Jochen Donner
· 14.04.2022
In diesem Artikel verwenden wir sogenannte Affiliate Links. Bei jedem Einkauf über diese Links erhalten wir eine Provision vom Händler. Alle vermittlungsrelevanten Links sind mit * gekennzeichnet. Mehr erfahren.
Fahrräder werden immer teurer. Wir haben sechs Fahrrad-Allrounder bis 1200 Euro getestet und geschaut, wie gut die günstigen Radmodelle des Jahrgangs 2022 sind?
Was jetzt? Wird es 2022 genügend Fahrräder für alle geben, oder wiederholt sich die Knappheit mit ausverkauften Bikeshops aus dem letzten Jahr? Muss man aufgrund gestörter Lieferketten mit Billig-Alternativen zu nicht lieferbaren Komponenten leben? Und wie kommt’s, dass neue Fahrräder teils 20 Prozent teurer geworden sind?
Raue Zeiten, nicht nur in der Bike-Branche – aber dort bisweilen stärker als anderswo. Denn hier treffen sich gleich mehrere Negativ-Effekte, die sich überlagern und teils gegenseitig verstärken. Noch immer kämpft die Branche mit Nachschub-Problemen. Insbesondere Komponenten wie Schaltungen und Bremsen, aber auch Kurbeln oder Reifen waren und sind immer mal wieder knapp. Liefertermine für aktuelle Komponenten haben sich von wenigen Wochen auf bis zu zwei Jahre verlängert. Produktionsausfälle bei den Zulieferern durch die Pandemie, aber auch Wetterkapriolen auf sämtlichen Kontinenten und die aus dem Takt geratene weltweite Transportlogistik sind dafür verantwortlich. Dazu kommen Knappheiten und Preissteigerungen für Rohstoffe wie Stähle, Aluminium und Magnesium, bis zu zehnfach höhere Transportkosten und eine weltweite Containerknappheit. Währenddessen explodiert auf der anderen Seite die Nachfrage durch eine ebenso diverse Motivlage. Wir fühlen uns mit und auf dem Individualverkehrsmittel Fahrrad offensichtlich wohler, gesünder und sicherer in der Pandemie als in Bussen und Bahnen. Zudem erzeugt die Aufmerksamkeit für Klimaschutz und grüne Energien verstärkte Nachfrage nach dem grünen Produkt Fahrrad.
Mit dem letztjährigen Durcheinander waren weder Käufer noch Verkäufer glücklich. Doch für 2022 ist Besserung in Sicht: Die Zweirad-Einkaufsgenossenschaft ZEG verlautbarte ebenso wie der Verband des deutschen Zweiradhandels VDZ bereits im Dezember 2021: Die Fahrradhersteller haben ihre Produktion hochgefahren und produzieren, was geht. Die Bikeshops haben sich rechtzeitig eingedeckt, die Lager sind Anfang 2022 wieder voll bestückt. Es sollten also genügend Bikes für alle in den Bikeshops stehen – zumindest anfangs der Saison bei gut bestücktem Angebot auch mit breiter Auswahl. Spätere Nachorders bei den Herstellern für andere Rahmengrößen, Farben oder Ausstattungen dürften dagegen schwierig bis unmöglich werden, da die Nachschub-Problematik grundsätzlich auch 2022 und darüber hinaus fortdauern wird.
