Jörg Spaniol
· 29.12.2022
Busch & Müller arbeitet seit knapp 100 Jahren an immer besserer Fahrradbeleuchtung. Fast jedes Einzelteil, vom Spiegel bis zur Spule, ist hausgemacht. MYBIKE-Redakteur Jörg Spaniol hat das Unternehmen in Meinerzhagen besucht und spannende Einblicke erhalten.
Das Ding sieht aus wie ein Kirschbonbon – oder ist es eher Johannisbeere? Dunkelrot, appetitlich rund, glatt und glänzend... Es ist das Ur-Rücklicht der Marke Busch & Müller. Es ist vielleicht drei Zentimeter groß, fast 100 Jahre alt und liegt schwer in der Hand. Ein kugeliges „Katzenauge“ aus Glas, das kurz nachwackelt, als Guido Müller es wieder auf den Tisch legt. Das nächste Museumsstück wirkt eher skurril als kostbar: Eine Waffel aus transparentem, orangefarbenem Kunststoff. Eine Art Prismenreflektor, vor etlichen Jahren tatsächlich für die bekannte „Sendung mit der Maus“ in einem Waffeleisen gebacken, um die Funktionsweise der zweiten Generation Rückstrahler nach dem Katzenauge zu erklären. Guido Müller selbst gehört zur dritten Generation – nicht der Rückstrahler, sondern der Beleuchtungs-Dynastie Müller. Die im Firmennamen vertretene Familie Busch ist schon seit Jahrzehnten nicht mehr beteiligt.
Und während sein weit über 70-jähriger Vater Rainer sich nur noch in Teilzeit um die Geschäfte kümmert, ist Sohn Guido mit voller Energie im Thema Fahrradbeleuchtung. Und obwohl er nicht Ingenieur, sondern studierter Kaufmann ist, erklärt er ohne jedes Stolpern die Feinheiten der korrekten Ausleuchtung: „Das ideale, perfekte Leuchtbild für alle Zwecke gibt es nicht. Der beste Lichtkegel für den eher langsamen Stadtverkehr sieht anders aus als etwa derjenige für schnelle Überlandfahrten. Die Breite des Leuchtfeldes, die Helligkeit im Nahbereich – das muss alles zum Einsatz passen.“ Müller und seine Techniker arbeiten mit Licht wie eine Großbäckerei mit Teig.
Unten im Keller, hinter dem stockdunklen Messlabor, in dessen Finsternis sich Lux und Lumen gute Nacht sagen, ist entsprechend eine ganze Batterie Scheinwerfer aufgebaut. Sie beleuchten, von einer Art Mischpult gesteuert, eine simulierte Straße. Breite Lichtkegel, lange Lichtkegel, Fernlicht, Standlicht, das ganze Programm.
Guido Müller, Mitinhaber: Natürlich bin ich froh, mit dem Fahrrad-Markt nicht nur in einem florierenden Geschäft zu arbeiten, sondern auch etwas herzustellen, das dem Rest der Welt eher nützt als schadet. Das Fahrrad hat keine natürlichen Feinde.
Busch & Müller hat sich so umfassend auf die Fahrradbeleuchtung konzentriert wie kein zweiter Hersteller. 25 Scheinwerfertypen mit bis zu 100 Varianten bauen sie in Meinerzhagen, dazu 15 Arten Fahrrad-Rücklichter. Aus Metall und Kunststoff, für Akku- und Dynamobetrieb. Und das Ganze nicht nur „made in Germany“, sondern auch dort entwickelt, designt, getestet und verpackt. Das, was man im Industriesprech „Fertigungstiefe“ nennt, treibt Busch & Müller auf die Spitze: An der einen Laderampe rutschen Paletten mit Kunststoffgranulat, Pappkarton und Bandstahl in die Fertigung, von der anderen Laderampe machen sich fertige Scheinwerfer und Rückstrahler auf ihren Weg in die Welt, um Licht ins Dunkel zu bringen.
