Constanze Döhl
· 17.12.2021
Pedelec plus Kinderanhänger statt Zweitwagen? Die MYBIKE-Dauertesterin hat es 1.000 Kilometer weit ausprobiert – und das Rad dafür ein wenig aufgerüstet.
Es gibt viele gute Gründe für ein Pedelec, und offenbar liegen meine nicht ganz im Mainstream: „Sport und Freizeitausflüge“ sind laut einer aktuellen Umfrage des Deloitte-Instituts das am weitesten verbreitete Motiv für einen E-Bike-Kauf. Ich hatte jedoch ganz andere Hintergedanken, als ich mich als Dauertesterin für das Kettler Quadriga Town & Country beworben habe: Ich wollte das Auto ein Stück weit aus meinem Alltag herausdrängen, in dem es sich nach der Familiengründung sehr breitgemacht hatte. Selbst auf kurzen Strecken mit Kleinkind war der Pkw trotz meiner Liebe zum Rad zur Selbstverständlichkeit geworden: Die Kombination aus voll beladenem Kinderanhänger und einem über 20 Prozent steilen Hausberg ist für mich mit normaler Muskelkraft nicht zu bewältigen.
So hat sich eine dicke Staubschicht auf mein Mountainbike gelegt – und trotz des vermeintlich bequemen Autos hat der Alltagsstress zugenommen. Für die meist kurzen Strecken ist das Auto nämlich unpraktisch. Die Parkplatzsuche sowie das Ein- und Ausladen von Kinderwagen und Kind dauern oft länger als die Fahrstrecke selbst. Wer je selbst versucht hat, mit einem weinenden Kind auf der Rücksitzbank den Kinderwagen möglichst flott im Kombi zu verstauen, wird meine Motive mühelos nachvollziehen. Ein Pedelec sollte wieder Fahrtwind in die Haare und Freiheit in den Alltag bringen.
Die entscheidenden Faktoren bei der Wahl des Rades standen schnell fest: Es muss anhängertauglich und wegen des täglich zu bewältigenden Hausbergs auch stark motorisiert sein. Auch eine Alltagsausstattung mit Lichtanlage, Gepäckträger, Ständer und Schutzblechen ist unverzichtbar. Letztendlich fiel meine Wahl auf das Kettler Quadriga Town & Country, zumal es mit seiner integrierten Anhängerkupplung offensichtlich als Zugmaschine für Kinderanhänger ausgelegt ist.
Die Vorfreude auf das Bike war riesig, doch die Enttäuschung nach dem ersten Test war beinahe ebenso groß: Mein Gefährt scheiterte bergab. Auch nach einer langen Einbremsphase entwickelte Shimanos BR-MT-200-Bremse zu wenig Bremskraft. Für das Gespann aus E-Bike, Fahrerin, Kinderanhänger und Kind war der Bremsweg selbst bei niedrigem Tempo so lang, dass ich mich unseren steilen Hausberg nicht hinuntertraute. So rüstete ich das Kettler nach 566 Kilometern mit einer deutlich stärkeren Bremsanlage auf. Maguras MT7-Stopper mit dicken 200er-Bremsscheiben konnte die gestörte Beziehung zwischen dem Quadriga Town & Country und mir beinahe wieder kitten – für mich gehört eine starke Bremse eigentlich serienmäßig zu einem Alltagsrad mit Anhänger-Option.
So aufgerüstet, wurde aus der Zweckbeziehung fast noch eine echte Liebesgeschichte. Die gute Fahrdynamik trotz Anhänger, die komfortable Sitzposition und die entfallende Parkplatzsuche waren die größten Trümpfe des Pedelecs im Duell mit dem Auto. Die breiten Mountainbike-Reifen sorgten außerdem für ein sicheres Fahrgefühl auf Schotterwegen oder bei der Fahrt über Bordsteinkanten. Boschs starker Performance-Antrieb schnurrte beim Anfahren kräftig vorwärts und zog dem Hausberg die Zähne.
Kleinere Zwischenfälle weckten aber Zweifel, ob übliche Fahrradteile den hohen Belastungen am Pedelec gewachsen sind. So verformte sich das zweitgrößte Ritzel der Kassette bei einem starken Antritt, und die Kette rutschte bei hoher Belastung ab und zu über das Kettenblatt an der Kurbel. Auf mich wirkte das, als sei der normale Deore-10-fach-Antriebsstrang von Shimano für den starken Kettenzug eines Pedelecs unterdimensioniert, auch wenn die Verschleißmessung nach 1.000 Testkilometern keine übermäßige Abnutzung offenbarte. Zudem nervte das – mit Hausmitteln behebbare – Klappern einer nicht passgenauen Kunststoffabdeckung am Kettenblatt.
Abgesehen von der zu schwachen Bremsanlage sind die Kritikpunkte aber Lappalien, wenn ich sie mit dem Gewinn an Lebensqualität verrechne: Das Pedelec hat mir den Spaß an den alltäglichen Fahrstrecken zurückgebracht – und ein neues Alltagsproblem geschaffen: Ich muss gleich drei Schlösser mitführen, um das schicke Bike samt Anhänger diebstahlsicher zu parken ...
Das Kettler Quadriga Town & Country hat im Alltag voll überzeugt. Die breiten Reifen und der starke Motor sorgen für eine Fahrdynamik, die selbst sportliche Fahrerinnen begeistern kann. Statt hinterm Lenkrad Stressflecken zu bekommen, wehte mir während der Testphase jede Menge Fahrtwind durchs Haar. Kombiniert man das Pedelec mit einem Anhänger, wird ein Auto für die täglichen Kurzstreckenfahrten nahezu überflüssig. Das Kettler hat in unserer Familie das Zweitauto ersetzt und ist nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken. Nur die schwache Bremsanlage sowie der Antriebsstrang aus Kettenblatt, Kette und Ritzel bieten Anlass zur Kritik.