Stefan Loibl
· 22.04.2014
Die Größe macht’s. Nach dem Siegeszug der 29er, drängen jetzt die 27,5-Zoll-Mountainbikes neu in den Markt. In unserem 1000-Euro-Testfeld schlagen sich beide tapfer.
Die gute, alte Zeit: Vor drei, vier Jahren war es noch einfacher für den Fachhändler, wenn ein Mountainbike-Neuling in den Bikeshop kam, um sich ein neues Sportgerät zuzulegen. Dann erkundigte sich der Händler kurz nach den Eckdaten: Wo wird das Bike eingesetzt? Im Wald, auf Schotter und auf leichten Trails vor der Haustür. Was möchten Sie ausgeben? Maximal 1000 Euro. Und schon schob der Shop-Besitzer seinem Kunden zwei, drei passende 26-Zoll-Hardtails zur Probefahrt heran. Der Kunde drehte ein paar kurze Runden und entschied sich für eins der Einsteiger-Hardtails. Anschließend verhandelten beide über individuelle Wünsche: ein anderer Sattel? Vielleicht noch einen kürzeren Vorbau? Und schon hatte das Bike seinen Besitzer gewechselt.
Heutzutage muss sich der Fachhändler bereits bei der Vororder den Kopf zerbrechen, welches Bike er sich in welcher Laufradgröße in den Laden stellt. Manche Hersteller bieten schließlich ihr günstiges Hardtail-Programm in drei, fast alle aber zumindest in zwei Laufradgrößen an. 26 Zoll muss dabei immer mehr weichen, zugunsten der neuen Zwischengröße 27,5 Zoll. Jeder Hersteller versucht, auf den 27,5-Zug aufzuspringen, nach dem Motto: Hauptsache nicht die Abfahrt verpassen. Auch für 29-Zöller hat sich mittlerweile die Auswahl an günstigen Komponenten am Markt verbessert, so bieten viele Hersteller die 29er bereits ab Preispunkten von 500 Euro an. Große, neue Welt: Genau diese Entwicklung bildet sich 1:1 in unserem Testfeld ab. Fünf 27,5-Zoll-Hardtails und vier 29er haben die Fachhandelsmarken in den Ring geschickt. K.o. für 26 Zoll? Nicht ganz, denn einige Hersteller wie Drössiger, Müsing und Ghost setzen in ihrer preiswerten Hardtail-Palette parallel auf 26 Zoll. Warum keine Versender? Weil Biker-Neulinge die professionelle Beratung und das Service-Plus beim Händler gerne in Anspruch nehmen. Bestellräder für erfahrene Biker, die auch mal selbst an ihren Rädern schrauben und wissen, was sie wollen, blieben deshalb außen vor.
Egal, ob beim Händler des Vertrauens gekauft oder im Internet bestellt, nach wie vor legt ein solider Alurahmen mit ausgewogener Geometrie die Basis für ein gutes Hardtail. Ziel muss es sein, dass das Bike genauso effizient klettert, wie es im Downhill über Wurzeln und verwinkelte Trails zirkelt. In Sachen Gewicht drückt das Laufradwachstum ordentlich auf die Waage: Wo früher fast alle Rahmen um die 1800-Gramm-Marke pendelten, wiegt das aktuelle Test-Feld im Schnitt satte zwei Kilo. Bulls (1802 g) und Müsing (1880 g) zeigen aber, dass auch 27,5- und 29-Zoll-Chassis nicht schwer sein müssen. In den kommenden Jahren wird sich in puncto Gewicht sicher auch in der Breite des Marktes noch etwas tun, da 2014 für alle Test-Kandidaten der erste 27,5-Zoll-Jahrgang ist. Auch beim Gesamtgewicht unterbietet lediglich Bulls seine Vorjahresmarke von 11,8 Kilo, alle anderen Modelle wiegen deutlich mehr als die 26-Zöller aus den Vorjahresvergleichen. 12,9 Kilo im Durchschnitt muss man fürs Modelljahr 2014 einkalkulieren. Ein Blick zurück: 2011 lag das durchschnittliche Gesamtgewicht beim BIKE-Test noch bei 12,2 Kilo, im vergangenen Jahr wogen die 26-Zoll-Hardtails 12,6 Kilo. Sicher sind ein paar Gramm mehr kein Beinbruch, zumal die 1000-Euro-Hardtails sowieso nur höchst selten im Renneinsatz gegen die Zeit kämpfen. Gemäßigte Trails und Touren durch den Wald oder auf Schotter bleiben die Spielwiese der preiswerten Alu-Hardtails – auch mit ein paar Gramm Mehrgewicht. Doch allein auf die größeren Laufräder lässt sich das Zusatzgewicht nicht abwälzen. Auch bei der Zusammenstellung von Schaltkomponenten und Federgabeln unterscheidet sich der aktuelle Jahrgang.
Mehr als jede teure Schaltkomponente beeinflusst die Federgabel das Handling und den Fahreindruck der Einsteiger-Hardtails. Sensibel bei kleinen Schlägen, genügend Reserven für größere Absätze und maximal 1700 Gramm schwer: So sieht die perfekte Gabel für ein 1000-Euro-Hardtail aus. Genau diese Kriterien erfüllt die Rock Shox Reba seit Jahren und gilt deshalb zurecht als Benchmark in dieser Preisklasse. Allerdings spendiert nur Bulls seinem Copperhead die sensible Luftfedergabel. Alle anderen weichen auf günstigere und leider auch minderwertigere Modelle aus. In Kreidler und Principia steckt die nicht besonders geschmeidige, überdämpfte SR Suntour Raidon mit zwei Kilo. Ghost und Müsing greifen zum absoluten Low-Budget-Modell von Rock Shox, der XC 32. Die funktioniert zwar passabel, wiegt mit ihren Stahlstandrohren aber 2,15 Kilo. Lediglich die etwa 1,8 Kilo schwere TK Gold 30 – in Drössiger, Felt und Univega verbaut – spricht einigermaßen sensibel an und nutzt den kompletten Federweg auf unserer mit Felsblöcken und Absätzen gespickten Testrunde. Eins haben jedoch alle Gabeln im Testfeld gemeinsam: Sie lassen sich bei langen Kletterpartien oder auf Asphalt per Lenkerfernbedienung blockieren, ohne die Hände vom Lenker nehmen zu müssen. Am bedienfreundlichsten fällt dabei der Pushloc-Hebel von Rock Shox aus, der die Reba-Gabel am Bulls verhärtet. Von der Dämpfung bis zu den Schaltkomponenten, denen im Shop oft mehr Beachtung geschenkt wird, als sie eigentlich verdienen, gilt: Da die Mehrheit der Käufer so auf gewisse Shimano-Teile fixiert ist, springen die Hersteller darauf selbstverständlich an – an acht von neun Test-Bikes blenden XT-Schaltwerke und gaukeln unerfahrenen Einsteigern eine hochwertige Schaltung vor. Eine komplette XT-Gruppe dagegen verbaut keiner der Hersteller in diesem Preisbereich, stattdessen setzt man bei weniger prominenten Komponenten wie den Schalthebeln oder am Umwerfer Teile günstigerer Shimano-Gruppen ein.
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