Angelika Urbach
· 19.08.2014
Stillsitzen und artig sein? Das gilt nur für feine Hotels! In einer Jugendherberge finden Kinder jeden Abend neue Freunde und freuen sich über viel Platz zum Toben. Wie es den Eltern dort ergeht, zeigt unsere Reportage vom Bodensee.
Unsere erste Radreise mit Kindern wirkt bis heute nach: Nach einem langen, sonnigen Tag rollten wir die noble Auffahrt eines Wellness-Hotels hinauf. Drinnen übersah der Concierge in Manier eines Profis die vom Spielen schmutzigen Kinder und die staubigen Packtaschen. Zum Glück! Doch die erste Freude verschwand, als zum Abendessen für alle ein Vier-Gänge-Menü serviert wurde. Klar, dass die Kids nach dem spannenden Tag nicht still sitzen konnten. Ihr Gezappel und unsere Schelte sprengten den eleganten Rahmen, und wir verschanzten uns bald im Familienzimmer. Glotze an, gute Nacht.
Sieben Jahre und ebenso viele Radurlaube später kennen wir vielerlei Unterkünfte: Frühstückspensionen, Hostels, Zeltplätze, Bauernhöfe. Um Jugendherbergen machten wir bislang einen Bogen. Zu lebendig waren Erinnerungen an Klassenfahrten mit Übernachtungen in Mehrbettzimmern, an kalte Etagenduschen und an – naja – mittelmäßiges Essen. Dass wir den Schlafstätten unserer Jugend dennoch eine zweite Chance gaben, lag an anderen Eltern, die begeistert von ihren Aufenthalten in "modernen" Herbergen mit "praktischen" Familienzimmern erzählten. Günstig und gut.
Eignen sich die Häuser auch für Radelferien? Das wollen wir in einer der beliebtesten Radregionen Deutschlands herausfinden: am Bodensee. Eltern, die den regen Radverkehr auf der malerischen Seerunde nicht scheuen, sind hier gut aufgehoben. Denn fast in jeder Ortschaft gibt es Anleger der Linienschiffe, die auch Räder transportieren. So können Familien bequem ans Ziel schippern, wenn dem Nachwuchs unterwegs die Kraft und die Lust verloren gehen.
Vorbereitung In Sachen Bequemlichkeit beim Buchen stehen Jugendherbergen klassischen Hotels nicht nach. Die Standorte sind auf der offiziellen Website www.jugendherberge.de leicht zu recherchieren. Prompt werden unsere E-Mails mit Reservierungsanfragen beantwortet: Drei Wochen vor Reisetermin ist das Haus in Lindau leider schon ausgebucht. Wir finden eine Alternative in Rorschach, Schweiz, in einer ehemaligen Jugendherberge, die heute privat geführt wird. Bestätigungen kommen aus Konstanz (nur noch Mehrbettzimmer) und für ein Familienzimmer in Überlingen. Merke: Jugendherbergen verfügen über eine begrenzte Zahl an Familienzimmern mit eigener Dusche und Toilette. Doch nur die Frühbucher bleiben im Familienzimmer unter sich.
Freizeitangebot
Tag 1: Die Unterkunft in Rorschach gehört zu einem Strandbad und verfügt über großzügige Außenanlagen. Also rasch das Zimmer beziehen und dann raus ins Freie! Nils (12) und Sarah (10) planschen im Wasser, wir Eltern genießen lässig die Sonne.
Tag 2: Die Jugendherberge in Konstanz ist von Rasen umgeben. Dazu gibt es ein Volleyballnetz, Tischtennis-Platten und ein Outdoor-Schach, an dem Nils schnell Mitspieler findet.
Tag 3: Überlingen besitzt keine besonderen Highlights. Doch für uns Eltern zählt vor allem der geschützte Rahmen, in dem Kinder mit Gleichaltrigen toben dürfen und eine Bespaßung durch Mama oder Papa überflüssig wird.
Das Beste: Die Angst, dass ihr Sprössling andere Gäste stören könnte, geben wir in der Jugendherberge beim Empfang ab. Denn hier logieren fast nur Jugendliche – und andere Familien. Ganz ehrlich: Die lockere Atmosphäre sorgt bisweilen für mehr Entspannung als ein Verwöhnhotel!
Fahrräder Die meisten Jugendherbergen am Bodensee – und in anderen radtouristischen Gebieten – tragen das Bett + Bike-Siegel des ADFC. Auf unserer Tour von Lindau über Rorschach, Konstanz und Überlingen nach Lindau finden wir jeden Abend abschließbare und überdachte Stellplätze, auch Werkzeug für kleinere Reparaturen ist vorhanden.
