Jörg Spaniol
· 14.04.2015
Die schwedische Firma Thule ist eigentlich eher für Auto-Dachboxen bekannt. Doch nach dem Zukauf eines speziellen Gepäckträgers entstand ein sehr eigenständiges Radtaschen-System.
Am Anfang stand die Abenteuerlust einiger neuseeländischer Designer. Die wollten in ihrem dünnbesiedelten Land das Gepäck für mehrere Tage auf Mountainbikes packen und fanden keine passenden Gepäckträger. Federgabeln und viele moderne Hinterbauten sehen so etwas einfach nicht vor. Ab 2007 entwickelten sie ihre „Freeload“-Gepäckträger, die dieses Problem sehr befriedigend lösten. Im Jahr 2012 kauften die schwedischen Transportspezialisten von Thule dann das Freeload-Design – und entwickelten ein umfangreiches Taschensystem drumherum.
Betrachtet man das Ergebnis aus der Nähe, muss das Entwicklungsbudget enorm gewesen sein. Es entstanden Detaillösungen, die Thules Taschen vom größten Teil des Angebots unterscheiden. Exemplarisch zeigt sich das an den großen Packtaschen für vorne oder hinten. Anstelle üblicher Haken mit Absprungsicherung verwendet Thule drehbare Klauen, die das Gepäckträger-Rohr mit Federkraft umgreifen. Diese Klauen sitzen werkzeuglos verschiebbar auf einer Aluschiene. Richtig aufwendig wird das Haltesystem durch den Trick, mit dem es sich (zum Tragen der Taschen) komplett wegklappen lässt: Die Aluschiene dreht sich auf festen Daumendruck weg, die Klauen zeigen dann verdeckt ins Tascheninnere. Alleine die Zahl der daran beteiligten Einzelteile und der nötigen Formen hätte eine kleine Firma arg strapaziert. Andere Packtaschen haben unten einen Haken, der in den Gepäckträger greift und das Schlingern der Last verhindert. Thule verwendet stattdessen einen starken Magneten. Der prangt auf der Gepäckträgerstrebe und findet sehr leicht sein Gegenstück, eine unsichtbare Metallplatte im Taschenrücken. Selbst wenn die beladene Tasche sich kurzzeitig löst, findet sie sofort wieder ihren Platz – anders als ein ausgerasteter Haken. Nun vertragen sich starke Magnete nicht gut mit Laptop-Festplatten oder Chipkarten. Ein Datenverlust beim Radtransport wäre eine dumme Sache – und so wurde der Taschen-Innenraum magnetisch abgeschirmt! Auch bei den Schnallen der Kompressionsriemen und dem dicken, etwas steifen Grundmaterial regierte technischer Perfektionismus. Vorne am Rad, bei der Lenkertaschenhalterung, kulminiert diese Grundhaltung in einer durchaus funktionalen, aber auch kolossalen Skulptur aus Aluminium und Kunststoff. Sie provoziert eine Frage: Führt Perfektionismus zwangsläufig zu Perfektion?