E-Bike-MotorenDer Specialized SL 1.1 und der Lemo Dual Mode Hub im Test

Uli Frieß

 · 11.04.2023

Specialized SL 1.1: Wenig Leistung, deutlich hörbar, für sportlich ausgelegte Pedelecs
Foto: Bernhard Huber

Der Specialized SL 1.1 und der Lemo Dual Mode Hub transportieren den gleichen Ansatz. Dennoch könnten die zwei Antriebe kaum unterschiedlicher sein.

Die beiden Low-Assist-Antriebe unseres Motorentests folgen dem Trend nach kleinen, unscheinbaren und leistungsreduzierten Motoren für leichte Pedelecs. Durch ihre reduzierte Baugröße eignen sie sich perfekt für filigrane und stylishe Designbikes. Weil die kleinen Low-Assist-Motoren weniger Energie verbrauchen als die Mittelmotor-Boliden von Bosch, Shimano und Co., kommen sie mit kleineren Akkus aus. Das eröffnet Herstellern hohe Freiheitsgrade für die Rahmenkonstruktion. Beide Antriebe verbindet eine reduzierte Leistungsentfaltung und das geringe Gewicht. Mehr Gemeinsamkeiten gibt es allerdings nicht.

Erster Überblick über den Specialized SL 1.1 und den Lemo Dual Mode Hub

Der Specialized SL 1.1 ist ein kleiner Mittelmotor. Er entstand in enger Zusammenarbeit mit dem deutschen Automotive-Unternehmen Mahle. Von Specialized stammen die Entwicklungsvorgaben und die Software der Motorsteuerung. Den Motor gibt es baugleich für E-Mountainbikes und leichte Alltags-Pedelecs, allerdings mit jeweils unterschiedlicher Motorsteuerung und Leistungscharakteristik. Unser Test-Antrieb verrichtet seinen Dienst in einem leichten Vado-SL-4.0-EQ-Allrounder. Die Motorsteuerung ist entsprechend ausgelegt: Der Specialized-Antrieb entwickelt erst bei hohen Kadenzen viel Schub und richtet sich damit an sportlich orientierte Radfahrer.

Specialized SL 1.1: Wenig Leistung, deutlich hörbar, für sportlich ausgelegte PedelecsFoto: Bernhard Huber
Specialized SL 1.1: Wenig Leistung, deutlich hörbar, für sportlich ausgelegte Pedelecs

Der Dual Mode Hub des Lemo, ein Hinterrad-Nabenmotor, zeigt eine gänzlich andere Charakteristik. Er liefert schon bei sehr niedrigen Kadenzen viel Leistung und vor allem viel Drehmoment ans Hinterrad. Das macht ihn für Radfahrer interessant, die in erster Linie kraftsparend unterwegs sein wollen und – etwa in der Stadt – häufig antreten müssen. Darüber hinaus liefert der Motor eine gleichbleibende Unterstützung, sobald sich die Kurbel dreht – egal, wie stark oder wie schnell der Fahrer in die Pedale tritt. Das ist nicht sehr intuitiv, denn es verhindert eine effektive Steuerung der Motorleistung über die Tretkraft, wie man sie von den meisten Pedelecs kennt. Eine Besonderheit des Lemo-Antriebs ist ein Freilauf, mit dessen Hilfe der Fahrer den Antrieb mechanisch komplett von der Nabe trennen kann. Dann setzt der von der Nabe entkoppelte Motor der Tretkraft des Fahrers keinen Widerstand mehr entgegen und rollt motorlos wie ein „Bio-Rad“.

Lemo Dual Mode Hub: Hohes Drehmoment, leise, für kraftsparendes PedalierenFoto: Bernhard Huber
Lemo Dual Mode Hub: Hohes Drehmoment, leise, für kraftsparendes Pedalieren

Displays und Stromspender

Dafür bricht Lemo zudem den aktuellen Designtrend zur Akku-Integration: Der Akku ist zusammen mit den nötigen Elektronik-Bauteilen in einer Rahmentasche (Smartpack) hinterm Steuerrohr untergebracht. Soll das Lemo als motorloses Fahrrad genutzt werden, kann die Tasche schnell und einfach abgenommen werden. Specialized bietet neben seinem fest im Rahmen eingebauten Standardakku mit nur 320 Wattstunden einen Zusatzakku für den Flaschenhalter an. Die Displays dagegen sind bei beiden Modellen eher minimalistisch.

