht Verdunstungskälte. Bei Unterbrechung der Leistung produziert der Körper weniger Wärme, aber ein durchgeschwitztes Unterhemd kühlt weiter, weil weiterhin Feuchtigkeit verdunstet. Es kommt zum unangenehmen Abkühlen. In dieser Situation soll Funktions-Unterwäsche dem Körper helfen. Da in den kälteren Jahreszeiten in der Regel weniger Schweiß zur Kühlung benötigt wird, ist es wichtig, dass die Textilfasern möglichst schnell trocknen, also den Schweiß an die darüberliegende Schicht weitergeben.
Vor allem die geringe Geruchsentwicklung, die guten Wärmeeigenschaften und der Tragekomfort – das feine Merino kratzt nicht, im Gegensatz zu herkömmlicher Wolle – konnte viele Sportler begeistern. Der anfängliche Merino-Hype legt sich allerdings gerade wieder etwas, denn kein Vorteil ohne Nachteil. Reine Wolle ist im Vergleich zu Kunstfasern nicht besonders robust, nach mehreren Wäschen zeigen sich oft schon Abnutzungsspuren und sogar kleine Löcher. Außerdem: Wolle kann zwar bis zu 30 Prozent ihres Eigengewichts an Feuchtigkeit aufnehmen; so lange fühlt sich das auch noch angenehm an, zumal die Naturfaser auch im feuchten Zustand noch wärmt. Ist allerdings die Aufnahmefähigkeit erschöpft, kann die nasse Wolle im Winter auch schnell zum Auskühlen führen. Denn Merino trocknet deutlich langsamer als Synthetikfasern. Deshalb empfehlen sich reine Merino-Shirts in erster Linie für wenig anstrengende Ausfahrten sowie für Radfahrer, die kaum ins Schwitzen kommen.
Mehrere Hersteller mischen heute Wollfasern mit Synthetik, um Passform und Haltbarkeit zu verbessern, aber auch das angesprochene Trocknungsverhalten. Man versucht dabei, die Vorteile beider Materialien zu kombinieren und gleichzeitig die Nachteile zu minimieren. Das gelingt in der Praxis auch ganz gut, wie etwa beim Modell Löffler Transtex Wool. Funktions-Unterhemden mit einer Wolle-Synthetik-Mischung empfehlen sich vor allem für mittlere Intensitäten sowie für die kälteempfindlichen „Normalschwitzer“.
Wer auch im Winter Vollgas geben möchte oder sich zu den stark schwitzenden Menschen zählt, wird in der Regel zu vollsynthetischen Funktions-Unterhemden greifen, auch wenn diese stärker müffeln. Die Gründe: Die Fasern aus Polyester, Polyamid oder Polypropylen leiten den Schweiß besser von der Haut weg und trocknen schneller. Selbst bei starker Belastung werden sie nicht so klatschnass wie Wolle, die dann auch ihre wärmende Funktion verliert. Je nach Außentemperatur und Kälteempfinden wählt man dünnere oder dickere Modelle. Klassiker darunter sind etwa die Polyester-Hemden von Craft. Andere Marken, wie Q36,5, kombinieren noch unterschiedliche Kunstfaserarten, um das Körperklima beim Sport zu optimieren. Zudem versuchen sie, durch netzartige Oberflächen und Bodymapping – also unterschiedlich dichte Strickarten je nach Körperpartie – das Temperatur- und Schweißmanagement zu verbessern.
Und nicht zu vergessen: Nicht nur die verwendeten Textilfasern und die Strickform entscheiden darüber, ob das Funktionshemd auch funktioniert, sondern auch die Passform. Die erste Schicht auf der Haut, auch Baselayer genannt, muss möglichst hautnah anliegen, ohne einzuengen, um den Schweiß wirkungsvoll abzutransportieren.