Dabei bleibt die Firma auch in der Beschaffung ihrem Standort treu: Was nicht selbst gefertigt wird, kommt aus der Gegend. Für Firmenchef Guido Müller ist das nicht nur Lokalpatriotismus, sondern auch eine Stilfrage. „Wir bevorzugen immer Lieferanten aus der Nähe“, sagt er, „auch, weil es einfach mehr Spaß macht, vor Ort etwas zu diskutieren, als dafür extra nach Asien reisen zu müssen.“ Außer Rohmaterialien und Verpackungskarton ist das wenig, denn vor wenigen Jahren haben die Müllers sogar einen Betrieb übernommen, der die Elektronik-Bauteile ihrer Lampen beisteuert. Was die Firma selbst produziert, wäre in seiner Bandbreite genug für vier oder fünf Fachbetriebe.
In einer Halle saugt eine ganze Batterie von Spritzgussmaschinen kleine Kunststoffkörnchen durch dicke Röhren an und verdichtet sie zu Lampengehäusen. Andere Kunststoffteile der Fahrradbeleuchtung, geformt wie Löffel ohne Stiel, landen in einem Nebenraum, wo sie aufgereiht wie die Körner an einem Maiskolben durch ein Vakuum rotieren, in dem verdampftes Aluminium sie zu brillanten Spiegeln bedampft – Kunststofftechnik auf hohem Niveau, kombiniert mit einem eigenen Werkzeug- und Formenbau.
Die Konstruktion der Lampen und die genaue Wölbung der Spiegelchen sind wiederum das Ergebnis penibler Ingenieursarbeit: Sie verteilen den winzig kleinen, gleißenden Lichtpunkt einer einzelnen Leuchtdiode genau so, wie ein Stadtradler, Überlandfahrer oder Pedelec-Pilot es jeweils braucht. Sitzt die Diode nur um Millimeterbruchteile unpräzise, ist ihr Lichtkegel unbrauchbar. Vom per Hand eingeschraubten Glühbirnchen vergangener Jahrzehnte hat sich die Technik weit entfernt. In Lux, dem Maß für Beleuchtungsstärke ausgedrückt: Als die Marke 1992 das Geschäft des einstigen Mitbewerbers „Union“ übernahm, hatten Fahrradscheinwerfer vier Lux. Die Einführung der Halogenlämpchen durch Busch & Müller steigerte den Wert rasch auf zehn Lux. Heute ist selbst bei zugelassenen Fahrradlampen die 100-Lux-Grenze überschritten – mit reichlich Impulsen aus Meinerzhagen.
Jahrzehntelang wucherten die Gebäude sozusagen bedarfsweise immer weiter über den Hügel am Ortsrand. Eine Galvanik, die matte Metallteile durch sprudelnde und ungesund riechende Bäder zieht, um sie erst kupfern, dann nickelsilber und schließlich chromglänzend funkeln zu lassen, bildet einen kleinen Nebentrakt. In einem bunkerartigen, schalldichten Raum nebenan stehen Presse und Stanze, die aus Bandstahl winzige Blechkontakte formen. Man durchquert Hochregallager, öffnet und schließt Brandschutztüren, blinzelt kurz ins Tageslicht und hat schon bald keinen Überblick mehr, wie der Grundriss der Firma für Fahrradbeleuchtung beschaffen sein könnte. Kurz vor Ende des Rundgangs öffnet sich dann eine der neuen, 2016 in Betrieb genommenen Hallen. Relativ hell, geruchsarm und ruhig: Die Montage. „Früher war die Montage direkt neben der Metallverarbeitung“, erklärt Müller. „Neben der Presse hat der Boden gezittert, es hat gedröhnt. Jetzt haben die Damen es ruhiger und angenehmer.“
Was hier etliche der über 250 Angestellten tun – in dieser Abteilung sind es wirklich nur Frauen –, ist so „made in Meinerzhagen“, wie es schon bald nach der Firmengründung gewesen sein dürfte: Am Ende ist es noch immer konzentrierte Handarbeit, die die vielen hauseigenen Zutaten zu Beleuchtungen und Spiegeln verbindet. Doch deren aktuelle Technik lässt das appetitliche Ur-Katzenauge ziemlich mittelalterlich aussehen.