Uli Frieß
· 24.03.2023
Mit dem sitzrohrlosen Stahlrahmen ist das Urwahn Waldwiesel.E ein echter Hingucker. Kann das Rad mehr als ein Gravel-Pedelec mit klassischem Diamantrahmen?
Auffälliger kann man kaum zwischen den Welten wandeln: Den Spagat zwischen E-Rennrad und E-Crosser meistert das Urwahn Waldwiesel.E mit einer guten Portion Extravaganz. Sein sitzrohrloser Schleifenrahmen besteht aus Stahl, zitiert aber die runde, fließende Formensprache von Carbonrahmen. Möglich wird die organische Form durch Stahlmuffen aus dem 3D-Drucker. Diese frei gestaltbaren Knotenpunkte wurden mit Stahlrohren zum Komplettrahmen verschweißt, anschließend verschliffen und beschichtet. Mit diesem Verfahren lassen sich organische Formen und weiche Übergänge auch an einem Stahlrahmen realisieren.
Die ungewöhnliche Rahmenform zielt darauf ab, den Fahrkomfort zu verbessern. Ohne die Abstützung des Sitzrohrs am Tretlager kann sich der Rahmen theoretisch in vertikaler Richtung verformen und so das Fahrergewicht am Sattel abfedern. Ob und wie sich der konstruktive Kniff auf den Fahrkomfort auswirkt, können wir quantitativ nach unseren Testfahrten nicht beurteilen. Fakt ist aber, dass sich das Urwahn Waldwiesel.E sehr komfortabel bewegen lässt. Ein ähnlich konstruierter Urwahn-Rennrahmen erreichte bei Labormessungen unseres Schwestermagazins TOUR zum Komfort Spitzenwerte.
Kabel und Züge verschwinden im Steuerrohr und verlaufen von dort aus unsichtbar im Rahmen. Leider ist die fast elegant versteckte Sattelklemmung heikel. Sie ist schwer erreichbar und benötigt zur ausreichenden Fixierung der Sattelstütze ein recht hohes Anzugsdrehmoment. Das vom Hersteller angegebene Maximal-Moment sollte keinesfalls überschritten werden. Davon abgesehen, ist das Waldwiesel.E tadellos verarbeitet und hochwertig ausgestattet. Hauptnachteil der aufwendigen Stahlkonstruktion: Sie macht das Urwahn relativ schwer. Zieht man das Gewicht der elektrischen Antriebskomponenten von etwa 3,5 Kilo ab, bleiben noch gut zwölf Kilo für Rahmenset, Laufräder und Ausrüstung. Aktuelle Bio-Gravelbikes sind durchschnittlich zwei Kilo leichter.
Waldwiesel-Fahrer sitzen sportlich gestreckt. Der bequeme Rennlenker ist leicht zurückgekröpft, in oberer Griffposition ermöglicht er eine bequeme Sitzhaltung, die auch während längerer Ausfahrten kaum ermüdet. Das Gravelbike lenkt spielerisch leicht ein, die 35 Millimeter schmalen Terra-Speed-Reifen von Continental rollen auf Asphalt laufruhig und bieten auf unbefestigtem Untergrund ausreichenden Halt und Fahrkomfort.
Die Motorisierung passt zum sportlichen Charakter des Urwahn Waldwiesel.E. Der kleine und unscheinbare Ebikemotion-Nabenmotor von Mahle im Hinterrad hält sich mit Leistung zurück und spricht prompt auf den Pedaldruck an, läuft jedoch unabhängig von der Pedalkraft mit, sobald sich die Kurbel dreht. Das steht einem natürlichen Fahrgefühl entgegen. Der 250 Wattstunden kleine Akku steckt fast unsichtbar im Unterrohr, er ist nicht ohne Werkzeug entnehmbar. Ein unscheinbares Steuerinstrument am Lenker erweckt den Motor zum Leben, mit zwei Tasten lassen sich drei gut differenzierte Unterstützungsstufen anwählen.
Schaltung und Bremsanlage stammen aus Shimanos GRX-Baukasten. Wer lange Touren mit steilen Anstiegen plant, kann ein Ritzelpaket mit kürzerem kleinsten Gang wählen. Auch ein Zusatzakku für den Flaschenhalter mit weiteren 208 Wattstunden ist im Zubehör-Angebot der Marke.
Das Waldwiesel.E gefällt mit seiner extravaganten Rahmenkonstruktion ohne klassisches Sitzrohr und seinen Rahmenmuffen aus dem 3D-Drucker. Ein interessantes Rad für Freunde ausgefallenen Designs, die sich nicht am relativ hohen Gewicht stören. - Uli Frieß, Testredakteur