Armin Herb
· 17.06.2014
Eine Alpenüberquerung mit dem Fahrrad ist immer ein besonderes Erlebnis, vor allem quer durch die Schweiz, vom Bodensee über den San Bernardino zum Lago Maggiore.
“Wo wellet se denn elle no?“, schwäbelt die betagte Besucherin vom Nordufer. Am Bodensee ist die Hölle los. Fast im Sekundentakt passieren Radfahrer das Seerestaurant Salzmann beim Schweizerischen Fußach. So schön er ist, so beliebt ist der Radweg um den Drei-Länder-See. Da ziehen wir uns lieber für ein Päuschen ins Rheindelta zurück. Ein wahres Naturjuwel und erster Höhepunkt unserer Transalp-Reise durch die Schweiz. Statt Radlerpalaver bevorzugen wir im Schilf Vogelgezwitscher und Fröschequaken als Geräuschkulisse.
Im Süden leuchten die ersten Alpengipfel. Dort wollen wir hin und drüber hinweg ins Tessin. Der Rhein wird uns dabei lange begleiten hinein ins Hochgebirge – zu historischen Orten durch herrliche Landschaft. Allerdings radeln wir gegen den Strom, gegen den Radlerstrom, denn fast alle wollen rheinabwärts Richtung Deutschland und weiter zur Mündung in die Nordsee.
Die kleinste Stadt der Schweiz ist mit zwei Gassen und nicht mal 100 Einwohnern so klein, dass wir fast durchgerauscht wären. Dabei verwöhnt Werdenberg seine Gäste mit einem Ambiente wie aus dem Geschichtsbuch: Auf einem Weinberg thront ein Schloss aus dem 13. Jh., zu seinen Füßen liegen ein großer Ententeich und der urige Ortskern mit reich verzierten Holzhäusern.
Eigentlich kann man anfangs viele Kilometer auf dem Rheindamm zurücklegen, aber die beschilderte Radroute verläuft abwechslungsreicher leicht hügelig durch Dörfer und Weingärten. Ab und zu wechseln wir das Ufer. So geht es ohne Grenzkontrolle durchs Fürstentum Liechtenstein nach Vaduz und Triesen, vorbei an Weiden voller Kühe mit gestutzten Hörnern. Bemitleidenswert sehen sie aus. Aber zum Glück ist das hier nicht die Regel.
Das altehrwürdige Bad Ragaz drängt sich förmlich als Übernachtungsort auf. Nicht wegen der noblen Hotels oder der dunkel-kühlen Taminaschlucht, sondern hier lassen sich im modernen Thermalbad nach einer langen Tagestour so schön die müden Beine lockern.
Im nahen Maienfeld soll sie gelebt haben, die berühmte Heidi, die Romanfigur von Johanna Spyri. Wir machen einen Bogen drum durch die Weinberge. Denn „Heidiland“ ist schon etwas zur Massenabfertigung verkommen. Schade! Denn gerade in der Weinstube Graubündens zeigt sich das Alpenvorland wie ein gigantisches Gemälde. Allerdings fordern die knackigen Steigungen erstmals die Kondition heraus. Schloss Marschlins am Eingang des Landquart-Tales wirkt wie ein mächtiger Wächter an der Pforte der Bergriesenwelt. Dabei patrouillieren rund ums ehemalige Wasserschloss heute keine Ritter mehr, sondern werkeln Ökobauern und suhlen glückliche Bioschweine.
Chur, die sympathische Metropole Graubündens, ist die letzte städtische Bastion, bevor es hinauf geht ins Hinterrheintal. Der richtige Ort, um vor den Bergetappen nochmals im Straßencafé zu sitzen und unter wehenden Schweizer Fahnen in die Sonne zu blinzeln. Manch einer wird zudem gerne einen Abstecher in eines der vielen Museen zu Geschichte, Natur oder Weinbau machen.
Hinter Thusis wird es plötzlich eng und dunkel. Wir müssen durch die berühmt-berüchtigte Via Mala hindurch. Schaurige Sagen ranken sich um die düstere Schlucht des Hinterrheins – von Transport-Tragödien und Berggeistern. „Ihr müsst unbedingt die Treppen hinunter steigen ins ‚Verlorene Loch‘ – es lohnt sich“, rät uns die Wirtin des Weiss Kreuz in Thusis. Sie hat Recht. Ein tosendes Naturschauspiel erwartet den Besucher: 300 Meter hoch ragen links und rechts die Kalkfelsen empor und lassen nur wenig Licht in den kalten, feuchten Canyon mit seinen Windungen und gluckernden Strudeltöpfen. Welche Dramen sich wohl seit der Römerzeit an dieser gefährlichen Engstelle abgespielt haben? Autofahrer sehen heute im Tunnel gar nichts mehr von dieser Naturgewalt. Leicht fröstelnd schrauben wir uns nach diesem Erlebnis weiter in die Höhe. Hinauf ins Val Schons oder Schamsertal, in die Welt der Dreitausender mit den ganzjährig weißen Schneehauben, zu den kitschig-schönen Bergdörfern mit den sonnengegerbten Holzhäusern und uralten romanischen Kirchen. Splügen ist solch ein Prachtdorf wie aus dem Bilderbuch. Von dort sind es noch rund 20 Kilometer und 600 Höhenmeter bis zum höchsten Punkt unserer Alpenüberquerung. Das holländische Pärchen, das uns einige Kilometer begleitet hat, verabschiedet sich Richtung Splügenpass. Die beiden rüstigen Rentner wollen immerhin noch bis Rom – immer mit einem Lächeln im Gesicht. Und wir keuchen kurz darauf die Serpentinen zum San Bernardino hinauf. Landschaft und Straße rauben uns den Atem. Auch weil ab und zu die Leitplanke fehlt am Abhang. Zum Glück scheint die Sonne, denn oben auf 2066 Meter Höhe liegt noch eine geschlossene Schneedecke. Das Albergo am Pass hat schon bessere Zeiten gesehen und ist wohl nur noch bei schönstem Sommerwetter geöffnet. Aber Leben ist trotzdem hier oben. Im Passsee plätschert einsam ein Entenpaar.
