Jörg Spaniol
· 08.04.2022
Wieviel “Bumms” muss der E-Bike-Motor haben, wie steil werden die Touren? Der Vergleich der wichtigsten E-Antriebe erlaubt eine bewusste Entscheidung. Wir helfen Ihnen dabei.
Beim Autokauf fragt fast niemand, wer denn eigentlich den Motor geliefert hat. Nach gründlichem Abwägen von Leistungs- und Verbrauchsdaten kümmern wir uns schnell um andere Eckdaten. Bei Pedelecs ist dagegen klar, woher der Motor stammt: Hersteller wie Bosch, Shimano oder Brose beherrschen den Markt. Welche Eckdaten von Motor und Akku den Fahrspaß wie beeinflussen, wird selten erklärt. Doch es ist wichtig - und deshalb soll es hier passieren. Vor den Steckbriefen einzelner verbreiteter Antriebstypen gilt es, zentrale Begriffe zu klären.
Sie beschreibt die Art und Weise, wie der Motor auf die Tretkraft des Fahrer oder der Fahrerin reagiert. Wird die Kraft beim Anfahren ruppig oder sanft entfaltet, spricht die Unterstützung sofort an, bei welcher Kurbeldrehzahl liefert der Motor seine volle Leistung? Aufgrund der verschiedenen persönlichen Vorlieben und Fahrweisen gibt es nicht den einen, perfekten Antriebscharakter. Es ist deshalb interessant, verschiedene Motoren auf der Probefahrt direkt zu vergleichen.
Das Drehmoment eines Motors (Angabe in Newtonmeter/Nm) entscheidet in der Praxis vor allem darüber, wie stark das Rad auf den ersten Metern beschleunigt. Bei Mountainbikes ist es relevanter als bei Touren- oder Cityrädern, da es zum Beispiel beim Überwinden von Hindernissen hilft. Die Werte liegen überwiegend zwischen 45 und 90 Nm. Die besonders drehmomentstarken Motoren können auf losem Untergrund dosierten Umgang erfordern.
Wie groß ist der Tank? Die Akkukapazität wird in Wattstunden (Wh) angegeben. Ein verbreiteter Wert liegt bei 500 Wh, doch der Trend geht zu größeren Akkus (625 Wh). Ob die größere Variante immer sinnvoll ist, liegt am Einsatzbereich, der eigenen Fitness – und am Budget. Akkus sind sehr teuer. Ein Rad mit 625 anstelle von 500 Wh kann leicht 200 Euro teurer sein.
Ein Pedelec hat immer die als Nennleistung angegebenen 250 Watt? Das ist ungefähr so wahr wie die Verbrauchsangaben beim Auto. Starke Motoren leisten für längere Zeit durchaus 400 bis 500 Watt. Das macht am steilen Berg sehr schnell, saugt aber auch entsprechend am Akku. Für die Höchstgeschwindigkeit ist die Leistung einigermaßen egal: bei etwa 25 Stundenkilometer hört auch ein starker Motor auf zu Schieben.
Die Angabe einer Reichweite ist sehr vom Gelände, der Unterstützungsstufe und der Eigenleistung abhängig. Während eine halbwegs fitte Radlerin auch in welligem Gelände 100 Kilometer aus einem 500Wh-Akku holt, kann ein schwerer Mann im Turbo-Modus viel schneller am Ende sein. Einen guten Vergleich liefern die MYBIKE-Tests, denn sie finden unter konstanten Voraussetzungen auf einem Prüfstand statt. Bei 500 Wattstunden liegt die Labor-Reichweite typischerweise um 70, bei 625 Wh-Akkus entsprechend bei 85 bis 90 Kilometern.
Das war's mit den Begrifflichkeiten. Nun geht es weiter mit dem Vergleich verschiedener E-Bike-Motoren.
Obwohl alle hier aufgeführten Motoren eine Nennleistung von 250 Watt haben und ihre Unterstützung bei 25 Stundenkilometern endet, haben sie sehr unterschiedliche Charaktere. Sie reagieren unterschiedlich darauf, wie schnell der Fahrer oder die Fahrerin kurbelt und verhalten sich beim Anfahren oder am Berg so, wie es der Hersteller ihnen mitgegeben hat. MYBIKE analysiert ihren Charakter auf einem Labor-Prüfstand und während der Testfahrten.