ELASTAN (EL)
Die gummiartigen Kunstfasern machen Gewebe dehnbar. Sie lassen sich auf das 5- bis 7-Fache ihrer ursprünglichen Länge auseinanderziehen. Der Handelsname ist u. a. Lycra.
POLYESTER (PES)
Die am häufigsten verarbeitete Synthetikfaser nimmt nur etwa 1 Prozent des Eigengewichts an Feuchtigkeit auf. Die sehr feine Faser trocknet deshalb schnell, ist sehr leicht sowie licht- und formbeständig.
POLYAMID (PA)
Polyamid-Fasern sind leicht, reiß- und scheuerfest und formbeständig. Allerdings nehmen sie im Vergleich zu den anderen Kunstfasern mehr Feuchtigkeit auf – rund 4 Prozent des Eigengewichts. Polyamid ist im Vergleich zu Polyester elastischer. Handelsnamen sind auch Nylon und Perlon.
POLYPROPYLEN (PP)
Quasi 0 Prozent – keine Faser nimmt weniger Feuchtigkeit auf. Polypropylen ist robust, scheuerfest, trocknet extrem schnell und kann auch bei höheren Temperaturen gewaschen werden.
MERINOWOLLE
Die Wolle der Merinoschafe – meist aus Australien und Neuseeland – ist deutlich feiner als herkömmliche Wolle und kratzt deshalb nicht. Je nach Dichte und Webart hat Merinowolle einen natürlichen Lichtschutzfaktor von bis zu 50, ist im Gegensatz zu anderen Fasern schwer entflammbar und lädt sich nicht elektrostatisch auf. Sie nimmt bis zu 30 Prozent des Eigengewichts an Feuchtigkeit auf und wärmt aktiv, solange sie noch Feuchtigkeit aufnehmen kann. Merinowolle ist geruchshemmend und trocknet relativ langsam.
Vor allem im Herbst, wenn es in der Sonne noch warm, aber in Waldstücken und auf Abfahrten schon recht kühl ist, greifen einige Radfahrer gerne auf diese Variante zurück. Der Vorteil liegt darin, dass der Windschutz hautnah getragen wird und die kalte Luft nicht bis direkt an den Körper dringt. Viele verzichten dann auf eine Windweste. Allerdings leidet die Atmungsaktivität etwas unter dem dichten Windschutz. Modelle mit Membran, meist in Kombination mit Polyester- oder Polypropylengarn, bieten unter anderen die Hersteller Craft, Gore Wear, Rose und Löffler.
Eine allgemeingültige Empfehlung gibt es für langärmelige Funktionsunterhemden nicht. Wer sehr sportlich unterwegs ist, kommt um Synthetikfaser kaum herum, wie sie z.B. der Klassiker von Craft aufweist. Für die gemütliche Tour bei kühlen Temperaturen empfehlen sich kuschelig-warme Merinohemden, wie die von Icebreaker und Endura. Der Kompromiss für mittlere Intensitäten könnte eine hautsympathische Faserkombination aus Merino mit Polypropylen sein, wie sie Löffler anbietet.
Die Bedeutung von Funktionsunterhemden ist nicht zu unterschätzen. Über diese Textilien vollziehen sich die Schweißabfuhr und die Temperaturregulation der Haut. Wichtig ist ein Material, das den auf der Haut entstehenden Schweiß gut ableitet und auch von der Hautseite her Wärme abführt. Die Haut sollte gerade in der kühleren Jahreszeit möglichst trocken bleiben. Andererseits darf möglichst wenig Kälte von außen nach innen transportiert werden und kein zu starker Luftdurchgang erfolgen. Es muss ermöglicht werden, dass die Hautoberflächentemperatur nicht zu niedrig, aber auch nicht zu hoch wird. Hier besteht die Gefahr, dass die Temperaturregulation zu stark durch die Kleidung beeinträchtigt wird. Dr. Wilhelm Bloch, Leiter der Abteilung für molekulare und zelluläre Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln
Der komplette Artikel stand in Trekkingbike-Ausgabe 2/2018.