Uli Frieß
· 22.01.2023
In der Stadt und auf Kurzstrecken überzeugen Kompakt-Pedelecs mit beinahe unschlagbarem Fahrvergnügen. Fünf Stadtflitzer mit Motor im MYBIKE-Test.
Größe ist nicht alles. Auf die inneren Werte kommt es an – und mit denen können die aktuellen Kompakt-Pedelecs glänzen: Die Räder sind handlich, für motorisierte Gefährte relativ leicht, sie sind sicher und wegen ihrer kleinen Baugröße platzsparend abzustellen. Kurz: Sie haben das Zeug dazu, die beliebteste Fahrradklasse im innerstädtischen Verkehrsmix zu werden. Dazu kommt ihre erstaunlich gute Fähigkeit, Lasten zu tragen – ganz anders als bei altertümlichen Klapprädern. Gäbe es einen Wettbewerb um den steifsten Fahrradrahmen, könnten Kompakt-Pedelecs sogar klassische 28-Zoll-Räder locker schlagen. Ihre kleinen, bulligen Rahmen kommen mit kurzen Rohrlängen aus, das macht die Rahmen unschlagbar steif.
Die Minis vertragen genauso viel Zuladung wie große Räder. Das gilt auch für den Einsatz als Kompakt-Lastenrad, wie das Moustache Lundi mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 200 Kilo zeigt. Die Kombination von steifen Rahmen und kleinen Laufrädern ist andererseits auch etwas zweischneidig: Einerseits machen steife Rahmen und kleine Laufräder die Räder fahrstabil, spritzig und agil. Ihre kleine Baugröße vereinfacht das Navigieren im engen, urbanen Verkehrsgetümmel. Steife Rahmen und kleine Laufräder vermitteln andererseits aber auch ein eher hartes Fahrgefühl auf holprigem Untergrund. Zudem verzichten die Hersteller unserer Testräder aus Gewichtsgründen auf Komfort fördernde Bauteile wie Federgabeln (die es für 20-Zoll-Räder ohnehin kaum in vernünftiger Qualität gibt). Die breiten und voluminösen Reifen, wie sie an allen unserer Testräder montiert sind, verbessern den Fahrkomfort nur marginal. Ihr komprimierbares und damit dämpfendes Luftvolumen ist deutlich kleiner als das von 28-Zoll-Reifen mit gleicher Breite.
Am Hercules, Moustache und Tern halten gefederte Teleskop-Sattelstützen immerhin die gröbsten Fahrbahnschläge vom Sitzfleisch ihrer Fahrer ab. Doch auf kurzen und eher städtischen Strecken, dem bevorzugten Einsatzort der Kompakt-Pedelecs, spielt der Fahrkomfort eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Dort punkten die Minis mit anderen praktischen Vorzügen. Das Moustache ausgenommen, ist ihr Radstand, das Maß zwischen Vorder- und Hinterachse, nur wenige Millimeter kleiner als bei 28-Zoll-Rädern. Kürzer sind sie hauptsächlich wegen der kleinen Laufräder. Doch auch wenn ihre Baulänge nur etwa 20 Zentimeter kürzer ist als bei einem üblichen Rad, sind sie viel leichter zu rangieren. Zudem benötigen sie weniger Platz beim Parken und beim Abstellen zu Hause.
Ein Speedlifter-Vorbau mit Twist-Funktion (i:SY und Cube) oder der abklappbare Lenkermast am Tern erlauben es, den Lenker ohne Werkzeug um 90 Grad zu drehen. Damit ist er aus dem Weg. Sind zusätzlich Klapp-Pedale wie am i:SY montiert, sind die Kompakt-Pedelecs nur noch etwa 40 Zentimeter breit und lassen sich auch in einem größeren Hausflur abstellen. Am Tern und Moustache finden sich sogar spezielle Stützen am Gepäckträger, auf denen sich die Pedelecs senkrecht abstellen lassen – beim langen, schweren Moustache braucht es dafür allerdings etwas Kraft.
