Sven Bremer
· 14.04.2023
Inselhopping per Rad: Auf Rømø und Fanø an der Nordsee im dänischen Teil des UNESCO-Weltnaturerbes Wattenmeer geht’s durch beeindruckende Dünen- und Heidelandschaften – und an kilometerlangen Stränden direkt am Wasser entlang.
Eben war es noch da, das Meer. Jetzt ist es verschwunden. Klar, irgendwo muss noch Wasser sein. Denn die Fähre, mit der wir von List auf Sylt nach Rømø gekommen sind, macht sich gerade auf den Rückweg. Aber hier am Sønderstrand von Rømø, der südlichsten Nordseeinsel Dänemarks, ist es verschwunden. Kein Wasser, kein Wellenrauschen, stattdessen ganz viel Sand – und euphorisches Juchzen. Das kommt von den Strandseglern, die mit ihren tollkühnen Kisten mit bis zu 50 Stundenkilometern über Europas breitesten Sandstrand sausen. „Rømø ist der beste Ort auf der ganzen Welt fürs Strandsegeln“, behauptet Henning Bruun, der hier eine Strandsegelschule betreibt. Und er sagt das so, dass man kaum Zweifel daran haben kann.
Es sieht wirklich nach optimalen Bedingungen für die Strandsegler aus. Erst recht bei Ebbe; dann ist das Wasser der Nordsee bis zu drei Kilometer vom Dünengürtel weg, und man hat reichlich Platz. Zum Paradies für Strandsegler, Kitebuggyfahrer und für all jene, die gerne Lenkdrachen steigen lassen, wird Romø aber erst, weil hier oben immer Wind ist. Das macht auch das Radfahren zu einem großen Vergnügen … aber nur, wenn der Wind von hinten kommt, während man sich bei Gegenwind ganz schön quälen muss. Was uns nicht davon abgehalten hat, zu einer Inselhopping-Tour durchs dänische Wattenmeer zu starten. Von Sylt über Rømø und entlang der Westküste Südjütlands über Mandø nach Fanø.
Henning Bruun weiß, dass der Wind für Radfahrende eine andere Rolle spielt als für Strandsegler. Die können schließlich mit dem richtigen Manöver die Richtung ändern – und schon nehmen sie wieder Speed auf. Uns empfiehlt er bei den aktuellen Windverhältnissen: „Fahrt doch einfach hier am Strand entlang.“ Was erst einmal ziemlich bescheuert klingen mag, ist auf Romø gar nicht so abwegig. Auf dem zwölf Kilometer langen Riesenstrand dürfen auf bestimmten Abschnitten sogar Autos fahren, und ein paar Räder haben wir auch schon gesehen.
Aber wir entscheiden uns anders und cruisen einmal mitten über die Insel. Eine gute Entscheidung, denn die Landschaft auf Rømø ist nicht nur an der „Waterkant“ etwas ganz Besonderes. Die „Panoramaroute 402“ führt uns durch eine wunderschöne Dünen- und Heidelandschaft, durch Wälder und schließlich durch die Marschlandschaft im Nordosten der Insel. Ab dort geht es auf den Rømødæmningen, den Straßendamm, der die Insel mit dem Festland verbindet, und weiter am Deich entlang Richtung Norden. Mandø mussten wir leider aus unserem Inselhopping-Plan streichen. Aber uns war vorher klar, dass der Trip dorthin nur mit viel Planung oder viel Glück gelingen würde. Denn die Anfahrt über den Damm ist tidenabhängig. Nur bei Ebbe kommt man mit dem eigenen Fahrzeug oder mit der sehr speziellen Mandø-Flotte hinüber: alte, umfunktionierte Omnibusse, die von PS-starken Traktoren gezogen werden.
Wir fahren stattdessen nach Ribe, der ältesten Stadt Dänemarks –und bestimmt auch eine der schönsten. Der mächtige Dom, der die zahlreichen gut erhaltenen Fachwerkhäuschen überragt, ist das Wahrzeichen der einstigen Wikingersiedlung. Nach Fanø wiederum kommt man nur via Esbjerg. Und Esbjerg ist das Gegenteil von Ribe: eine eher unansehnliche Industriestadt, die für die meisten nur Durchgangsstation nach Fanø ist.