Um lieferfähig zu bleiben, mussten viele Radhersteller improvisieren: Oft finden deshalb andere Bremsen, Reifen oder Sättel ans Rad als ursprünglich vorgesehen. Wichtig ist, die Bikes überhaupt komplett aufzubauen. Namhafte Reifenhersteller hatten ihre Bestellbücher 2021 zeitweise komplett geschlossen, Shimano nennt Lieferfristen von ein bis zwei Jahren für aktuelle Komponenten. Das führt dazu, dass Bike-Hersteller viele Modelle unverändert durchlaufen lassen. Der Aufwand für eine Weiterentwicklung oder selbst geringfügige Aktualisierung ist unkalkulierbar geworden. Denn auch das Personal ist gebunden in der kompliziert und aufwendig gewordenen Teilebeschaffung und der Suche nach Alternativen; so bleiben kaum Zeit und Geld, in Neu-Entwicklungen zu investieren. Die gute Nachricht: Auch die aktuelle Fahrradtechnik ist hoch entwickelt. Das technische Niveau der Reifen oder Kettenschaltungen klafft auch im Einsteigerbereich nicht so weit auseinander, dass bei durchschnittlichem Gebrauch Probleme zu erwarten wären. Die Leistungsunterschiede sind so gering, dass die meisten Nutzer sie gar nicht wahrnehmen werden.
Jochen Donner, Test-Redakteur: „Bedenkt man die widrigen Bedingungen der Pandemiejahre in der Fahrradbranche, erstaunt das hohe Niveau in der Einsteigerklasse. Die Preise sind zwar gestiegen, doch es gibt einen soliden Gegenwert.“
Was man sehr wohl spürt, ist die Auswirkung eines Radkaufs im Geldbeutel. Denn die Preise haben merklich angezogen. Doch schaut man genauer hin, lässt sich das ein Stück weit relativieren. Das Stevens Primera beispielsweise kostete bis 2021 genau 999 Euro. Heute ruft Stevens 1.199 Euro dafür auf: Das ist ein Sprung von 200 Euro oder 25 Prozent! Der Preis aus 2021 war jedoch mit drei Prozent weniger Mehrwertsteuer belegt. Dann ist ein Rad im Eintausend-Euro-Bereich natürlich auch immer knapp kalkuliert. Die Gewinnmarge liegt wohl nicht übermäßig hoch, bezieht man den Aufwand von Produktion, Logistik und Zwischenhandel mit ein. Und: Um die Attraktivität einer Eckpreislage von 999 Euro nach ein, zwei schwierigen Pandemiejahren halten zu können, haben viele Hersteller wohl einiges an Kostensteigerungen stillschweigend geschluckt. Das geht nur eine Zeit lang. Denn Kostensteigerungen und allgemeine Inflation stoppen auch 2022 nicht. Bei vielen Preissteigerungen spielen also auch verschleppte Nachholeffekte eine Rolle, die irgendwann aufgeholt werden müssen, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Das gilt es bei der Bewertung solcher Preissteigerungen im Blick zu behalten. Bezeichnend ist auch, dass das Preisniveau über alle Preisbereiche bei allen Herstellern gestiegen ist.
Technisch sind die Fahrräder unseres Tests alles andere als Billigheimer: Nach Charakter, Ausstattung und Einsatzbereich verschieden, eint sie ihre technische Solidität sowie ausgereifte Geometrien und Fahrverhalten. Angesichts der enger gewordenen Bedingungen durch die Pandemiejahre ist es eine positive Überraschung, wie kompetent und konsequent die Hersteller ihre Qualitäten bereits im Einsteiger-Bereich umgesetzt haben:
Sportlich-flotten Charakter beweisen die Fahrräder von Diamant, KTM, Stevens und Fahrradmanufaktur. Radler und Radlerinnen, die Wert auf individuelle Abstimmung und Optik legen, sind bei Custom-Anbieter Contoura richtig. Wer solide, wartungsarme Technik bevorzugt, kommt am Kalkhoff nicht vorbei. Auf Alltagsstrecken punkten, je nach Charakter, alle Räder; für Ausflugstouren zum Baggersee oder über ein Wochenende hinweg sind, je nach Topografie, Modelle mit Kettenschaltung besser geeignet. Für Radreisen mit Gepäck eignen sich die seitensteiferen Bikes von Kalkhoff, Stevens und Fahrradmanufaktur am besten.
Den kompletten Vergleichstest der Fahrrad-Allrounder aus MYBIKE 2/2022 inkl. aller Einzelbewertungen können Sie kostenpflichtig unter dem Artikel als PDF herunterladen.