Jochen Donner
· 26.11.2022
Mit stählernem Rahmen, langlebigstem Antrieb und nur den besten Teilen: Ist das Rennstahl 853 das definitive Rad fürs Leben?
Der Nimbus von Stahl als Rahmenmaterial ist ein ähnlicher wie der der Rohloff-Nabe: Beides gilt als fähig, nahezu allen Widrigkeiten eines Fahrradlebens glorios zu widerstehen. Bis ans Ende aller Fahrrad-Tage sozusagen. Der innen rostfest versiegelte Stahlrahmen besteht aus einem Reynolds-853-Hauptrahmen mit Custom-made-Hinterbau. Ihn ergänzt eine hochstabile Stahlgabel mit konischem Steuerrohr, Steckachsen und Lowrider-Gewinden. Dieses ungeheuer steife Gerüst lässt Torsionskräften durch hohe Pedalkräfte, schlechte Fahrbahn oder schweres Gepäck keine Chance. Als maximales Systemgewicht gibt Rennstahl satte 165 Kilo für Rad, Fahrer/-in und Gepäck zu Protokoll. Und das für einen Randonneur von relativ schlanker Statur. Auch die agilen Laufräder strotzen vor Stabilität mit verschweißten Mavic- 1025-Felgen, Doppel-Dickend-Speichen, Son-Dynamo mit Steckachse und der symmetrisch eingespeichten Rohloff-Nabe. 40 Millimeter breite 28-Zöller oder 50 Millimeter breite 27-Zöller lassen sich im Rahmen unterbringen und verschieben so den Charakter des Rads von Reise/Gravel mehr zu Gravel/Offroad.
Obwohl die Schaltbremsgriffe wie die Disc Brakes von Rennradzulieferer Campagnolo stammen, ist das Rennstahl kein Rennrad. Wer das Rad so einschätzt, wird mit Sicherheit enttäuscht. Denn die Schalt-Performance der Rennrad-Schalthebel mit einer Rohloff-Nabe und der sie ansteuernden Gebla-Seilbox unterscheidet sich erheblich von der einer Kettenschaltung:
Erstens ist der Hebelweg hier sehr viel länger, weil mehr Zuglänge gezogen wird. Zweitens ist der Druckpunkt weniger konkret und der Kraftbedarf pro Schaltschritt deutlich höher als bei der Kettenschaltung. Gleich ist dagegen, dass man nicht sehen kann, welcher Gang gerade eingelegt ist. Man fühlt das nur im Oberschenkel: Ist der eingelegte Gang zu schwer, schwenkt man den rechten Schalthebel ein- oder mehrmals einwärts, auch im Stand, und tritt dann leichter an. Links schaltet man in schwerere Gänge. Leider ist das Schalten mehrerer Gänge auf einmal nicht möglich. Wenn man das Rennstahl trotz seiner Campa-Hebel mehr als Reise- denn als sportliches Schnellfahrrad denkt, wird eher ein Schuh daraus. Etwa für Langstrecken-Pendler, die eine praktikable Option für feste Straße und holprigen Waldweg benötigen, auch wenn es geregnet oder gestürmt hat, matschig ist oder gar Schnee liegt.
Man muss das Rennstahl 853 vorausschauender fahren als ein MTB oder Rennrad. Doch seine Fähigkeit zur Bewältigung schlechter Strecken, die extreme Stabilität und Haltbarkeit von Rahmen und Komponenten machen das Rad wenn vielleicht nicht zum Lebens-, so doch zumindest zum potenziellen Langzeit-Partner. Eine Kröte muss man allerdings schlucken: Das Zusammenspiel von kompakter, tourenfreundlicher Sitzposition und agilem Lenkverhalten durch steilen Lenkwinkel sowie dicke Reifen mit Schutzblech führt bei eingeklicktem Radschuh, Größe 42, am „L“-Rahmen zu einem „Toe Overlap“, also Fußspitzen-Überdeckung, von etwa 1,5 Zentimetern am Schutzblech des Vorderrads. Die äußere Kurbel gehört in Kurven also möglichst immer nach hinten.
Das 853 ist einer der vielseitigsten Randonneure mit großem Potenzial auch abseits von Teerstraßen. Dank überlegt gewählter Technik, Material und Komponenten ist es zudem ein Rad, an dem man mit Sicherheit lange seine Freude hat.