Uli Frieß
· 02.04.2023
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Zwischen Wocheneinkauf und Werkzeugtransport liegt ein weites Anwendungsfeld für umweltfreundliche Minilaster mit E-Antrieb. Auf Kurzstrecken sind E-Lastenräder unschlagbare Transporthelfer und eine ernst zu nehmende Alternative zum Auto.
Es ist eine Ironie der Geschichte: Vor etwa hundert Jahren verdrängte das Auto Lastenräder weitgehend als Transportmittel. Heute wendet sich das Blatt: Cargo-Pedelecs ersetzen auf innerstädtischen Kurzstrecken immer häufiger das Auto. Die Cargos erledigen ihre Aufgaben umweltfreundlicher, platzsparender und vergleichsweise günstiger.
Für ihre Fahrer sind sie ein Bekenntnis zu einer nachhaltigeren Lebensführung, und gleichzeitig entlasten sie die Innenstädte vom Autoverkehr. Manche Kommune bezuschusst Gewerbetreibende und Privatleute beim Kauf. Weil die Minitransporter bei Familien und Handwerkern immer beliebter werden, haben wir uns fünf Cargo-Pedelecs genauer angesehen.
Drei davon gehören zu einer Fahrradgattung, die bislang eher selten zu sehen ist: Es sind dreispurige Transporter mit Neigetechnik. Beim Richtungswechsel legen sich ihre Räder in die Kurve wie bei einem üblichen, einspurigen Fahrrad.
So sollen sie dynamischer fahren als die typischen Kindergarten-Taxis mit starrer Achse. Chike E-Cargo und Johansson Oscar S sind Dreispurer mit zwei Vorderrädern, das Gleam Escape kombiniert zwei Hinterräder mit einem Vorderrad.
Zwei unserer Testkandidaten sind einspurige Transporter mit einer Ladefläche vor dem Fahrer. Das Packster 70 von Riese & Müller ist ein klassisches Long-John-Lastenrad mit langem Radstand. Die Ladefläche liegt tief und schwerpunktgünstig zwischen Fahrer und Vorderrad. Ähnlich aufgebaut ist das e.Yoonit smart, doch seine Ladefläche ragt zum Teil übers Vorderrad hinaus. Der Schwerpunkt liegt deshalb etwas höher.
Wie sehr unterschieden sich Einspurer und Dreispurer im Fahrverhalten? Um das herauszufinden, haben wir die Cargos für die Fahrtests praxisnah mit 40 Kilo beladen. Überraschung: Unsere Erwartung, dass sich die einspurigen Transporter spritziger fahren lassen als die Dreispurer, hat sich nicht bestätigt. Aufgrund ihrer aufwendigen Achskonstruktionen legen sich die dreispurigen Transporter samt Fahrer und Ladung souverän in die Kurve.
Gegenüber Einspurern haben sie kaum fahrdynamische Nachteile beim Einlenken und bei der Kurvenstabilität. Dass ein Einspurer, nämlich das Riese & Müller Packster, sich mit dem geringsten Kraftaufwand steuern lässt, liegt vor allem an seinem tiefen Schwerpunkt und der sehr leichtgängigen Seilzuglenkung.
Sie verschafft dem langen Gefährt auch beim Rangieren Vorteile. Das Vorderrad lässt sich deutlich weiter einschlagen, als es mit einer Schubstange zwischen Lenkermast und Vorbau möglich wäre.
Einzig die Länge des Packster ist für Long-John-Neulinge gewöhnungsbedürftig. Weil das Vorderrad weit vorne liegt und zudem für den Fahrer nicht sichtbar ist, lenkt man das Pedelec bei den ersten Fahrversuchen etwas zu früh und zu weit ein. Auch beim kompakten e.Yoonit liegt das Vorderrad außerhalb des Blickfelds des Fahrers.
Das Rad ist aber deutlich kürzer und deshalb einfacher zu steuern. Weil der Schwerpunkt des beladenen Rads etwas höher liegt als beim Packster, sind vor allem beim Rangieren höhere Kippmomente spürbar. Die beiden Einspurer werden auf einen zentralen Zweibeinständer aufgebockt wie ein Motorrad.
Auch die Dreiachser sind beim Abstellen speziell. Durch ihre Neigetechnik würden sie im Stand seitlich wegkippen und die Last abwerfen. Die Hersteller lösen das Pro-blem unterschiedlich: Beim Johansson fixiert eine in der Achse integrierte Reibungsbremse die Ladefläche in jeder gewünschten Neigung. Die Bedienung erfolgt bequem über einen Lenkerdrehgriff. Die Achsen des Gleam und des Chike sind ebenfalls feststellbar, ihre Ladeflächen müssen dafür jedoch in eine waagerechte Position gebracht werden.
