Uli Frieß
· 17.01.2022
Vollfederung und breite Stollenpneus machen Crossover-E-Bikes fit für komfortable Fahrten abseits des Asphalts. Das Stevens E-Inception kann aber auch Straße.
Vollgefederte Crossover-E-Bikes wie das Stevens E-Inception sind fit für unwegsames Gelände sowie Feld- und Waldwege. Weil sie auch auf Asphalt eine gute Figur machen, Randsteine und Schlaglöcher klaglos überrollen, sind sie beinahe perfekte Allrounder. Nur beinahe perfekt deshalb, weil die Vollfederung mit Hinterradschwinge, Dämpfer und Federgabel die Räder zwar sehr komfortabel, aber auch schwer macht. Zudem verlangen die Dämpferelemente nach regelmäßiger Wartung. Ihre breiten Reifen und Felgen erhöhen die rotierenden Massen, deshalb fahren sich die Boliden weniger spritzig als leichtere Trekking-Pedelecs. Die vom Mountainbike abgeleiteten flachen Lenkwinkel sowie der daraus resultierende lange Radstand stabilisieren den Geradeauslauf der Crossover-Tourer. Das ist während steiler Bergabfahrten im groben Geläuf ein großer Sicherheitsgewinn, geht aber ebenfalls auf Kosten eines agilen Fahrverhaltens.
Vollgefederte Fahrwerke machen E-Bikes unvergleichlich komfortabel. Je günstiger das Verhältnis zwischen gefederter und ungefederter Masse ist, desto mehr. Zur ungefederten Masse gehören im Wesentlichen Laufräder, Bremsen, Hinterradschwinge und Gepäckträger. Diese Bauteile sind quasi vor der Federung angeordnet und sollten möglichst leicht sein. Sie folgen dem Fahrbahn-Profil, während die gefederte Masse – bestehend aus Fahrer und restlichem Rahmenverbund – im Idealfall bewegungsarm auf ihrer Horizontalebene bleibt.
Grundsätzlich gilt: Je schwerer die ungefederte Masse gegenüber der gefederten ist, desto weniger sensibel arbeitet eine Vollfederung. Fully-Fahrer spüren das vor allem mit viel Gepäck auf dem Träger, dann kann das Hinterrad dem Untergrund schlechter folgen. Es verliert Traktion und schmiert im schlimmsten Fall weg. Dennoch profitiert ein vollgefedertes Pedelec auch mit viel Gewicht auf dem Träger. Denn das hohe Gewicht von Fahrer, Motor, Akku und restlichem Rahmenverbund ist gedämpft, die gefederten Massen bleiben im Verhältnis zu den ungefederten hoch. Sind Federung und Dämpfung richtig eingestellt, rollt das Pedelec auch mit Gepäck sicherer über Hindernisse. An vollgefederten Rädern dringen Fahrbahnschläge nur marginal bis zum Sattel durch. Der Fahrer sitzt entspannter und ermüdet nicht so schnell. Die Traktion verbessert sich, das Rad lässt sich effizienter kontrollieren und rollt sicherer.
Dennoch kann ein Crossover-Pedelec genau die richtige Wahl sein: Es ist vielseitig, komfortabel und sehr weitläufig einsetzbar. Für Radhersteller liegt es auf der Hand, Rahmengeometrie und Ausrüstung von Mountainbikes als Basis für Crossover-Pedelecs zu nutzen. Denn vieles, was ein Crossover-Tourer braucht, ist bei E-MTB-Fullys Standard. So musste Stevens nicht viel am Rahmen ändern, um aus der aktuellen All-Mountain-Serie ein Crossover-E-Bike abzuleiten. Rahmendesign, Dämpferanlenkung und sogar der recht flache Steuerrohrwinkel von nur 66 Grad belegen die direkte Abstammung des E-Inception vom Mountainbike. Auch die restlichen Komponenten würden einem E-MTB größtenteils gut stehen. 29-Zoll-Laufräder, Schaltung, Bremsen, Vorbau, Lenker und Dropper-Post-Sattelstütze finden sich auch an aktuellen Gelände-Spezialisten. Lediglich das voll einstellbare Rock-Shox-Fahrwerk hat Stevens moderat ausgelegt, 120 Millimeter Federweg müssen reichen. Schwalbes Johnny-Watts-Stollenreifen ist zwar ein sehr guter Kompromiss, für technisch anspruchsvolle Trails wäre er jedoch nicht erste Wahl. Dafür läuft er auch auf Asphalt ruhig und mit gutem Grip.
Bei der Wahl der Straßenausrüstung hat Stevens ins High-End-Regal gegriffen. Die Lenkermitte ziert ein M99-Mini-Pro-25-Scheinwerfer von Supernova mit Fernlichtfunktion. Der Scheinwerfer hat eine Einschaltautomatik und Nahfeldausleuchtung, und das Fernlicht erhellt die Nacht mit satten 260 Lux. Das zierliche Rücklicht stammt von Busch und Müller, es fügt sich unauffällig ins hintere Schutzblech. Am Gepäckträger lassen sich lediglich Packtaschen einhängen, sie dürfen je Seite maximal acht Kilo schwer sein. Dafür ist der Träger in sich sehr stabil und stützt sich kraftschlüssig am hinteren Ausfallende ab. Das verhindert unerwünschte Schwingungen im Hinterbau. Deshalb und weil die Transportlast in Packtaschen den Schwerpunkt tief hält, profitieren sowohl Handling als auch Fahrsicherheit.
Während unserer Fahrtests konnte das E-Inception mit exzellentem Fahrkomfort überzeugen. Vor allem abseits asphaltierter Wege zeigt sich das Rad sehr laufruhig und sicher. Selbst armdicke Wurzeln und grobes Waldweg-Geläuf bringen das Stevens nicht aus der Ruhe, das Rad überrollt Hindernisse stoisch und ohne Ausbrechtendenz. Neben der Vollfederung punkten dort vor allem die speziell für Crossover-Räder entwickelten, 60 Millimeter breiten Reifen. Das Pedelec lenkt sich direkt, die Schwalbe-Bereifung hält das Pedelec vorbildlich in der Spur. Trotz des hohen Gewichts beschleunigt Boschs stärkste Motorvariante das Stevens auch auf grobem Untergrund ausreichend gut. Auf Asphalt rollt der Crossover-Tourer wendig, aber – wie zu erwarten – nicht wirklich agil. Dafür punktet er auch dort mit hoher Spurtreue und herausragendem Fahrkomfort.
Das Stevens ist toll verarbeitet und bietet einige sinnvolle wie durchdachte Details. Die Abdeckung der Ladebuchse im Rahmenknoten ist wertig und schließt zuverlässig, Kabel und Züge verschwinden im Steuerrohr und verlaufen beinahe durchgehend im Rahmen. Das Kiox-Farbdisplay stellt eine hohe Informationsfülle bereit und ist gut ablesbar. Einzig die Transportkapazität auf dem Träger könnte höher sein.
Ein komfortables Touren-Pedelec mit sehr guten Fahreigenschaften auch abseits asphaltierter Straßen. Für Radreisen eignen sich vor allem wegen der begrenzten Gepäck-Zuladung andere Räder besser.
Der Preis des E-Bikes beläuft sich auf 4.999 Euro.