Jochen Donner
· 29.04.2014
Die Preise sind gestiegen: Zwischen 1200 und 1500 Euro ist eine neue, gehobene Mittelklasse der Allrounder entstanden. Wie viel Luxus fürs Geld bieten die Hersteller im Jahr 2014? Das haben wir an 10 Probanden getestet.
Wenn man ganz hart rechnet, sind Verkaufspreise von 1500 Euro für ein Allrounder-Rad schon happig. Gab es doch bis vor etwa zwei Jahren noch die heiß umkämpfte Eckpreislage 1000 Euro, wo sich sehr praktische und solide Verkehrspartner finden ließen. Wechselkurse, Rohstoff-, Transport- und allgemeine Kosten sind permanent gestiegen; viele Fahrradhersteller haben lange versucht, Preiserhöhungen zu vermeiden und griffen daher lieber zum Mittel des „Down-Spec“: Man hat vermehrt günstigere Teile verbaut, um die Endpreise halten zu können. Doch der lange Winter 2013, der mancherorts bis in den Mai hinein dauerte, hat der Branche das notwendige Frühjahrsgeschäft verhagelt. So mancher in der Fahrradbranche hat dabei das letzte Bisschen Rücklagen verbraucht. Das mag mit dazu beigetragen haben, dass der Einstiegspreis für ein qualitativ gutes „Rad-für-alles“ deutlich gestiegen ist. Die Luft, die das den Herstellern wieder verschafft hat, haben einige dazu genutzt, einen Mehrwert für den Kunden zu erschaffen. Das wird einem bewusst, wenn man das Auge übers Testfeld schweifen lässt: Nahezu jedes Rad bietet Raffinessen, technischer und/oder optischer Art. Langweilig ist out. Das beginnt relativ unaufwändig dabei, dass nicht einfach überlackiert wird, sondern, wie beim Radon, einzelne Bereiche in matt, andere in Hochglanz eingefärbt werden. Rose hat die verschweißten Rohrfügestellen mit viel Handarbeit und in mehreren Arbeitsgängen verschleifen, verspachteln und geradezu handschmeichlerisch glätten lassen.
Vor allem beim Rahmenbau tauchen vermehrt Kunstgriffe auf, die das Rad hübscher, gefälliger und schöner anzufassen machen. Die weich fließenden Linien an den Ausfallern von KTM oder Kalkhoff/Raleigh gehören dazu, insbesondere jedoch der einfallsreich gestaltete Koga F3-Rahmen, der bereits mehrere Designpreise abräumen konnte. So richtig relevant werden die Raffinessen, wenn man sie auch beim Fahren spüren kann – und zwar im Sinne besserer Funktion. Das erreichen nicht alle. Der Trend zur strebenlosen Gepäckträger-Befestigung ist ein gutes Beispiel dafür. Es sieht leichter, luftiger und gefälliger aus, wenn die Silhouette eines Bikes möglichst wenig von Bowdenzügen, Schutzblechen, Parkstützen oder eben Gepäckträgern und deren unharmonischer Verstrebung unterbrochen wird. Also geht man dazu über, das mehr oder weniger waagerechte obere Strebenpaar, das den Träger an den Sitzstreben abstützt, durch eine Lasche unter dem Schutzblech zu ersetzen. Die Linie wird klarer, die Optik gewinnt. Da der Träger jedoch dazu dient, Lasten zu transportieren, sollte seine Stabilität eigentlich nicht angetastet werden. Schraubt man nun eine einfache, platte Stahllasche unters Schutzblech, kann die seitlicher Verwindung nicht recht begegnen; der Träger leitet die Unwuchten, die im Fahrbetrieb auftreten, in den Rahmen ein und die Fuhre schaukelt sich bei Lastwechseln auf. Diese Lasche muss also möglichst dreidimensional geformt werden, damit sie in sich bereits verwindungssteif wird. In diesen Stahl- oder Alu-Profilen lässt sich auch das Rücklichtkabel sicher unterbringen. Zudem schwingt auch das Schutzblech selbst weniger und kann sich nicht so leicht verziehen. Bergamont, Stevens und KTM gelingen auf diese Weise gar Steifigkeitsverbesserungen gegenüber dem früheren Prinzip. Nachteilig bleibt allerdings, dass sich der Bauraum unter dem Schutzblech verringert: Dickere Reifen oder Spikes sind nicht mehr so leicht unterzubringen. Nur Vorteile bringen andere Kunstgriffe der Rahmenbauer mit sich: Das konische (oder „tapered“) Steuerrohr erzeugt wesentlich größere Stabilität im vorderen Rahmenbereich. Das Unterrohr lässt sich breiter dimensionieren und stützt sich ebenfalls stabiler ab. Der untere Lagerring des Lenkungslagers verteilt die intensiven Fahrbahnstöße von der Gabel her auf mehr Kugeln und lebt deshalb länger. Verbaut man auch eine Gabel mit passend konischem Schaftrohr, kann auch die Gabel selbst steifer konstruiert werden. Insgesamt macht diese Bauart einen Rahmen vorn wesentlich seitensteifer, die Lenkung wird durch die geringere Verwindung präziser, die Fahrt ruhiger.
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