Uli Frieß
· 13.08.2022
Touren-E-Bikes verringern Distanzen und erweitern den Horizont. Wie gut sie das können, zeigen sieben Tourer der oberen Mittelklasse im MYBIKE-Test.
Nichts entspannt so intensiv wie eine ausgedehnte Fahrradtour – vorausgesetzt, man hat einen passenden und sicheren Partner unterm Sattel. Denn auch weit abseits von Radwerkstätten muss man sich auf Touren-E-Bikes jederzeit wohlfühlen. Wer schon vor dem Start Zweifel an der Qualität seines Tourenrades hat, wird unterwegs wenig Freude haben. Grundvoraussetzung ist also Vertrauen ins Material. Ein Pedelec nur nach der Größe seines Akkus auf seine Tourentauglichkeit hin zu beurteilen, könnte sich unterwegs rächen.
Systembedingt sind E-Bikes deutlich schwerer als Räder ohne Zusatzantrieb. Um die Pedelecs stabil und fahrsicher zu bekommen, stecken Konstrukteure viel Material in Rahmen, Gabeln und Laufräder. Die heute üblichen, großen und schweren Akkus erhöhen das Radgewicht zusätzlich. Das gilt insbesondere für die E-Tourer: Unsere Testräder wiegen im Mittel 27 Kilo. Das hohe Gewicht verbessert zwar die Sicherheit, doch diese Pedelecs sind nur noch eingeschränkt alltagstauglich – vor allem dann, wenn man sie ab und zu in den Fahrradkeller tragen muss.
Zudem schränkt das hohe Systemgewicht die mögliche Zuladung ein, denn das zulässige Gesamtgewicht wächst nur selten mit. So dürfen bei Scott Fahrer und Gepäck zusammen nur 100 Kilo wiegen, während die Konkurrenz immerhin 110 bis über 130 Kilo Belastung zulässt. Fahrsichere Pedelecs müssen aber nicht übermäßig schwer sein. Mit nur knapp über 23 Kilo Kampfgewicht ist das Stevens E-8X Tour deutlich leichter als der Testfeld-Durchschnitt. Sein mit 500 Wh recht kleiner Akku trägt seinen Teil dazu bei, die Reichweite verringert sich gegenüber der Konkurrenz jedoch nur wenig.
Uli Frieß, Testredakteur: „Gute Touren-Pedelecs sind idealerweise Alleskönner. Ein steifes und fahrstabiles Fahrwerk ist deshalb ein Muss. Leider sind viele Tourer deshalb unverhältnismäßig schwer, das schränkt ihre Alltagstauglichkeit ein. Davon abgesehen, ist das qualitative Niveau in der oberen Mittelklasse erfreulich hoch.“
Wichtig und oft zu wenig beachtet: Touren-E-Bikes müssen sich komfortabel fahren. Eine bequeme Sitzposition ist dafür ein Muss. Ergonomisch günstig sitzen Tourenradler in der goldenen Mitte zwischen aufrecht und sportlich gestreckt, und nicht zu weit hinten. So rückt der Schwerpunkt nach vorn, was gerade bei Tourenrädern den Kontakt zur Straße verbessert: Die Hecklastigkeit durch das Gepäck reduziert sich, und das Rad lässt sich spurtreuer durch Kurven dirigieren. Auch voluminöse Reifen ab etwa 47 Millimeter Breite verbessern den Fahrkomfort. Sie können mit weniger Luftdruck gefahren werden und überrollen Hindernisse leichter. Weil sie schwerer sind, benötigen sie fürs Beschleunigen zwar mehr Energie, bei Rädern mit E-Antrieb spielt das aber nur eine untergeordnete Rolle.