Dick eingepackt rollen wir hinunter in den italienisch geprägten Teil der Schweiz, allein schon an den Ortsnamen wie Mesocco und Soazza unschwer zu erkennen. Eine ganz andere Welt tut sich auf, auch wenn hier noch alpine Umgebung vorherrscht und von steilen Bergflanken hohe Wasserfälle herabstürzen. Das südliche Flair erzeugt Ferienstimmung, zumal nun alle großen Steigungen hinter uns liegen. In Bellinzona, der Metropole des Tessins mit ihren drei markanten Burgen, fühlt man sich schon wie mitten in Italien, bei Cappuccino auf der Piazza. Und am nahen Lago Maggiore ist fast so viel los wie am Bodensee. Allerdings flanieren hier vor allem die Spaziergänger und noch nicht die Radler.
Knapp 300 km misst die Transalp-Route vom Rheindelta am Schweizer Bodenseeufer bis nach Locarno am Lago Maggiore. Man fährt überwiegend auf asphaltierten Radwegen und Nebenstraßen. Bis Bad Ragaz sind kaum Steigungen zu befürchten, dann wird es hügelig. Die Serpentinen zum San-Bernardino-Pass erfordern eine gute Grundkondition und die entsprechende Übersetzung am Rad.
Sie finden den GPX-Track zur Transalp Schweiz in der MYBIKE Collection “Alpenüberquerung durch die Schweiz” auf komoot.
Hotel Schloss Ragaz, Schloss-Strasse, CH-7310 Bad Ragaz
Altehrwürdig und gediegen residiert man im Drei-Sterne-Haus in einem Park am Ortsrand von Bad Ragaz. Info: www.schlossragaz.ch
Hotel Weiss Kreuz, Neudorfstrasse 50, CH-7430 Thusis
Traditionsgasthaus mitten in Thusis unweit der Via Mala. Info: www.weisskreuz.ch
Albergo Bellevue, CH-6565 San Bernardino
Historisches Berghotel in San Bernardino auf der Alpen-Südseite am Fuße des Passes auf 1600 m Höhe. Info: www.bellevue-sanbernardino.ch
Werdenberg: Die kleinste Stadt der Schweiz beherbergt nicht mal 100 Einwohner und besteht aus zwei engen Gassen mit historischen Holzhäusern und Ortsmuseum sowie einem Schloss mit großem Ententeich. Info: www.werdenberg.ch
Bad Ragaz: Traditionsreicher Thermalkurort am Fuße des Pizol und am Ausgang der Taminaschlucht: angenehm für einen ausgedehnten Wellness-Stopp, aber auch nur für eine Kaffeepause. Info: www.badragaz.ch
Via Mala Schlucht: Mythen und Schreckensgeschichten ranken sich um den einst "schlechten Weg" durch die 300 m tiefe Felsenklamm des Hinterrheins bei Thusis. Mehr als 300 Stufen führen hinab ins "Verlorene Loch". Info: www.viamala.ch
Bellinzona: Drei Burgen, schöne Beispiele mittelalterlicher Wehranlagen und UNESCO-Weltkulturerbe, verdeutlichen die einst strategisch wichtige Lage am Südfuß von drei Alpenpässen. In der Altstadt beeindrucken zudem die Bürgerhäuser aus dem 18. Jh. Info: www.bellinzonaevalli.ch
Zum Mitnehmen wohl etwas wuchtig, aber herrlich zum Schmökern und Planen: Baedeker Allianz Reiseführer "Schweiz", 722 Seiten, 27,99 Euro, ADAC Reiseführer plus Schweiz: Mit Maxi-Faltkarte und praktischer Spiralbindung, 14,99 Euro
Zur Orientierung: Kümmerly + Frey Radkarte "Schweiz – Suisse" 1:301.000, 19,80 Euro.
Tipp! Reiseführer und Karten gibt es auch im gebrauchten, aber oft wie neuen Zustand kostengünstig im Internet (Amazon, rebuy, medimops) zu kaufen.
Schweiz Tourismus www.myswitzerland.com, Mendelssohnstr. 87, 60325 Frankfurt am Main, per E-Mail, info@MySwitzerland.com oder unter der kostenfreien Rufnummer von Schweiz Tourismus mit persönlicher Beratung 00800 100 200 30.
Außerdem: www.graubuenden.ch / www.ticino.ch