Alle Kompakt-Pedelecs unseres Tests gibt es nur in einer Rahmengröße. Nur über die Verstellung ihrer weit ausziehbaren Sattelstützen und Vorbauten passen sie sich unterschiedlich großen Fahrern an. Der Hersteller i:SY gibt die maximale Fahrergröße für das E5 ZR mit 185 Zentimetern an. Das erscheint uns quer durchs Testfeld ebenso realistisch wie die Angabe einer Fahrergröße von 150 Zentimetern am unteren Ende der Skala. Eine größere Spreizung gibt es beim Antrieb.
Boschs laufruhiger und mit 65 Nm ausreichend kraftvoller Performance-Line-Motor arbeitet im i:SY, im Tern und im Cube. Der Antrieb ist leise und vermittelt ein natürliches Fahrgefühl. Das Hercules ist mit dem sanfter schiebenden und beinahe unhörbaren Bosch Active Plus ausgerüstet. Er passt ideal für den Einsatz in der Stadt und überzeugt mit dem geringsten Energieverbrauch im Testfeld. Moustache hat dem Lundi 20.3 dagegen den speziell auf Lastenräder abgestimmten Bosch Cargo spendiert, dessen maximales Drehmoment von gut 85 Nm auch schwere Pedelecs mühelos über steile Anstiege schiebt. Weil der Motor einen etwas höheren Energiebedarf hat, ist das Lundi mit zwei 500-Wh-Akkus ausgerüstet.
An allen Kompakt-Pedelecs außer dem Cube-Modell informiert ein Intuvia-Display über umfangreiche Fahrdaten und den Akku-Ladestand. Am Cube findet sich das günstigere Purion-Kombi-Display mit etwas geringerem Informationsumfang. Auch beim Getriebe hat Cube mit dem Tiagra-Schaltwerk zu einer günstigen Alternative gegriffen. Am i:SY und am Tern wechselt Shimanos Nexus-Fünfgang-Nabe die Gänge. Sie arbeitet perfekt mit Mittelmotoren zusammen, Schaltvorgänge gelingen auch unter hoher Motorlast verzögerungsfrei. Die Nexus-Achtgang-Nabe des Hercules benötigt dagegen für prompte Gangwechsel eine Entlastung des Antriebsstrangs.
Damit die Kompakt-Pedelecs im Alltag möglichst universell einsetzbar sind, benötigen sie stabile und vielseitige Trägersysteme – sie finden sich an allen Testrädern, besonders ausgeprägt natürlich am Moustache Lundi: Als reinrassiger Longtail-Transporter hat es einen extralangen, tragfähigen Heckträger mit sinnvollem Befestigungs-Klicksystem für verschiedenste Transportauf bauten. Die gesamte Testgruppe liegt technisch auf gutem Mittelklasse-Niveau, die Räder sind hochwertig verarbeitet und fit für ein langes Fahrradleben. Das Preisniveau der Kompakten liegt – gemessen an der Ausstattung – etwas über den Preisen vergleichbar ausgestatteter Normalräder. Es ist der Aufpreis für das entscheidende Bisschen mehr an Wendigkeit und Nutzwert, das in der Stadt überzeugt.
Uli Frieß, Testredakteur: “Die kleinen Kompakträder verbinden hohen Nutzwert mit viel Fahrspaß. Ihre Vorteile spielen sie im urbanen Raum und auf Kurzstrecken aus. Für Touren und längere Ausflüge eignen sich Räder mit größeren Laufrädern besser.“
In den Endnoten unterscheiden sich unsere Testkandidaten kaum, und auch beim Komfort zeigen sich erwartungsgemäß nur kleine Unterschiede. Das Cube verspielt wegen seines qualitativ einfacheren Schaltwerks eine bessere Note, ist aber bei Fahrsicherheit und Praxis vorn mit dabei. Das i:SY sichert sich den Testsieg mit Bestnoten bei Fahrsicherheit und Service.
