ReportageZu Besuch bei Magura in der Schwäbischen Alb

Jörg Spaniol

 · 13.04.2023

Glänzender Einfall: Die Magura „Hydrostop“ war 1987 die erste Hydraulikbremse für Fahrräder.
Foto: Jörg Spaniol
Das Unternehmen in Bildern

Die Hydraulik-Felgenbremse von Magura mischte 1987 den Bike-Markt auf – und ist seitdem im Programm. Ein Besuch beim Bremspionier von der Schwäbischen Alb.

Der Weg in die Vergangenheit erfordert Ortskenntnis. Im eher unaufdringlichen Magura-Firmensitz aus den Sechzigern liegt das Schlupfloch zur Firmengeschichte, versteckt hinter einem großen Fotokopierer. Eine Brandschutztür, eine Wendeltreppe, noch eine Brandschutztür, eine weitere schmale, schiefe Treppe führt weiter hinauf. Dann erleuchten Glühbirnen unterm Dachgebälk einen staubigen Gang. Dahinter öffnet sich eine Tür, halb versperrt von quer gestellten Rolladenschränken. Schiebt man sie zur Seite, öffnet sich der Blick auf 125 Jahre Magura, niedergeschrieben in Metall: Gasgriffe, Bremsgriffe, Hebel für Schneefräsen, kleine Pumpen und armbanduhrkleine Tankanzeigen liegen auf Blechregalen. Daran kleine, teils handgeschriebene Anhänger mit Inventarnummer, denen das Speicherklima sichtbar zusetzt. Und irgendwo dazwischen verstaubt ein heimlicher Star der Fahrradtechnik: ein Muster der ersten hydraulischen Fahrradbremse überhaupt – der Magura Hydrostop, kurz HS.

Magura Hydrostop - die erste hydraulische Fahrradbremse

Lange bevor sich die Scheibenbremse bei sportlichen Rädern etablierte, markierte sie für Jahrzehnte den Stand der Technik. Sie ist ein genialer Technik-Transfer: Ein Bremssystem mit zwei Hydraulikkolben, die eine Reibfläche auf eine Bremsscheibe drücken, produzierte die Marke schon lange – als Scheibenbremse für BMW-Motorräder. Doch das Ganze so auszulegen, dass es statt einer Stahlscheibe eine Fahrradfelge in die Zange nimmt, war zuvor niemandem eingefallen. Am damals boomenden Mountainbike machte die Idee schnell Karriere, bevor sie bei den Trekking- und E-Bikes ankam. Die „HS“ etablierte die Schwaben im weltweiten Fahrradmarkt. Und sie ist noch immer „made in Germany“ – ganz bewusst.

Glänzender Einfall: Die Magura „Hydrostop“ war 1987 die erste Hydraulikbremse für Fahrräder.Foto: Jörg Spaniol
Glänzender Einfall: Die Magura „Hydrostop“ war 1987 die erste Hydraulikbremse für Fahrräder.

Magura, das ist klassischer deutscher Mittelstand mit spezialisierten High-End-Produkten, cleanen Industriebauten, ein paar Hundert Mitarbeitern und einem Namen, der auf den Gründer verweist: Gustav Magenwirth, Urach. Dass der heute geschäftsführende Spross der Gründerfamilie nicht Fabian Magenwirth, sondern Fabian Auch heißt, liegt bloß am Stammbaum. Der Firmengründer hatte keinen Sohn, also ging der Nachname bei den verheirateten Töchtern verloren.

Standorttreue seit Generationen

„Magura ist in der Region gesellschaftlich eingebettet. Wir produzieren jetzt in der vierten Generation hier und würden das gerne auch in der fünften, sechsten und siebten Generation machen“, sagt Auch, der Urenkel des Gründers. Und er ergänzt: „Es ist gut, auf einen großen Teil der Lieferkette zugreifen zu können. Da geht es auch um die Berechenbarkeit der Lieferzusagen.“ Und so ist die Standorttreue auch ein Thema, das Magura während der coronabedingten Turbulenzen in die Karten spielte: Beim Branchenprimus Shimano hakte es im Bremsenbereich mächtig, etliche Kunden schwenkten auf Magura um. Dass auch in einer Magura-Bremse zugekaufte Teile stecken und Teile der Produktion im Ausland stattfinden, ist unbestritten. Doch das Herz der Marke schlägt zweifelsfrei im Dreieck zwischen den drei Standorten in Bad Urach, Hengen und Hülben.

In Hülben kann man dem Herzschlag zusehen, ohne allzu vielen Menschen im Weg zu stehen. Eine architektonisch zu vernachlässigende Werkshalle in der Ortsmitte. Darin: 40 Kunststoff-Spritzgussmaschinen. Darüber, auf einer Empore: ein Schlauchgewirr, verschlungen wie ein halbes Dutzend Oktopusse beim Rugby. Durch die Schläuche sirren, von Druckluft beschleunigt, die Granulatkörner von insgesamt 140 Kunststoffsorten, um am Ende zu fast allem zu werden, woraus eine Bremse besteht. Dichtungen, Abstreifringe, Kolben, Hebel, Griffstücke – etwa tausend verschiedene Kunststoffteile kann Magura hier selbst herstellen. Die meisten davon sind Puzzleteile für Fahrrad- oder Motorradbremsen.

140 Sorten Kunststoffgranulat sausen durch Schlauchleitungen in die Spritzgussformen.Foto: Jörg Spaniol
140 Sorten Kunststoffgranulat sausen durch Schlauchleitungen in die Spritzgussformen.