Und dort machen wir genau das, was uns Henning Bruun schon für Rømø vorgeschlagen hatte. Ab Fanø Bad führt die Route rund zehn Kilometer den Strand entlang. Besser geht’s nicht; ab und zu weht uns die Gischt der kabbeligen Nordsee ins Gesicht; der Wind kommt netterweise von hinten, und das Meeresrauschen ist gratis. Mit den Strandseglern, die auch hier unterwegs sind, können wir nicht ganz mithalten. Wir überlegen gerade, wie das mit dem Rad und einem Segel gehen könnte, als wir urplötzlich anhalten müssen …
Nur ein paar Meter von der sandigen Piste entfernt liegen zwei kleine Seehunde. Unfassbar süß, wie sie einen aus ihren Knopfaugen anschauen. Auf keinen Fall anfassen, das hatte ich mal gelernt. Aber soll man jetzt Hilfe holen? Haben diese beiden „Heuler“ ihre Mutter verloren? Oder ist sie nur auf der Jagd und hat ihre Jungen am Strand abgesetzt? Nach ein bisschen Googeln erreichen wir Søren Brinch. Der Mann führt seit 20 Jahren Touristen bei Robbensafaris durch den Nationalpark Wattenmeer Fanø. „Wenn sie nicht verletzt sind, macht euch keine Sorge. Die Mutter wird kommen“, sagt der Naturführer, „aber nur, wenn keine Menschen bei ihnen herumstehen.“ Das leuchtet ein; also schnell weiter am Strand entlang, durchs pittoreske Sønderho zurück nach Nordby ins Restaurant Fanø Krogaard. „Dagens fisk“, also der frische Tagesfang, steht auf der Karte. Wir müssen noch mal an die beiden Seehundbabys denken. Hoffentlich hat ihre Mutter sie gefunden und bringt auch ihnen den „Dagens fisk“ vorbei.
Anfahrt: Von Westerland auf ausgeschilderten Radrouten nach List auf Sylt geradelt (25,1 km). Von dort mit der Fähre nach Havneby auf Rømø.
71,2 km, überwiegend flach, Asphalt, Waldweg, Sand, Schotter
Auf Rømø auf der Panoramaroute 402 quer über die Insel; durch Wald, Heide- und Dünenlandschaft und schließlich von Lakolk an der Westküste zurück an die Wattseite. Zur Zeit unserer Reise wurde der Deich im Norden ausgebessert. 2023 soll er laut Rømø-Touristinformation wieder befahrbar sein. Nach den rund neun Kilometern über den Rømødæmningen aufs Festland geht es an der Küste des Wattenmeers Richtung Norden. Der Weg mit extrem grobem und spitzem Schotter etwas weiter im Landesinneren ist als Nordseeküstenradweg (Vestkystvej 1) ausgeschildert, direkt unterhalb des Deichs gibt es einen weitaus besseren Weg. Bei Vester Vested geht es ins Landesinnere nach Ribe.
70,5 km, überwiegend flach, Asphalt, Waldweg, Sand
Auf kleinen, verkehrsarmen Landstraßen (ausgeschildert als Nordseeküstenradweg mit der Nummer 1) durch Felder und unspektakuläre Dörfer an den Deich, ab dort nordwärts nach Esbjerg. Mit der Fähre rüber nach Fanø. Dort parallel zur Straße nach Fanø Bad und ab dort den Nordseestrand entlang. Man kann zunächst wählen zwischen einer Piste entlang der imposanten Dünen oder fast direkt am Wasser. Der Sand ist komplett verdichtet; es rollt sich fast wie auf Asphalt. Nach gut zehn Kilometern hinein nach Sønderho mit seinen kleinen pittoresken Häuschen. Zurück Richtung Fähre entweder komplett auf dem neu gemachten Radweg entlang der Landstraße oder man biegt noch mal ab Richtung Wattseite; die Wege dort sind aber zum Teil abenteuerlich und anstrengend, weil sandig.