Der Bosch Performance CX ist – genau wie der Shimano Steps EP8 – ursprünglich als Mountainbikemotor entwickelt worden. Da Radler ebenso wie Autofahrer eine gewisse Übermotoriserung schätzen, verbreiten sich beide zusehends auch an Touren-Pedelecs. Mit einem Drehmoment von 85 Newtonmeter beschleunigt er sehr kraftvoll. Seine gemessene Motorleistung erreicht in der höchsten Unterstützungsstufe fast 600 Watt, also fast eine Pferdestärke. Dabei haben die Ingenieure ihm beigebracht, seine rohen Kräfte gut dosierbar abzugeben.
Fazit: Viel Power, sensible Reaktion und gut über die Tretkraft steuerbar.
Die Eckdaten der stärksten Motoren von Bosch und Shimano sind auf den ersten Blick ähnlich, beide gehen mit so hohen Drehmoment zur Sache, dass bei unsensiblem Antritt der Kies spritzt. Der Shimano EP8 reagiert jedoch sehr sensibel auf die Drehzahl von Fahrerin oder Fahrer: Nur wer eine mittlere Trittfrequenz von 70 bis 85 Kurbelumdrehungen pro Minute hat, kommt in den Genuss der Maximalleistung von etwa 450 Watt. Und während der Bosch-Kollege in der höchsten Unterstützungsstufe gleich mit 400 Watt losballert, können Radler mit geringerer Tretleistung das Shimano-Modell etwas sanfter fahren. Er ist etwas lauter als der Konkurrent.
Auf mittlerem Leistungsniveau und damit sehr problemlos im Fahrverhalten präsentieren sich Boschs Active Line und der etwas weniger verbreitete Drive C der deutschen Marke Brose. Beide ziehen mit etwa 50 Newtonmeter an der Kette, wenn man losfährt. Der Bosch läuft sehr leise, seine Kraft setzt beim Anfahren sanft und berechenbar ein. Beim Anhalten ist der Schub sofort weg. Die Ingenieure haben ihn so ausgelegt, dass sportliche Schnelltreter eher wenig Unterstützung bekommen. Im mittleren Drehzahlbereich leistet er über 300 Watt, was für sämtliche Alltagsfälle ausreicht.
Auch der Brose-Motor ist ein angenehm leiser Antrieb und überhaupt trotz seiner bis zu 400 Watt Leistung ein sehr unaufgeregter Zeitgenosse. Das liegt an der Charakteristik: Beim Anfahren, also bei minimaler Trittfrequenz, setzt er eher verhalten ein. Das fühlt sich nach einer natürlichen Verstärkung des Pedaldrucks an. Doch wenn man einmal in Schwung ist, wird es fast egal, wie schnell man tritt oder mit wieviel Tretkraft das geschieht. Schon bei 120 Watt Eigenleistung gibt das Aggregat Alles. Ein laufruhiger Allrounder mit natürlichem Fahrgefühl für Alltag und Ausflug.
Der Bafang-Motor sitzt in der Hinterradnabe. Diese Bauweise ist im Mainstream nicht mehr besonders verbreitet, weil die hecklastige Schwerpunktlage und (bei früheren Produkten) Überhitzungsprobleme dagegen sprachen. Man kann Heckmotoren auch nicht mit einer nabenschaltung kombinieren. Trotzdem haben kleine Heckmotoren wie diser ihre Freunde. Vor allem bei leichteren, sportlicheren Pedelecs für die Stadt oder Gravel-Touren kommt die aktuelle Generation zum Einsatz. Der Bafang als ausgewählter Vertreter seiner Gattung schießt kaum mehr als die 250 Watt Nennleistung zu. Deshalb verbraucht er aber auch weniger Strom als die Kraftpakete, der Akku kann klein bleiben. Hauptkritikpunkt: Er braucht eine Vierteldrehung der Padale, um anzuspringen.
Die oberbayerische Firma Fazua ("Fahr zu!") baut einen zentralen Vertreter der "Minimal Assist"-Antriebe. Hier ist die Idee, einen so leichten Antrieb zu bauen, dass das Handling des Bikes möglichst dicht an einem motorlosen Fahrrad ist und der Motor nur gelegentlich hilft. Vor allem für sportliche Mountainbikes und sogar Rennräder ist er gefragt, denn der komplette Antrieb inklusive Akku wiegt nur etwas über vier Kilo, ist sehr schlank und lässt sich fast komplett entnehmen. Fährt man schneller als 25 Stundenkilometer, entkoppelt er sich vom Tret-Antrieb und bremst nicht mehr. Die 250 Watt Nennleistung erreicht auch er, doch so richtig Spaß macht er Fahrern und Fahrerinnen, die auch selbst spürbar reintreten.