Breite Reifen schlucken Stöße vom Untergrund, dämpfen aber nicht. Eine gute Federgabel kann beides. Die Dämpfung verhindert, dass das Vorderrad beim Ausfedern den Kontakt zur Straße verliert. Gerade bei schweren Rädern erhöht sich dadurch die Fahrsicherheit deutlich. Voraussetzung ist, dass sich die Gabel möglichst fein aufs Systemgewicht aus Rad, Fahrer und Gepäck einstellen lässt. Das können Luftfedergabeln deutlich besser als Stahlfedergabeln. Mit einer Gabelpumpe kann man ihren Innendruck – und damit den nutzbaren Federweg – zielgenau ans Systemgewicht anpassen. Bei reinen Stahlfedergabeln lässt sich über die Vorspannung nur die Anfangshärte einstellen. In der Preisklasse ab 4.000 Euro sollten Luftfedergabeln eigentlich Standard sein. Wir vermissten sie am Advanced und am Specialized.
Bis auf einen Motor stammen sämtliche Antriebe unserer Testräder von Bosch. Das Specialized-2.0-Motorsystem des Specialized Vado 4.0 ist eigentlich ein Brose Drive S Mag. Die Software der Motorsteuerung stammt jedoch von Specialized. Sein maximales Drehmoment von 70 Nm liegt zwischen dem des Bosch Performance (65 Nm) und den 85 Nm des Bosch Performance CX. Das Specialized-System hat einen 710 Wh großen Akku und ein Farbdisplay mit großer Informationstiefe. Damit ist es in Ausstattung und Leistung den Bosch-Systemen durchaus ebenbürtig. Ein weiterer Unterschied des Specialized zu den übrigen Pedelecs im Testfeld: Statt auf 28-Zoll-Laufrädern rollt das Vado 4.0 auf 27,5-Zoll-Pneus. Sie machen das Pedelec trotz der breiten Reifen etwas agiler.
Für unseren Tourenrad-Test haben wir nur Räder mit Kettenschaltungen ausgesucht. Sie bieten im mittleren Preisniveau sinnvoller abgestufte Gänge als Räder mit Getriebenaben. Auch der Aus- und Einbau des Hinterrads ist bei einer Kettenschaltung deutlich einfacher. Dafür sind Pflegeaufwand und Verschleiß höher. Trotz kraftvoller Motoren und großer Akkus sollten Tourenfahrer auf Schaltungen mit möglichst hoher Übersetzungsbandbreite achten. Das hilft an steilen Anstiegen und macht den Einsatz eigener Muskelkraft bei Bedarf effizienter. Weil die Mittelmotoren der Testräder kein zweites Kettenblatt zulassen, stellen die verbauten Schaltwerke von Shimano und Sram zehn bis zwölf breit gefächerte Gänge bereit. Deren Übersetzungsbandbreiten sollten für die meisten Touren mit Gepäck gut ausreichen. Für ambitionierte Tourenradler sind die XT-Schaltwerke von Shimano (Cube, Scott, Stevens) erste Wahl.
Stevens und Scott punkten vor allem mit Bestnoten bei der Fahrsicherheit. Den besten Fahrkomfort bieten das Cube und das Scott, beim Antrieb hat wiederum das Stevens die Nase vorn. Die Service-Bestnote sichert sich das Advanced Trekking Pro mit 30 Jahren Garantie auf den Rahmen.
Akkugrößen mit mindestens 625 Wh sind in der oberen Mittelklasse mittlerweile Standard, zwei Pedelecs im Test bringen es sogar auf über 700 Wh. Entsprechend groß sind die erzielten Reichweiten. Einziger Ausreißer ist das Stevens mit „kleinem“ 500-Wh-Energiespender. Das leichte und leicht laufende Pedelec schafft damit immerhin knapp 80 Kilometer. Die Reichweiten messen wir auf unserem Rollenprüfstand. Dort fahren die Pedelecs ein realistisches Streckenprofil ab. Die erzielte Reichweite fließt zusammen mit dem Energieverbrauch in die Antriebsnote ein.
Den kompletten Vergleichstest der Touren-E-Bikes aus MYBIKE 4/2022 inkl. aller Einzelbewertungen können Sie kostenpflichtig hier als PDF herunterladen.