Jochen Donner
· 24.11.2022
War ein Gates-Antrieb lange die Sache teurer Premium-Bikes, markiert das Stevens Boulevard Luxe die Wende zum „Einsteiger-Gates“.
Praktisch und gut, nur nicht quadratisch – so könnte man das Stevens Boulevard Luxe von Stevens knapp und treffend beschreiben. Der moderne Allrounder hat alles, was ein alltagstaugliches, universell einsetzbares Fahrrad braucht: Einen steifen Alu-Rahmen mit belastungsgerecht geformten Rohrprofilen und innen verlegten Zügen, die dank durchgängiger Außenhülle dennoch leicht zu ersetzen sind. Eine, zumindest im Neuzustand, gut funktionierende Stahlfedergabel mit 63 Millimeter sensiblem Federweg und Lockout-Option entschärft ruppige Fahrbahnen, Bordsteine oder Gullydeckel. Dazu eine ausgereifte Ergonomie und entspannt-sportliche Sitzposition, die bei Stevens-Rädern zur DNA gehört.
Das Stevens Boulevard fährt sich laufruhig und unproblematisch, die Lenkung ist etwas träge. Die Federgabel und der weiche Gelsattel entkoppeln wirksam von holprigem Untergrund, geben andererseits aber auch wenig konkretes Feedback dazu und erzeugen so ein etwas teigiges Fahrgefühl. Die hohen Gewichte von Federgabel und Laufrad erfordern relativ viel Krafteinsatz beim Lenken. Bei moderater Geschwindigkeit und auf nicht allzu langen Strecken ist das solide, aber auch schwere Rad daher am besten eingesetzt. Die dicken Conti-Reifen gefallen durch geringen Rollwiderstand, hohe Dämpfung, satten Grip und ihr niedriges Gewicht. Sehr stabil zeigte sich auch der Custom-Gepäckträger von Racktime. Selbst 22 Kilo Testlast brachten ihn (und den Testfahrer) nicht aus der Fassung.
Bergauf zeigte die Nexus-Achtgang-Nabe des Stevens Boulevard wenig überraschende Schwächen: Der erste Gang ist hier, wie bei der Alfine-Nabe, bereits sehr lang übersetzt. Als kleinster Gang ist er nur für kurze Steigungen um die zehn Prozent wirklich praktikabel, wenn man auch Gepäck transportiert. Doch auch unbeladen atmet man erleichtert auf, sobald die Strecke wieder eben oder eben-bergab verläuft. Die Nexus schaltet etwas träge und wenig knackig, was auch am Drehgriff liegt, und bietet drei (große) Gänge weniger als ihre große Schwester Alfine. Beim Schalten Richtung leichte Gänge unterstützt eine Feder, es geht also in diese Richtung etwas leichter: Gut, wenn man am Berg die Kräfte schwinden spürt. Die Nexus ist jedoch in Sachen Unkompliziertheit, Wartungsarmut und, nicht zuletzt, preislich kaum zu schlagen.
Auch am Stevens Boulevard tragen preisgünstigere CDN-Riemen, -Kunststoff-Riemenscheibe an der Kurbel sowie Stahlritzel am Hinterrad dazu bei, den Gesamtpreis niedrig zu halten und so mehr Radlern und Radlerinnen (es gibt auch eine Lady-Version des Boulevard) die hohe Wartungsarmut der Riemen-Nabenschaltung zugänglich zu machen. Bleibt man mit dem Stevens im Rahmen seines Einsatzbereichs als günstiger Allrounder auf asphaltierten Straßen bei entspannter Fahrweise, wird der erste Riemenantrieb möglicherweise das Fahrrad drum herum überleben. Auf Kopfsteinpflaster nerven die schwingenden Schutzbleche, die gegen die Reifen vibrieren, weil die dünnen Alu-Streben mit der relativ hohen Masse der Radschützer überfordert sind. Und das Frontlicht ist arg schütter: Bei totaler Dunkelheit liefert es nicht genügend Helligkeit für eine entspannte Fahrt und ein fleckiges Leuchtfeld.
Stevens und Gates beweisen, dass die Vorteile der Riemen-Nabenschaltung auch im unteren Preissegment umsetzbar sind. Den alltagstauglichen, unkomplizierten Allrounder Boulevard Luxe ergänzt die Wartungsarmut des Riemenantriebs optimal.