Die GPS-Daten zur Radtour über die dänischen Inseln Rømø und Fanø können Sie hier kostenlos herunterladen oder finden sie in der MYBIKE Collection auf komoot
Bahn: Ab Hamburg-Altona geht es mit der Regionalbahn in knapp 3 Stunden nach Sylt. Für einen Fahrgast kostet es 28 Euro, zwei zahlen 32 Euro, fünf Personen 44 Euro. Plus Fahrrad-Tagesticket. Tipp: das Schleswig-Holstein-Ticket für bis zu fünf Reisende, an Werktagen gültig ab 9.00 Uhr morgens, am Wochenende ab 0.00 Uhr. Ab Hamburg-Hauptbahnhof fahren auch ICs nach Westerland. Zurück ab Esbjerg in rund 3,5 Stunden mit einmal umsteigen nach Hamburg. Radmitnahme für IC und die dänischen Züge vorher reservieren!
Auto: Bis Niebüll, von dort mit dem Autozug nach Sylt und das Fahrzeug dort stehen lassen. Oder bis Niebüll (ab HH via Heide und Husum auf der B 5 oder via Schleswig und Flensburg über die A 7), dort das Auto parken und den Regionalzug zur Insel nehmen.
Die Fähre von List auf Sylt nach Havneby auf Rømø fährt im Sommer rund ein Dutzend Mal täglich. Fahrtzeit ca. 45 Minuten; Überfahrt für eine Person mit Fahrrad 12 Euro. Man kann alle Tickets online kaufen, das Fahrradticket nur vor Ort.
Die Fähre Esbjerg–Fanø fährt in der Hauptsaison zum Teil alle 20 Minuten, braucht nur zwölf Minuten. Hin- und Rückfahrt kosten in der Hauptsaison 50 dänische Kronen pro Person und Fahrrad (ca. 7 Euro).
Im Nationalmuseum Kommandørgården auf Rømø bekommt man einen guten Einblick in das Inselleben in früheren Zeiten. Schwerpunkt der Ausstellungen ist die Ära der Walfänger, Highlight ist das riesige Skelett eines Pottwals.
Gleich nebenan in Toftum findet man die älteste und die kleinste Schule Dänemarks. Ribe, Dänemarks älteste Stadt mit seinem gewaltigen Dom, ist ein Gesamtkunstwerk und lädt zum Flanieren ein; im Museet Ribes Vikinger kann man sich auf die Spuren der Wikinger begeben, die um 700 n. Chr. hier die erste Siedlung gründeten.
Wissenswertes zum UNESCO-Welterbe Wattenmeer erfährt man im Vadehavscentret (Wattenmeerzentrum) in Vester Vedsted.
In Dänemark servieren immer mehr Restaurants regionale Küche auf hohem Niveau – allerdings auch preislich. Ein Hauptgericht in einem guten Restaurant ist selten unter 25 Euro zu bekommen. Für den schmalen Geldbeutel tut’s vielleicht auch mal eine Pølser-Bude. Dort werden u.a. die typisch dänischen roten Würstchen (Rød Pølser) angeboten, kogt (gekocht) oder risted (gebraten) und mit getrockneten Röstzwiebeln, Gürkchen und reichlich Saucen zu astreinen Hot Dogs verarbeitet.
Strandseljere: Strandsegeln am Sønderstrand von Rømø. Nach kurzer Einführung kann es losgehen mit bis zu 50 km/h. Eine Stunde bei OurStuff inkl. Material 50 Euro.
ADFC-Radtourenkarte Dänemark: Jütland Süd, Fünen (Blatt DK 2), Maßstab 1:115.000, 9,95 Euro,
Touristinfo Rømø: Tel.: +73 709650,
Weitere Infos auf Deutsch: www.roemoe.de
Touristinfo Fanø (in Nordby): Tel.: +45 70 264200,
Allgemeine Infos: www.visitdenmark.de