Bis auf die erzielte Distanz des Moustache unterscheiden sich die auf unserem Prüfstand gefahrenen Reichweiten kaum voneinander. Der Bosch-Cargo-Motor des Moustache Lundi 20.3 hat einen etwas höheren Energieverbrauch, und das Rad wird deutlich schwerer bewegt. Der Doppelakku mit 1000 Wh ist deshalb sinnvoll eingesetzt und beschert dem Moustache satte 130 km. Der geringere Energieverbrauch des Bosch-Active-Antriebs gegenüber dem Bosch Performance führt nur zu wenig mehr Reichweite. Einen echten Vorteil hat der Bosch Active hier nicht.
Der Rahmen des Cube ähnelt dem des i:SY E5, und auch die Fahreigenschaften sind ähnlich spritzig und agil. Deshalb müssen auch Cube-Fahrer wegen des sehr steifen Rahmenverbunds und der kleinen Laufräder Abstriche beim Fahrkomfort hinnehmen. Dagegen helfen auch die mit 62 Millimeter sehr voluminösen Reifen nur bedingt, eine Teleskop-Sattelstütze gibt es nicht. Etwas Entlastung bietet der angenehm gekröpfte Lenker mit Ergogriffen.
Das Cube hat einen Speedlifter-Vorbau mit Twist-Funktion, der Lenker lässt sich platzsparend um 90 Grad wegdrehen und ist per Schnellspanner einfach höhenverstellbar. Zusammen mit der weit ausziehbaren Sattelstütze passt es sich so vielen Radler-Größen an. Wer nur wenig Abstellfläche hat, rüstet Klapp-Pedale nach. Dann lässt sich das Compact Sport mit eingeklapptem Lenker auch in einem engen Hausflur abstellen. Die Zehnfach-Kettenschaltung des Kompakt-Pedelecs kommt mit der zurückhaltenden Kraftentfaltung des Bosch Performance gut zurecht, ein höherwertiges Modell hätte dem Cube besser gestanden. Kleines Manko beim Einkaufs-Einsatz: Mit einem Hinterbau- statt des Mittelständers würde das Rad mit beladenem Träger sicherer stehen.
MYBIKE-TIPP: Preis/Leistung - 1/2023
Das Hercules schafft den Spagat zwischen Tiefeinsteiger und Kompakt-Pedelec. Mit seinen 24-Zoll-Laufrädern ist es kein klassisches Kompaktrad, und auch die Rahmenform entspricht eher einem auf 26- oder 28-Zoll-Räder ausgelegten Unisex-Rad mit Wave-Rahmen. Diese Mischung macht das Futura zu einem Familienrad mit breitem Einsatzspektrum, denn wegen der größeren Laufräder bewältigt das Pedelec auch längere Ausfahrten etwas besser als die kleinen 20-Zoll-Minis. Wegen dieser Bauweise benötigt das Futura aber andererseits einen etwas größeren Abstellplatz.
Mit der weit ausziehbaren Sattelstütze und dem mittels Schnellspanner höhenverstellbaren Vorbau lässt es sich schnell unterschiedlichen Körpergrößen anpassen. Die Teleskop-Sattelstütze und 55 Millimeter breite Reifen sorgen für annehmbaren Fahrkomfort, der Bosch-Active-Antrieb für hohe Laufruhe und sanfte Dynamik. Das Hercules ist stimmig ausgerüstet, die Tektro-Bremsanlage ausreichend dimensioniert und fein dosierbar. Die Übersetzungsbandbreite der Achtgang-Nabe passt zum sanft schiebenden Motor, erfordert für saubere Schaltvorgänge jedoch eine deutliche Entlastung der Pedale.
MYBIKE-TIPP: Preis/Leistung - 1/2023
i:SY hält schon lange die Kompaktrad-Fahne hoch, entsprechend ausgereift ist auch das E5 ZR RT. Sein kleiner Rahmen ist äußerst steif, das Rad rollt sicher, fahrstabil und sehr agil. Die Nexus-Fünfgang-Nabe des Kompakt-Pedelecs mit Rücktrittbremse wechselt die Gänge zuverlässig auch unter Last. Statt Kette gibt’s einen wartungsarmen Gates-Carbonriemen. Der Universalrahmen passt laut Hersteller Fahrern mit einer Körpergröße von bis zu 185 Zentimetern, Sattelstütze und Speedlifter-Vorbau können weit ausgezogen werden.
