Jochen Donner
· 28.01.2022
Ein atemberaubend geformter Carbonrahmen macht das Diamant Rubin zum Hingucker. Wie verträgt der Tourer mit dem Beinamen Super Legère den harten Alltag?
Der erste Eindruck verführt: Die Augen können sich an den dynamisch kurzen und spannungsvollen Bögen des glanzlackierten schwarzen Kunstfaserrahmens kaum sattsehen. Man denkt an die Karosserie eines rassigen Sportwagens aus den Siebzigern, als Autos noch schön sein durften. Umgreift man das wuchtige Unterrohr, könnte man glatt den Puls fühlen, so das Diamant einen hätte: So dünn sind die Carbonmatten geschichtet, dass man sie von Hand drücken kann. Natürlich nur extrem vorsichtig! Mit stillem Schrecken hofft man, dass das Rubin niemals hart gegen einen Pfosten kracht, weil es jemand unsachgemäß abstellt. Ein unter Umständen von außen unsichtbarer Bruch im Fasergefüge wäre die fast unweigerliche Folge eines solch harten Aufschlags.
Also immer langsam mit den jungen Pferden! Das trifft auch zu, wenn man das Rubin über den Testparcours reitet: Auffällig die Leichtfüßigkeit, mit der das Bike auf Pedaldruck reagiert, wie flink es losgaloppiert, wie unvermittelt es nach vorne stürmt, wenn man ihm die Sporen gibt. Auch die Leichtgängigkeit der direkten Lenkung ist herausragend: Das Rubin neigt fast schon zu Nervosität, wenn man zu stark oder, im Eifer des Wiegetritts, ungleich am Lenker zieht. Ruhige Geradeausfahrt erfordert also auch eine ruhige Hand. Dabei fühlt sich der wilde Ritt gar nicht einmal so unbequem an: Der breite Lenker, ebenfalls aus Carbon, die dämpfenden Silikon-Griffe und die lang ausgezogene Sattelstütze schlucken so manchen Störimpuls von unten sachte weg. Auch die 42-Millimeter-Reifen tun einiges dazu: Die superleichten (nur 490 Gramm pro Reifen), schnell rollenden Marathon Supreme nutzen eine Gummimischung mit hohem Dämpfungsfaktor. Hält man den Reifendruck gerade noch vertretbar niedrig, entwickeln sie auf Asphalt, aber auch auf fein geschotterten Wegen inner- und außerorts erstaunlich viel Grip und Rollkomfort.
Die helle Lichtanlage kommt auch mit völliger Dunkelheit gut zurecht. Wenig langlebig wirkt jedoch der Frontscheinwerfer von Herrmans: Die Plastikfassung seiner Streuscheibe ist wenig solide und nicht ausreichend gegen Wassereintritt gedichtet. Tadellos dagegen der solide, taschentaugliche Gepäckträger und die ausreichend langen SKS-Schutzbleche. Problematisch ist nur deren gemeinsame Halterung: Da der in sich stabile Träger nur mit einer einfachen Stahllasche am Rahmen angebunden ist, rufen Gepäcktaschen mit mehr als etwa zehn Kilo starke seitliche Verwindung im filigranen Hinterbau hervor. Zudem hält bloß eine einzelne, senkrechte Schraube unter dem Schutzblech hinten Träger, Radschützer und Haltelasche zusammen. Sie ist so lang, dass der Reifen nur haarscharf an ihr vorbeiläuft. Hier sollte dringend nachgebessert werden. Weitere Erkenntnisse von unterwegs: Es ist eine gute Idee, die Gepäckträgerstreben dort abzukleben, wo Taschen sie berühren. Ihre Oberfläche ist sehr kratzempfindlich. Auch die Montage der Hinterradbremse hat einen Schwachpunkt: Sollte man den Bremssattel unterwegs ausrichten müssen, muss man zuvor die Parkstütze demontieren. Sonst gelangt man mit dem Werkzeug nicht an die Halteschrauben der Flatmount-Bremszange.
Auch die Schaltung will anfangs penibel justiert werden: Die schmäleren Abstände der 1x12-Kettenschaltung reagieren früh mit Schleifgeräuschen, wenn sich die Zuglänge durch sich setzende und einlaufende Bowdenzüge und Hüllen minimal verändert. Die 520 Prozent Übersetzungsbandbreite und die unübertroffene Knackigkeit einer gut eingestellten XT-Schaltung tragen jedoch wesentlich zur Vielseitigkeit und Dynamik des rassigen Renners bei. Der fühlt sich bei gestrecktem Galopp offensichtlich am wohlsten.
Das superleichte und hübsche Rubin fühlt sich auf langen, schnellen Strecken am wohlsten. Seine hochgezüchtete Technik macht es aber im Alltag doch recht empfindlich.
Der Preis liegt bei 1.999 Euro.