Räder für alle Fälle

Jochen Donner

 · 13.04.2015

Räder für alle FälleFoto: Daniel Simon
Räder für alle Fälle

Tour, Alltag, Reise? Zwischen 1000 und 1500 Euro sollte man einplanen, wenn man einen fähigen Allrounder sucht. Im Test stellen sich 10 Räder, die alles können.

Von "Brot und Butter" zu reden, trifft die Sache nun wirklich nicht. Branchenintern sind sie natürlich genau das: Brot-und-Butter-Räder, die man als Hersteller einfach im Programm haben muss, die sich bei Saisonstart massenhaft und fast wie von selbst verkaufen. Es sind praktische, solide, unaufgeregte, aber universell fähige Allrounder. Für viele ambitionierte Radsportler sind sie total unsexy, für den Normal-Radler aber bedeuten sie oft so etwas wie ein Schweizer Taschenmesser: Mancher fährt einfach alles damit. Sei’s der tägliche Arbeitsweg oder die flotte Freizeitrunde am Wochenende, sei’s die gemütliche Flussradtour im Sommer oder die anstrengende 3-Wochen-Tour durch Skandinavien. Logisch, dass dabei jeder Käufer genau auf den Preis schaut. Beste Qualitäten bietet der Markt ab 1000 Euro an. Doch das Angebot an dieser Schallgrenze ist nicht mehr so breit wie noch vor zwei, drei Jahren: Preisanstiege bei Material-, Lohn- und Transportkosten, sowie die nicht unwichtigen Währungsschwankungen zwischen Yen, Dollar und Euro habe die Hauptpreislage um einige Hunderter angehoben. Unser Testfeld repräsentiert das ganz gut: An der preislichen Schallgrenze 1000 Euro findet man Fachhandels-Räder, die in einzelnen Bereichen Kompromisse fordern, und Versender-Bikes, die durch den Wegfall der Händlermarge einen Preisvorteil erzielen und an den Kunden weitergeben können. Der Nachteil ist oft, dass eine Probefahrt wegfällt und spätere Wartung oder Reparaturen nicht oder nur unwillig von den lokalen Bikeshops ausgeführt werden. Wie wichtig eine Probefahrt ist, zeigt sich auch uns immer wieder, wenn wir Papierform und Fahrgefühl im Test in Übereinstimmung bringen müssen: Oftmals suggerieren Vorab-Werte wie Gewicht und Geometrie eine Einschätzung, die das Testrad selbst in der Fahrpraxis gar nicht bestätigt. Aktuelles Beispiel – das Giant Aspiro. Die Werte sagen: schwer, eher unhandlich, wenig sportliche, aufrechte Sitzposition, billige Hausmarken-Teile. Die Praxis sagt: Ja, einzelne Komponenten sind sub-optimal, jedoch das Fahrgefühl ist überzeugend agil, dieses Rad macht richtig Spaß! Sicher eignet es sich wenig dazu, mit beladenen Gepäcktaschen einige hundert Kilometer umherzufahren. Aber für schnelle Wege ins Büro, zum Einkaufen, zum unbeschwerten Touren auf Nebenstraßen und Forstwegen kann das Aspiro punkten. Es hat eine zentrierte Sitzposition, die den Radler effektiv treten und sensibel lenken lässt. Und vielleicht ist es damit das perfekte Rad für jemanden, der genau diese Eigenschaften schätzen kann. Aus den Katalogangaben lässt sich das aber nicht herauslesen.