Produktionsorte

Dass die Produktion im teuren Schwabenland konkurrenzfähig ist, liegt am hohen Automatisierungsgrad, und es liegt am ausgefuchsten Verfahren. Kunststoffe wie das carbonfaserverstärkte „Carbotecture“ können Metall ersetzen. Und die Teile, die aus den komplexen Maschinen in Auffangbehälter klackern, sind „werkzeugfallend“, heißt: Sie kommen aus der Form und sind fertig. Glänzende Oberflächen, klare Logos, keine Grate. Metall müsste entgratet, befräst, poliert, beschichtet werden. Die Kunststoffteile sind dagegen startklar für die nächsten Schritte.

Manche von ihnen schwimmen auf ihrem Weg zu den Kunden auch gegen den üblichen Warenstrom: Abgesehen von den komplett in Deutschland gefertigten HS-Bremsen beliefert das Schwabenland mit seinen Einzelteilen auch einen 150 Mitarbeiter großen Ableger in Taichung, dem Zentrum der taiwanesischen Bike-Industrie. Die meisten Scheibenbremsen der Marke werden dort montiert. Ein Teil von ihnen geht dann zurück nach Deutschland, ein anderer Teil hat in den dortigen Fahrradfabriken sein Ziel erreicht.

Hightech-Maschinen statt Handarbeit: die Grundlage industrieller Produktion in DeutschlandFoto: Jörg Spaniol
Hightech-Maschinen statt Handarbeit: die Grundlage industrieller Produktion in Deutschland

Es ist die Logik einer globalisierten Branche, die Magura-Geschäftsführer Michael Funk im Uracher Besprechungsraum erklärt: „Wir stehen in einem globalen Wettbewerb. Wenn ein Mitbewerber irgendwo für deutlich geringere Kosten fertigen lässt, haben wir als Zulieferer einen Nachteil. Alles, was überwiegend Maschinen machen, können wir hier machen. In der Montage sieht es teilweise anders aus. Aber das Kern-Know-how bleibt in Deutschland, schon um die Fertigung hierzulande aufrechtzuerhalten: Das Engineering, das Kunststoffwissen und die Werkzeuge werden wir sicher nicht rausgeben.“


Firmengeschichte: 130 Jahre Magura

Gustav Magenwirth, Bad Urach. Aus Name und Standort bastelte sich der Unternehmensgründer 1893 den Firmennamen. Magenwirth war ein vielseitiger Techniktüftler mit diversen Patenten bei Motoren, Pumpen und Ventilen. In den Zweiradbereich kam Magura 1923 mit einem „Geradzugregulierungshebel“ für Motorräder. Seitdem beliefert Magura BMW mit Motorradbremsen. Obwohl heute kein Magenwirth die Firma führt, ist sie noch im Familienbesitz: Der Gründer hatte ausschließlich Töchter, die bei der Heirat den Namen aufgaben. Ihre Namen sind in den früheren Scheibenbremsenmodellen Luise, Julie und Martha verewigt.

Dass Magura 1957 zusätzlich zur Metallverarbeitung in die Kunststofftechnik einstieg, ist eine Grundlage für die heutige Fertigung made in Germany. Das entsprechende Werk steht nicht in Bad Urach, sondern im nahe gelegenen Hülben. Den entscheidenden Schritt vom Motorrad zum Fahrrad ging Magura 1987 mit der Erfindung und Fertigung der ersten Hydraulikbremse für Fahrräder. Die legendäre „Hydrostop“-Felgenbremse leuchtete bald in Raceline-Neongelb an den Mountainbikes prominenter Profifahrer. Der Gründer selbst taucht namentlich erst in der 1996 vorgestellten Downhill-Bremse Gustav M wieder auf – einer miniaturisierten Motorradbremse. Sie begründete maßgeblich den Siegeszug der Scheibenbremse am Mountainbike.

Fast 130 Jahre nach der Firmengründung produziert Magura noch immer in Bad Urach und Umgebung.Foto: Jörg Spaniol
Fast 130 Jahre nach der Firmengründung produziert Magura noch immer in Bad Urach und Umgebung.

Ein Unternehmen, viele Themenfelder

Für Magura als Teil der Magenwirth Technologies Group sind Fahrradbremsen nur eines von mehreren Geschäftsfeldern. Neben Magura als Hersteller von Kunststoffteilen, Fahrrad- und Motorradkomponenten arbeiten auch ein portugiesischer Hersteller von Spritzgusswerkzeugen sowie ein Nürnberger Druckgussbetrieb (Heuschkel) im Rahmen der Holding. Etwa zwei Drittel des Umsatzes von über 180 Millionen Euro erwirtschaftet Magura als größtes Einzelunternehmen. Im Magura- Stammsitz in Bad Urach finden Einkauf, Entwicklung und Vertrieb von Fahrrad- und Motorradkomponenten statt.

Etwa 170 Angestellte produzieren bei Magura Kunststofftechnik in Hülben auf der Schwäbischen Alb Bauteile der Bremsen. Im nahe gelegenen Hengen sitzen Montage und Versand mit 130 Angestellten. Im Fahrradbereich ist Magura zudem Service- und Vertriebspartner der Pedelec-Antriebe von Bosch. Eine Tochterfirma in Taiwan mit 150 Angestellten montiert Bremsen u. a. für asiatische Radhersteller. Die US-Niederlassung in Olney/Illinois steuert den Vertrieb in Übersee – neben Fahrradteilen geht es auch um Teile für Schneefräsen und Harley-Davidson-Motorräder.


Fakten zu Magura

  • Gründungsjahr: 1893
  • Firmensitz: Bad Urach
  • Eigentümer: Magenwirth Holding
  • Mitarbeitende: ca. 680
  • Betriebsfläche: über 15.000 qm
  • Jahresumsatz 2021: ca. 180 Mio. Euro