Komfort Jeden Tag dieselbe Prozedur: Vom Empfang aus schleppen wir vier Sets Bettwäsche aufs Zimmer, beziehen die Betten eigenhändig – und bringen die Schmutzwäsche am nächsten Morgen zur Sammelbox. Vorteil: Manches Kind lernt hier, sein eigenes Bett zu beziehen. Manko: Wer kein Familienzimmer ergattert, teilt Duschen und Toiletten mit anderen. Unsere Zimmer sehen an jedem Ort ähnlich aus: karge Stockbetten und
schmale Spinde, in denen Helme und Packtaschen gerade noch Platz finden. Zum Verweilen lockt der schlichte Charme nicht. Egal: Schließlich tobt das Leben der Jugendherberge in Gemeinschaftsräumen.
Mehrbettzimmer Kein Familienzimmer ergattert? Macht nichts! In Konstanz teilen Sarah und ich ein Sechserzimmer mit zwei netten Radtouristinnen, ebenfalls Mutter und Tochter, die wir andernfalls nie kennengelernt hätten. So aber tauschen wir Tour-Erfahrungen aus bis alle in tiefen Schlaf fallen. Zum Glück ist kein Schnarchen zu hören.
Essen Praktisch: Halbpension (und Lunchpakete) buchen wir in jeder Jugendherberge im Voraus. Auf diese Weise klingen die Abende in der Herberge gemütlich aus – ohne später am Abend mit Kind und Kegel zur Pizzeria in die Stadt aufbrechen zu müssen. Das Essen ist zumindest ordentlich und macht satt: Salatbüffets für Ernährungsbewusste; Hähnchennuggets, Geschnetzeltes und Beilagen als Kraftfutter für hungrige Radfahrer. Klares Highlight aus Sicht der Kinder: ein Frühstück mit Waffeln zum Selberbacken in Konstanz! Sie schlagen sich den Bauch ordentlich voll. Das ist gut so, schließlich wollen wir heute 48 Kilometer bis Lindau treten.
Unser Fazit Jugendherbergen eignen sich perfekt für unkomplizierte One-Night-Stopps auf Radreisen mit der Familie. Denn hier dürfen Kinder unbeschwert spielen und auch mal laut sein. Und während die Kids auf eigene Faust mit eben gefundenen Freunden das Haus erobern, können Mama und Papa herrlich ausspannen. Für diesen Luxus verzichten Eltern gerne auf ein bisschen Komfort bei Bett und Zimmer, richtig?
Länge/Route: 146 Fahrradkilometer auf dem Bodenseeradweg;
Lindau – Bregenz – Rorschach – Romanshorn – Konstanz – Mainau – Wallhausen – Schiffspassage nach Überlingen – Uhldingen – Meersburg – Friedrichshafen – Lindau
Herbergen: Entlang des Bodensee-Radwegs gibt es auf deutscher Seite viele Häuser, die dem Deutschen Jugendherbergswerk angeschlossen sind. In Österreich und der Schweiz ist die Dichte geringer. Alle Häuser bieten Familienzimmer in begrenzter Zahl. Für die Sommermonate empfiehlt es sich, Familienzimmer einige Zeit im Voraus zu reservieren. Sind diese bereits ausgebucht, wird die Familie nach Geschlechtern getrennt in Mehrbettzimmern einquartiert.
Adressen von Jugendherbergen und Familienhotels entlang der vorgestellten Route sind:
Jugendherberge Lindau, Herbergsweg 11, D-88131 Lindau; Tel. +49/ 83 82/ 96 71-0; E-Mail: lindau@jugendherberge.de, www.lindau.jugendherberge.de
Jufa Familiengästehaus Bregenz, Mehrerauerstraße 5, A-6900 Bregenz; Tel. +43/ 57 08 35 40;
E-Mail: bregenz@jufa.eu; www.jufa.eu
Junges Hotel Hard, Allmendstraße 87, A-6971 Hard; Tel. +43/ 55 74/ 734 35; E-Mail: office@jugendherberge-hard.at; www.jugendherberge-hard.at
Herberge im Strandbad Rorschach, Churerstraße 4, CH-9400 Rorschach; Tel. +41/ 71/ 844 97 12; E-Mail: info@herberge-rorschach.ch; www.herberge-rorschach.ch
Jugendherberge Romanshorn, Gottfried-Keller-Str. 6, CH-8590 Romanshorn;Tel. +41/ 71/ 463 17 17;
E-Mail: romanshorn@youthhostel.ch; www.youthhostel.ch/romanshornwww.youthhostel.ch/romanshorn
Jugendherberge Otto-Moericke-Turm Konstanz, Zur Allmannshöhe 16, D-78464 Konstanz, Tel. +49/ 75 31/ 322 60; E-Mail: info@jugendherberge-konstanz.de; www.konstanz.jugendherberge-bw.de
Martin-Buber-Jugendherberge Überlingen, Alte Nußdorfer Straße 26, D-88662 Überlingen; Tel. +49/ 75 51/ 42 04; E-Mail: info@jugendherberge-ueberlingen.de; www.ueberlingen.jugendherberge-bw.de
Graf-Zeppelin-Jugendherberge Friedrichshafen, Lindauer Str. 3, D-88046 Friedrichshafen; Tel. +49/ 75 41/ 724 04; E-Mail: info@jugendherberge-friedrichshafe.de; www.friedrichshafen.jugendherberge-bw.de