Giant Aspiro RS 1 LTD GTS
Foto: Daniel Simon

Die Unterschiede, die wir bei den Federgabeln ermittelt haben, sind ein anderes Beispiel. Die schwerste Gabel steckt im KTM. Die zweieinhalb Kilo Gabel fühlt man, wenn man am Rad im Stand den Lenker bewegt: Man braucht viel Kraft, um das Vorderrad einzuschlagen. Genauso kann man die hohe Steifigkeit konifizierter Steuerrohre und Gabelschäfte bei Radon und Stevens spüren: Diese Oberklasse-Technologie wanderte vom MTB zunächst ans Reiserad und von dort zunehmend in hoch- und mittelklassige Trekking­rad-Rahmen. Die Aufweitung des Steuerrohrs am unteren Ende versteift den Rahmen an der kritischen Stelle vorn, wo die Stöße von der Fahrbahn Unruhe ins System bringen. Wenn auch der Gabelschaft konifiziert wird, gewinnt auch die Gabel selbst an Stabilität, denn die Kontaktfläche zwischen Schaft und Brücke vergrößert sich, was die Kräfte besser ableiten kann. Zudem kommt ein vergrößerter Lagerring ebenfalls besser mit den Lastspitzen von der Gabel her zurecht – die Lebensdauer aller beteiligten Komponenten steigt. Das Fahrverhalten profitiert davon enorm: Schnelle Lenkbewegungen bringen Rad und Fahrer nicht so schnell aus der Balance, selbst Pendelimpulse vom beladenen Gepäckträger her wirken sich weniger stark am Lenker aus. Dazu gewinnt man an Lenkpräzision, denn die Gabel führt das Vorderrad mit weniger innerer Verwindung.

Dasselbe Niveau würde man sich auch für die Gepäckträger wünschen. Doch hier sehen leider einige Produktmanager die beste Gelegenheit, den Rotstift anzusetzen. Die höchsten Stabilitätswerte liefern nach wie vor die Markenträger. Sie sind bereits in sich steif konstruiert. Wird ein solcher Träger dazu noch kompetent an einem Rahmen mit optimierter Seitensteifigkeit montiert, steht einem Radurlaub mit Gepäck nichts im Wege. Das schaffen nur Rose und Stevens uneingeschränkt. Die moderne Laschenmontage muss keine Nachteile für die Stabilität bedeuten. Die dreidimensional geformten Laschen bei Stevens und KTM zeigen dies. Allerdings wird der Reifendurchlauf eingeschränkt. Auch die formschlüssige Abstützung der Trägerstreben an den beiden Derby-Rahmen des Kalkhoff und Focus bringt Vorteile. Die Anordnung und Länge der Trägerstreben im Testfeld differieren stark: So lässt sich am Breezer-Träger keine Tasche optimal anbringen, weil die unteren Streben zu kurz für eine sichere, breite Taschenabstützung sind.
Eine Illusion dagegen ist die Vorstellung vom "einen Rad für alles": Jedes Bike hat Stärken und Schwächen. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht. Und welche Erwartungen man an sein Rad richtet.
Als ambitioniertere Sportler für Dynamiker haben sich herausgestellt: Das leichte, straffe Kalkhoff, das schicke Bergamont, wenn man den Vorbau dreht, und, mit leichten Abstrichen, das Stevens sowie das Radon. Für flotte Alltagswege im Nahverkehr, aber mit nur leichter Zuladung, eignen sich das unkomplizierte Breezer, das eigenwillige, aber reizvolle Giant und das leicht nervöse Focus prima. Touringkilometer bei flachem Terrain und auf gutem Asphalt liebt das VSF Fahrradmanufaktur besonders, richtige Gepäcktouren meistern das Rose und, bei niedriger montiertem Cockpit, das Stevens souverän. Das KTM ist bei moderatem Fahrstil und auf einfacheren Strecken gut aufgehoben.


Fazit:

Wer viel von seinem neuen Rad erwartet, sollte planen, Geld
in die Hand zu nehmen. Die einzelnen Stärken und Schwächen der Allrounder im Einsteiger-Bereich machen deutlich: Kein Rad kann alles.
Eine intensive Probefahrt ist also unabdingbar. Wer dazu noch seine Gepäcktaschen mitbringt, kann seinen neuen Tourenpartner besser ausmachen. Denn bei Gepäckträgern und Federgabeln verstecken sich große Unterschiede.

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