Das „Display“ des SL 1.1 besteht lediglich aus einer Balkenanzeige.Foto: Bernhard Huber
Das „Display“ des SL 1.1 besteht lediglich aus einer Balkenanzeige.

Während das Motorinstrument des SL 1.1 mit einer Balkenanzeige für Akku-Ladestand und Unterstützungsstufe auskommt, informiert das Instrument des Dual Mode Hub mittels digitaler Anzeige unter anderem über Geschwindigkeit, Unterstützungsstufe und Akku-Ladestand. Für beide Motoren gibt es ergänzende Smartphone-Apps, die den Funktionsumfang der Antriebssysteme deutlich erweitern. So erlaubt es die Specialized-App, die Leistungscharakteristik des Antriebs in Grenzen an persönliche Vorlieben anzupassen. Mit der Lemo-App kann man eine Wegfahrsperre aktivieren beziehungsweise deaktivieren, Touren aufzeichnen oder das Pedelec per GPS orten.

Digitales Display des Lemo auf dem OberrohrFoto: Bernhard Huber
Digitales Display des Lemo auf dem Oberrohr

Specialized SL 1.1

Der SL 1.1 ist einer der wenigen Low-Assist-Mittelmotoren auf dem Markt – das Segment wird hauptsächlich von Nabenmotoren besetzt. Der Motor läuft deutlich hörbar, aber nicht unangenehm laut. Drückt man aufs Pedal, lässt sich der Antrieb eine knappe Viertelumdrehung Zeit, bis er anläuft. Das erschwert das Anfahren an Steigungen.

Akku-Ladebuchse des SL 1.1 am RahmenknotenFoto: Bernhard Huber
Akku-Ladebuchse des SL 1.1 am Rahmenknoten

Gut: Er stoppt sofort, wenn man aufhört, zu treten. Mit einer maximal abrufbaren Leistung von knapp 250 Watt gehört er im Low-Assist-Bereich zu den schwächeren Antrieben. Damit richtet er sich zuallererst an sportlich orientierte Fahrer, die gerne selbst viel Beinkraft investieren. Dem leichten Vado SL verleiht der Antrieb mit mittelgroßem Beinkrafteinsatz jedoch ausreichend Schub und Dynamik.

Motorenleistung des Specialized SL 1.1 auf der höchsten Stufe in Abhängigkeit der Tretleistung. | Diagramm: MYBIKE
Motorenleistung des Specialized SL 1.1 auf der höchsten Stufe in Abhängigkeit der Tretleistung. | Diagramm: MYBIKE
Motorenleistung des Specialized SL 1.1 auf höchster Stufe in Abhängigkeit der Trittfrequenz. | Diagramm: MYBIKE
Motorenleistung des Specialized SL 1.1 auf höchster Stufe in Abhängigkeit der Trittfrequenz. | Diagramm: MYBIKE

Die maximale Motorleistung des SL 1.1 (blaue Linie) variiert mit der Drehzahl: Je schneller sich die Kurbel dreht, desto höher ist der Leistungsoutput. Seine maximale Leistung von etwa 250 Watt entwickelt der SL 1.1 bei hohen Kadenzen. Dabei ist es egal, wie stark der Fahrer in die Pedale tritt. Bei niedrigen Kadenzen steigt die Leistung kaum merklich mit verstärkter Pedalkraft an. Bei niedrigen, noch effektiv nutzbaren Pedalumdrehungen leistet der Antrieb etwa 150 Watt. Das maximale Drehmoment von etwa 44 Nm (rote Linie) entwickelt der Motor auf unserem Prüfstand bei einer Tretleistung von 140 Watt und niedriger Kadenz. Die Kraftentfaltung unterstützt so den Fahrer beim Anfahren, nimmt aber mit höherer Trittfrequenz deutlich ab.