Gegen unbeabsichtigtes Wegrollen haben alle Dreiräder Feststellbremsen. Die Entscheidung für eines der Räder hängt sinnvollerweise auch von seinen Eckdaten ab. Beim Rangieren oder wenn das Rad durch eine Tür passen muss, zählen Länge und Breite. Zwei der dreispurigen Testräder, das Chike und das Johansson, sind auf kompakte Abmessungen getrimmt, während das Gleam Escape und das einspurige Riese & Müller etwa 2,5 Meter lang sind.
Kaufentscheidend sind auch das Gewicht des Rades, sein maximales Gesamtgewicht und die maximale Zuladung auf der Transportfläche. Griffige Bremsen braucht deshalb vor allem das Gleam Escape, denn mit 270 Kilo maximalem Kampfgewicht ist das Rad ein echter Schwertransporter. Das 70 Kilo schwere Pedelec fährt sich dank seiner Neigetechnik und der hinter dem Fahrer angeordneten Ladefläche wie ein normales Fahrrad. Am anderen Ende der Skala steht das schlanke e.Yoonit mit nur 26 Kilo Eigengewicht und 190 Kilo maximalem Gesamtgewicht.
Jenseits der reinen Transportvernunft dürften Technikfans sich auch für manche Detaillösung begeistern. Das Johansson protzt mit Doppel-Querlenkerachse mit Dreieckslenkern und integriertem, quer liegendem Dämpfer, einem technischen Schmankerl. Beim Gleam sind beide Hinterräder angetrieben, einzeln aufgehängt und über Gates-Carbonriemen mit einem Differenzial verbunden. Der konstruktive Aufwand des Hinterbaus ist feinster Maschinenbau – und dem Niveau der Automobiltechnik dicht auf den Fersen.
Das Schwerlastrad der Wiener Bike-Schmiede besticht durch das hohe Niveau seiner Hinterrad-Achskonstruktion. Die Technik basiert zum großen Teil auf Ingenieur-Know-how aus der Motorradwelt. Über eine zentrale Achswippe realisierten die Macher eine intelligente Neigefunktion mit integriertem Niveauausgleich: Die Achse gleicht Höhenunterschiede zwischen den Hinterrädern aus und hält so die Ladefläche auch auf sehr unebenem Boden waagrecht.
Ein Differenzial verteilt die Motorkraft auf beide Hinterräder, zwischen Antrieb und den Hinterachsschwingen sitzt ein stufenloses Enviolo-Getriebe. Dass sich der hohe Aufwand lohnt, beweist das Gefährt in Aktion: Selbst mit hoher Last auf der Ladefläche ändern sich die guten Fahreigenschaften nicht. Das Pedelec rollt wendig und gut kontrollierbar. Einzig fürs Anfahren braucht es etwas Übung, zu Beginn wehrt sich das Escape beim Beschleunigen aus dem Stand gegen Richtungsänderungen. Nach wenigen Versuchen klappt das aber tadellos. Fazit: Das Gleam ist ein kompromissloser Schwertransporter mit hoher Zuladung, aber auch hohem Eigengewicht und etwas unhandlichen Abmessungen.
Stärken: hohe Zuladung, Achse mit Neigetechik und Niveauausgleich
Schwächen: sehr schwer, etwas unhandlich
>> Das Gleam Escape bekommt eine Test-Gesamtnote von 1,7 und ist damit Testsieger!
Das Chike überzeugt durch seinen einfachen Aufbau. Abgesehen von der Doppellenker-Vorderachse ist die Technik überschaubar. Ein einfacher Elastomer-Block dämpft die Neigeachse. Das Rad ist deshalb wenig reparaturanfällig und wartungsarm. Lenkbewegungen werden mit Schubstangen auf die Achsschenkel übertragen, beide Vorderräder sowie das Hinterrad sind gebremst. Chike-Fahrer werden den komfortablen Antriebsstrang aus Shimano-Motor und elektromechanischer, per Taster schaltbarer Fünfgang-Nabe schätzen.
Sie wechselt die Gänge auf Wunsch automatisch und schaltet beim Anhalten in einen vorab programmierbaren Anfahrgang. Beim Anfahren setzt das Chike Lenkimpulse etwas verzögert und ungenau um. Generell verlangt der Transporter nach weichen Steuerbewegungen, dann rollt er spurtreu und lenkt sich direkt. Die Vorderachse dämpft befriedigend, eine Teleskopsattelstütze würde den Fahrkomfort spürbar verbessern. Die Seitenwände der Holz-Transportbox können per Schnellverschluss einfach demontiert werden. Zur Sicherung der Ladung gibt es in den Boden eingelassene Verzurrschienen.
