Jörg Spaniol
· 19.08.2022
Bikepacking-Setup oder klassische Touring-Taschen? Was können sie, was sind Vor- was Nachteile? Jörg Spaniol hat sich dem Thema gewidmet und beide Möglichkeiten für den Gepäcktransport auf Radtouren verglichen. Natürlich kommen dabei auch Menschen zu Wort, die ihr ganz persönliches Setup beschreiben.
Was braucht der Mensch, um auf Radtour glücklich zu sein? Klar: Landschaft, Wetter, Sicherheit, ein gutes Rad und einen guten Plan. Doch darüber hinaus wissen Routiniers, dass weniger Ballast zu mehr Spaß führt. Sechs bis acht Kilo Nutzlast reichen hierzulande im Sommer, wenn man nicht gerade Campingausrüstung dabeihat. Dann ist alles an Bord, inklusive Regenzeug und einer Garnitur Zivilkleidung für abends. Das Gepäckvolumen liegt irgendwo zwischen 25 und 45 Liter – eigentlich kompakt genug für einen Rucksack, doch der nervt auf Dauer.
Aber wären nicht die immer zahlreicheren Bikepacking-Taschen eine Alternative zum fest montierten Gepäckträger und klassischen Packtaschen? Ist das eher ein Trend für Instagram-Knipser oder auch eine Überlegung für Traditionalisten? Wir sind der Sache auf den Grund gegangen und haben zuerst beim Taschenhersteller Ortlieb gefragt, der beide Varianten bedient. Auch Peter Wöstmann, Sprecher der Marke, sieht durchaus Stilfragen am Werk: „Über den Trend zu ‚Microadventures‘, also kurzen Trips von zu Hause aus, sind auch Leute von der klassischen Radreise in dieses optisch eher sportive Segment gewechselt. Auch das Gravelbike als neue, erfolgreiche Radgattung hat zur Verbreitung dieser Taschen beigetragen. Bikepacking-Taschen sind zunehmend an Gravelbikes oder Rennrädern zu finden, die in der Woche auf dem Arbeitsweg rollen und am Wochenende Sport- oder Reiseräder werden.“ Und an diese Räder passt technisch oder optisch bisweilen kein Gepäckträger.”
Doch das Trendgepäck hat auch technische Vorteile. Wir haben virtuell aus dem Ortlieb-Sortiment zwei Taschensets für ein Packvolumen von 45 Litern zusammengestellt und die Gewichte aufaddiert. Die klassische Packtaschenvariante aus zwei 20-Liter-Backrollern, einer Lenkertasche mit Adapter und einem hochwertigen Gepäckträger addierte sich auf das stolze Leergewicht von 3,2 Kilo. Im Vergleichs-Setup mit direkt ans Rad geschnallten Bikepacking-Taschen braucht man mehr Produkte für dasselbe Volumen: Eine 16-Liter-Satteltasche (vulgo „Arschrakete“), eine Lenkerrolle, eine vollformatige Rahmentasche sowie zwei kleine „Forkpacks“ für die Gabel à vier Liter. Unterm Strich sind das nur 1,9 Kilo Leergewicht – teuer, aber für sportliche Fahrer überzeugend leichter.
Einen vielleicht noch gravierenderen Vorteil hat Alee Denham, der Gründer der Radreise-Website Cyclingabout.com, herausgetestet: Für Versuche zum Luftwiderstand beider Varianten fuhr er mit gleichbleibender Leistung von 200 Watt auf einer Radrennbahn zahlreiche Testrunden und mittelte die Geschwindigkeit. Mit zwei Packtaschen am Gepäckträger (vorne oder hinten) fuhr er eine Durchschnittsgeschwindigkeit von gut 28 Stundenkilometern. Mit Bikepacking-Taschen an Lenker, Rahmen und Sattel waren es zwei Stundenkilometer mehr. Nun sind 200 Watt eine Dauerleistung für gut trainierte Radsportler. Der Rad-Ingenieur und Windkanalspezialist Robert Kühnen rechnete für uns das Ergebnis auf eine realistischere Leistung und Asphaltstraßen herunter. Doch auch mit 140 Watt Tretpower steht es 23,7 zu 25,2 Stundenkilometer fürs Bikepacking-Setup.
Wer aus irgendeinem Grund schneller unterwegs sein will, nimmt also Bikepacking-Taschen – und muss an anderer Stelle Kompromisse machen. Beim schnellen Zugriff auf die Ladung oder dem Transport etwas sperrigerer Dinge wie Zweitschuhe oder Espressokocher wird es zäh. Und wer die Taschen nicht perfekt für seinen Rahmen und seinen Tretstil gewählt hat, kommt beim Pedalieren ständig in Kontakt mit der Sattel- oder Rahmentasche. Die weichen, etwas formlosen Lenkerrollen behindern am Rennlenker mitunter beim Greifen oder gar beim Schalten, zudem drücken sie bisweilen auf die Bowdenzüge oder scheuern den Lack vom Steuerrohr. Bikepacking-Routiniers bekleben deshalb die unvermeidlichen Kontaktstellen zwischen Taschen und Rahmen mit Schutzfolie. Eine Fuhre mit klassischen Packtaschen mag sich insgesamt träger bewegen, doch diese Probleme hat sie nicht.