Testrad mit Specialized SL 1.1: Das Specialized Vado SL 4.0 EQ

Das Specialized Vado SL 4.0 EQFoto: Bernhard Huber
Das Specialized Vado SL 4.0 EQ
  • Preis: 3900 Euro
  • Rahmen: Alu
  • Motor/Akku: Specialized SL 1.1/320 Wh
  • Schaltung: SRAM NX, 1x11; 44/ 11-42 Z.
  • Reifen: Nimbus II Sport Reflect, 700x38
  • Gewicht: 15,0 Kilo

Lemo Dual Mode Hub

Alleinstellungsmerkmal des Lemo Dual Mode Hub ist der vom Antrieb abkoppelbare Freilauf an der Hinterradnabe. Der Kraftschluss des Nabenmotors lässt sich vollständig vom Hinterrad trennen. Der Lemo-Motor läuft prompt an, sobald der Fahrer aufs Pedal tritt. Er lässt sich jedoch über eine Sekunde Zeit, bis er abschaltet, wenn man aufhört, zu treten. Das erfordert etwas Aufmerksamkeit, will man verlangsamen. Seine Maximalleistung von etwa 340 Watt erlaubt schnelle und dynamische Antritte, gerade bei niedrigen Trittfrequenzen. Eine Eigenschaft, die kraftsparendes Pedalieren erlaubt. In Fahrt liefert der Motor Schub, sobald sich die Kurbel dreht. Wie schnell oder wie kräftig der Fahrer in die Pedale tritt, spielt dabei keine Rolle.

Motorenleistung des Lemo Dual Mode Hub auf der höchsten Stufe in Abhängigkeit der Tretleistung. | Diagramm: MYBIKE
Motorenleistung des Lemo Dual Mode Hub auf der höchsten Stufe in Abhängigkeit der Tretleistung. | Diagramm: MYBIKE
Motorenleistung des Lemo Dual Mode Hub auf höchster Stufe in Abhängigkeit der Trittfrequenz. | Diagramm: MYBIKE
Motorenleistung des Lemo Dual Mode Hub auf höchster Stufe in Abhängigkeit der Trittfrequenz. | Diagramm: MYBIKE

Anders als der Specialized SL 1.1 liefert Lemos Dual Mode Hub seine Maximalleistung schon bei sehr niedrigen Kadenzen: Knapp 350 Watt erzeugt der Motor bei nur 40 Pedalumdrehungen pro Minute. Weil auch das Drehmoment in diesem Bereich mit 80 Nm sehr hoch ist, gelingen Ampelstarts dynamisch, und auch das Anfahren an Steigungen benötigt nur wenig Beinkraft. Je schneller sich die Kurbel dreht, desto weniger Leistung liefert der Motor. Das Drehmoment fällt bis zu einer Kadenz von etwa 60 relativ stark ab, bleibt aber bis etwa 90 Pedalumdrehungen brauchbar hoch. Damit lässt sich mit dem Lemo Dual Mode kraftsparend pedalieren. Die Leistung kann man mittels dreier Unterstützungsstufen gut den persönlichen Vorlieben anpassen.

Testrad mit Lemo Dual Mode Hub: Das Lemo One

Das Lemo OneFoto: Bernhard Huber
Das Lemo One
  • Preis: 1990 Euro
  • Rahmen: Alu
  • Motor/Akku: Dual Mode Hub/540 Wh
  • Schaltung: Shimano Deore, 1x10; 38/ 11-42 Z.
  • Reifen: Innova 44-584
  • Gewicht: Rad/Akku 15,9/19,0 Kilo

So haben wir getestet

Fahrtest

Nicht alles, was ein Antrieb kann, lässt sich auf einem Prüfstand messen. Wie sensibel ein Motor auf den Pedaldruck reagiert und wie stark er beschleunigt, zeigt sich nur auf einer Testfahrt. Das gilt auch fürs Ansprech- und Abschaltverhalten. Der Antrieb muss beherrschbar einsetzen und beim Anfahren am Berg möglichst sofort anlaufen. Wenn man aufhört, zu treten, sollte der Motor sofort abschalten und nicht nachschieben.

Prüfstandtest

Die maximale Dauerleistung der Motoren haben wir auf unserem Prüfstand gemessen. Sie differiert, abhängig von der Trittfrequenz (Kadenz), mehr oder weniger stark. Gemessen wurde bei 20 km/h und, je nach Gangabstufung, mit unterschiedlichen Kadenzen zwischen etwa 30 und 95 Pedalumdrehungen pro Minute. Die Tretleistung des Fahrers haben wir mit 100, 120, 140, 160 und 180 Watt simuliert. Aus den Diagrammen unten lässt sich der Leistungsverlauf abhängig von Kadenz und Tretleistung ablesen. Das maximale Drehmoment entwickeln die Motoren bei unterschiedlichen Tretleistungen. Gemessen haben wir es am Hinterrad bei 100 Watt (Lemo) beziehungsweise 140 Watt (Specialized) Tretleistung und jeweils 20 km/h.