Stärken: wartungsarmer Aufbau, automatische Fünfgang-Nabe
Schwächen: einfacher Elastomer-Dämpfer
>> Das Chike E-Cargo bekommt eine Test-Gesamtnote von 1,9
Highlight des Oscar S ist die technisch ausgefeilte Doppel-Querlenkerachse mit Dreieckslenkern. Die grazilen Alu-Querlenker sind aus dem Vollen gefräst, ein quer zur Fahrtrichtung stehender, einstellbarer Dämpfer glättet Fahrbahnstöße effektiv. Während die Last dadurch gefedert ist, würde sich der Fahrer über eine entsprechende Sattelstütze freuen. Das Johansson rollt dennoch insgesamt komfortabel und überzeugt durch seine spritzige Dynamik. Beladen setzt der Dreispurer Lenkbewegungen zwar geringfügig verzögert um, folgt aber präzise der gewählten Spur.
Wie auch beim Chike und Gleam bewirkt die Neigeachse ein sehr stabiles Kurvenverhalten und verhindert ein Verrutschen der Ladung durch hohe Fliehkräfte. Die Neigung der Vorderachse lässt sich zum Parken per Lenkerdrehgriff stufenlos fixieren, ohne die Ladefläche gerade zu stellen. Johansson bietet ein breites Spektrum an Trägeraufbauten für das Rad an. Damit verschieden lange Aufbauten problemlos montiert werden können, ist das zentrale Rahmenrohr als Teleskoprohr ausgeführt. Die Sattelstütze ist in einem weiten Bereich höhenverstellbar. Leider lässt sich der Vorbau nur geringfügig der Fahrergröße anpassen.
Stärken: durchdachte Vorderachse, präzise Steuerung
Schwächen: Vorbau kaum höhenverstellbar
>> Das Johansson Oscar S bekommt eine Test-Gesamtnote von 1,8
Mit dem Modell „Load“ hatte Riese & Müller einen Lastenrad-Klassiker geschaffen. Das neuere Packster 70 ist am Hinterrad ungefedert und vielseitiger auszustatten.Statt der Gitterrohr-Konstruktion des Load besteht der Rahmen des Packsters aus Alu-Kastenprofilen. Diese voluminösen Profile nutzt der Hersteller clever: In den Rahmenunterzügen sitzen die Akkus geschützt und schwerpunktgünstig. Die Hartschaum-Ladebox fasst bis zu 240 Liter und kann mit steckbaren Trennwänden in Fächer aufgeteilt werden.
Wer das Packster als Kindertaxi nutzen möchte, rüstet die Box mit Sitzen auf. Zwischen Lenkermast und Vorbau überträgt ein Seilzug Steuerimpulse aufs Vorderrad, das System arbeitet ohne fühlbares Spiel. Dass ungeübte Fahrer beim Anfahren mit der Lenkung fremdeln könnten, liegt nicht an der Steuermimik, sondern am weit und unsichtbar vor dem Fahrer liegenden Vorderrad. Sobald der Transporter rollt, lässt er sich kontrolliert und präzise per Gewichtsverlagerung steuern. Positiv ist uns der Ständer aufgefallen: Der lange Transporter lässt sich mit sehr wenig Kraftaufwand sicher darauf abstellen. Sein hoher Preis erklärt sich unter anderem aus der riesigen Akkukapazität.
Stärken: leichte Steuerung, dämpfende EPP-Transportbox
Schwächen: recht lang
>> Das Riese & Müller Packster 70 bekommt eine Test-Gesamtnote von 1,7 und ist damit Testsieger
Das Yoonit ist ein leichter, handlicher und kompakter Transporter für nicht zu schwere Lasten – und damit eine Alternative zu den etwas sperrigeren High-End-Cargos. Shimanos stärkster Motor schiebt den Einspurer vehement nach vorn, die mechanisch schaltbare Fünfgang-Getriebenabe wechselt ihre Gänge auch unter Last zuverlässig und verzögerungsfrei. Ein Gates-Riemen statt Kette komplettiert den wartungsarmen Antriebsstrang. Auf Fahrkomfort haben die Macher weniger Wert gelegt, es gibt keinerlei Federelemente.
Der schmale Lenker muss ohne Ergogriffe auskommen, wegen der kleinen Laufräder und der steifen Starrgabel ist das Fahrverhalten etwas hart. Das lange Zentralrohr zwischen Rahmenknoten und Vorderrad ist nicht sehr verwindungssteif. Vor allem beladen drängt das Yoonit deshalb bei hastigen Lenkimpulsen leicht aus der Spur. Der einstellbare Lenkungsdämpfer verbessert das Fahrverhalten spürbar. Wer vorausschauend fährt und Kurven sanft einleitet, hat das Yoonit jederzeit gut im Griff. Gut gefallen hat uns der große Einstellbereich von Sattelstütze und Vorbau. Damit lässt sich der Universalrahmen auf viele Fahrergrößen einstellen. Ein etwas breiterer Lenker würde die Kontrolle übers Rad weiter verbessern.
Stärken: leicht und handlich, potenter Antrieb
Schwächen: nicht sehr komfortabel, wenig steifer Rahmen
>> Das Yoonit E.Yoonit Smart Burgundy bekommt eine Test-Gesamtnote von 2,1