Um das Pedelec platzsparend abzustellen, wird der Lenker mithilfe der Twist-Funktion des Speedlifters um 90 Grad gedreht. Klappt man zusätzlich die Pedale an, ist das Rad nur noch etwa 40 Zentimeter schmal. Allzu viel Fahrkomfort bietet es nicht: Ohne Teleskopstütze sind der steife Rahmen und die kleinen Räder hart, auch die mit 60 Millimeter recht voluminösen Reifen helfen da wenig. Unser Testrad stammt noch aus der 2022er-Palette. Das 2023er-Modell wird mit Boschs Smart System für individuell einstellbare Fahrmodi und Smartphone-Anbindung kommen. Der Akku wächst dann auf 545 Wh, das Motordrehmoment um 10 Nm – und der Preis um 550 Euro auf 4.399 Euro.
TESTSIEGER 1/2023
Das Moustache Lundi überzeugt als Kinder-, Personen- oder Lastentransporter. Die Fahreigenschaften des 20-Zoll Longtails sind ausgewogen und stabil, wegen des niedrigen Schwerpunkts bleiben sie auch beladen weitgehend erhalten. Bis zu 70 Kilo dürfen auf den Heckträger. Ein praktisches Klicksystem sichert Kisten, Körbe, Taschen. Ein Kindersitz plus ein Kindersattel finden Platz. Die Passagiere des Kompakt-Pedelecs schützt ein umlaufender Metallbügel, die Füße ruhen auf einem Rohrgerüst. Ein großer Speichenschutz deckt Antrieb und Laufrad kindersicher ab.
Trotz des langen Radstands lässt sich das Moustache wendig dirigieren. Der relativ schmale Lenker sitzt direkt auf dem Steuerrohr, er kragt nach vorne und oben aus. Das macht einen Vorbau überflüssig und erhöht die Stabilität der Rahmenfront. Lundi-20.3-Fahrer sitzen aufrecht und bequem, die gefederte Teleskop-Sattelstütze lässt sich zum Auf- und Absteigen per Hebel absenken und ausfahren. Der Bosch-Cargo-Antrieb schiebt das Rad selbst nahe des maximal zulässigen Gesamtgewichts kräftig an. Starke Bremsen verzögern das Lundi auch beladen zuverlässig, eine Zehnfach-Kettenschaltung ergänzt die stimmige Ausrüstung.
Mit nur 39 Zentimeter Höhe ist der Durchstieg des Tern sehr niedrig, gleichzeitig ist er relativ lang. Das erleichtert das Auf- und Absteigen enorm. Menschen mit unterdurchschnittlicher Körpergröße, Ältere und Radler mit Bewegungseinschränkungen werden das NBD schon deshalb schätzen. Weil die Sattelstütze in einem weiten Bereich höhenverstellbar ist, kommen aber auch große Fahrer mit dem Rad zurecht. Löst man zwei Schnellspannhebel am Vorbau, kann man auch die Lenkerhöhe in Grenzen an die Fahrergröße anpassen.
Der Verstellbereich des Lenkers ist jedoch geringer als bei Cube, Hercules und i:SY. Klappt man den Lenkermast per Schnellverschluss ab und schiebt die Sattelstütze bis zum Anschlag ein, lässt sich das NBD platzsparend transportieren und abstellen – notfalls auch senkrecht, auf Stützen am Gepäckträger. Trotz langen Zentralrohres zeigt der Rahmen des Kompakt-Pedelecs auch in schnellen Wechselkurven keine Tendenz zum Aufschwingen, das NBD fährt sich wendig und gut kontrollierbar. Die Getriebenabe schaltet ihre fünf Gänge zuverlässig unter Last, wenn auch nicht geräuschlos. Unter einer Verkleidung verbindet ein wartungsarmer Gates-Riemen Motor und Nabe.