Jochen Donner
· 18.08.2015
Carbonräder ohne Federung galten bislang als bocksteif. Beim Inissio Tour liefert der Werkstoff zum ersten Mal ein vibrationsschluckendes Tourenrad für Langstreckenfreunde.
Carbon ist ein ganz besonderer Stoff: Anfangs als Allheilmittel im Fahrradbau überschätzt, machte sich bei vielen bald wieder Enttäuschung und Ernüchterung breit: Zu teuer, zu empfindlich, zu unbequem. Und am Ende des Lebenszyklus: Problem-Müll. Für Alltags-, Trekking- und Reiseradler war das neue Super-Material so gut wie gestorben. Fast. Denn am österreichischen Bodensee arbeiten die Entwickler von Simplon seit 1994 kontinuierlich mit dem Verbundwerkstoff Carbon. Damals kamen je ein Rennrad und ein MTB mit Carbonrahmen unter dem Namen "Vision" auf den Markt. Seither haben jedoch auch das Schutzblech-Speedbike Nanolight und das voll alltagstaugliche Ballonreifen-Modell Silk Carbon für Aufmerksamkeit gesorgt.
Immer zu Hause war und ist Carbon im Rennradsektor. Dort traf das potente Verbundmaterial auf kompetente und finanziell gut ausgestattete Entwickler. Firmen wie Trek und Specialized, für die sportliche Erfolge besonders eng mit Verkaufserfolgen gekoppelt sind, initiierten dann vor wenigen Jahren das sogenannte Komfort-Rennrad: Damit sollten die Sportler auch nach wüsten Kopfsteinpflasterpassagen flandrischer Rennkurse noch genügend Biss für den Schlusssprint übrig behalten. Auch Simplon war bei dieser Evolutionsstufe im Radsport von Anfang an dabei. Das führte die Vorarlberger zu ihrem Komfort-Renner Inissio.
Vertikaler Flex für Fahrkomfort und horizontale Steifigkeit für die Fahrstabilität: Durch genau abgestimmte Faserlegung kann nur ein Verbundmaterial wie Carbon beides leisten – genau dort wo nötig. Hohe Seitensteifigkeit ist unerlässlich, um seitlich angreifenden Kräften durch Gewichtsverlagerung des Fahrers, Wiegetritt oder Fahrbahnunebenheiten Paroli bieten zu können. Auch dies erreicht man durch die entprechende Ausrichtung der Faserverlaufs. Unterschiedliche Verfahrenstechniken erlauben es den Simplon-Konstrukteuren, die Faserstränge blasenfrei und gleichmäßig mit Harz zu durchtränken, den Harzanteil auf ein notwendiges Minimum zu beschränken oder die Festigkeit des Bindeharzes durch Nanopartikel zu erhöhen. Die jeweils optimale Faser-Anordnung folgt dem per Konstruktions-Software errechneten Kräfteverlauf in Rahmen und Gabel. Wichtig sind dabei fließende Rohrübergänge, um die Kraftverläufe im Rahmen nicht zu unterbrechen.
Einen weiteren, wichtigen Technologie-Sprung stellt die Adaption der Scheibenbremse am Rennrad dar: Eine kleine Regeländerung bei der Zulassung von Rennrädern durch den internationalen Radsportverband UCI hat genügt, einen technischen Umbruch auszulösen. Die klar überlegene Scheibenbremse darf nun auch im Profiradsport verwendet werden. Fast alle Hersteller bauen die kraftvollen, wetterfesten Bremssysteme an ihre Rennräder. Dieser Anpassungsprozess ist gerade in vollem Gange, man streitet sich noch über notwendige Scheibengrößen und -material. Doch sogar superleichte Disc-Carbonlaufräder wie der hier montierte Satz von DT Swiss sind für sündhaft teures Geld bereits erhältlich (Aufpreis im Simplon-Baukasten: 1000 Euro). Mit 630 Gramm vorne und 845 Gramm am Hinterrad ist explosive Beschleunigung unvermeidlich. Das Inissio ist eine Rakete im Antritt und bei Top-Speed, läuft aber ruhig und sicher.
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