Sandra Schuberth hat vor fünf Jahren das sportliche Radeln entdeckt und liebt mehrtägige Bikepacking-Trips auf eigene Faust. Gemeinsam mit anderen gründete sie die Website „Thewomenallride.cc“
Sandra Schuberth - Online-Redakteurin und Radbloggerin: “Nachdem ich einmal mit Gepäckträgertasche von Leipzig nach Hamburg gefahren bin, war mir klar, dass Bikepacking-Taschen besser zu mir passen. Ich kann mich beim Gepäck sehr einschränken und brauchte nur eine Tasche am Gepäckträger. Das fuhr sich aber nicht so gut. Außerdem will ich an meinem sportlichen Rad nicht ständig einen Gepäckträger spazieren fahren. Mittlerweile passt mein ganzes Gepäck für mehrtägige Touren locker in die Bikepacking-Taschen. In der Satteltasche sind unter anderem mein Schlafsack und eine Isomatte. Wenn ich bei Freunden übernachte, passt immer auch ein stopfbares Kleid für den zivilen Look dazu.
Meine Taschen sind Einzelanfertigungen. Weil ich eher klein bin, passten andere nicht perfekt in den Rahmen oder schleiften auf dem Hinterrad. Rahmentaschen sind immer heikel: Wenn sie die Flaschenhalterposition abdecken, muss man schauen, wo die Getränke Platz haben – in einem Trinksack oder zusätzlichen Flaschen an anderer Stelle. Außerdem muss ich da besonders schlank packen, damit meine Beine sie nicht beim Treten berühren. Die Lenkerrolle halte ich möglichst klein, weil sie sonst auf dem Vorderrad hängen kann und ihr Gewicht die Lenkung beeinflusst. Wenn ich das Rad kurz abstelle, bleiben die Taschen dran. Für Snacks, wertvollere und häufig gebrauchte Dinge habe ich meistens einen kleinen Rucksack oder eine Oberrohrtasche dabei.
Das mag alles etwas unpraktisch klingen, aber weil ich sehr oft fahre, muss ich beim Packen kaum noch nachdenken. Und vom Fahrverhalten, gerade auf holprigen Pisten, sind Bikepacking-Taschen für mich klar überlegen.”
Stefanie Freytag ist viele Wochen im Jahr unterwegs – oft mit dem Fahrrad. In den vergangenen Jahren radelte sie unter anderem von Genf nach Lissabon, von Apulien nach München und bestieg abseits der geradelten „Route des Grandes Alpes“ mehrere Gipfel am Weg.
Dr. Stefanie Freytag - Anästhesistin, Vielreisende und Bergsteigerin: “Ich mag es simpel. Ich will nicht ein halbes Dutzend Täschchen mit fummeligen Riemen und Schnallen ans Rad basteln – und am Ende hält das nicht, und ich muss unterwegs nachzurren. Manche dieser Täschchen stören schon beim normalen Treten, oder ich stoße im Wiegetritt an. Auch am Ziel überzeugen klassische Taschen: Ein simpler Griff – und ich kann das Rad absperren und weggehen. Eine Tasche in jeder Hand, und das war’s. Außerdem kann ich die Sachen in normalen Packtaschen leichter wasserdicht verpacken, auch wenn die Tasche selbst nicht dicht sein sollte. Einen Müllbeutel rein und die Packbeutel dort hinein, fertig.
Dass man in einer so großen Tasche die Sachen nicht finden würde, kann ich auch nicht bestätigen: Man entwickelt nach wenigen Tagen automatisch ein sinnvolles System, was wo in der Tasche ist, und benutzt verschiedenfarbige Packbeutel oder Plastiktüten. Ich erlebe auch nicht, dass auf den Strecken, die man sinnvoll mit Gepäck befährt, die Taschen abspringen würden. Wenn man gute kauft und sie richtig einstellt, passiert das eigentlich nicht.
Ein Gepäckträger bewährt sich ohnehin, wenn auch sperrige Dinge mitmüssen: Wir sind mal mit kompletter Gletscherausrüstung in den Westalpen zum Bergsteigen geradelt. Und einen Eispickel kann man einfach nicht zusammenfalten!”
Vorteile
Nachteile:
Dass unser Packtaschen-Duell nicht mit einem Sieger und einem Verlierer endet, liegt schon angesichts der etwas unterschiedlichen Vorlieben unserer beiden Protagonistinnen nahe. Beide Varianten sind legitim und schlüssig. Zudem spricht nichts dagegen, beide Taschenwelten zu kombinieren. Lenkertasche und „Arschrakete“, Gepäckträger und Lenkerrolle? Das schließt sich keineswegs aus. Die neue Vielfalt erleichtert es einfach, die zum Reisestil und zum Fahrrad passenden Taschen zu finden.