Jochen Donner
, Uli Frieß
· 30.11.2022
Vor 15 Jahren versprach der Carbon-Zahnriemen, die wartungsbedürftige und verschleißanfällige Kette bei Getriebeschaltungen zu ersetzen. Wie gut ist ihm das gelungen? Der Gates-Riemen im Zwischenfazit.
Kaum ein Rad mit Getriebeschaltung kommt heute noch ohne Zahnriemen aus. „Durch den E-Bike-Boom der letzten paar Jahre hat der Gates-Riemen noch einmal einen riesigen Aufschwung erlebt“, freut sich Frank Schneider vom europäischen Gates-Vertrieb Universal Transmissions in Mühltal, Thüringen. Auch optisch ist der Anblick scharf konturierter, schwarzer Riemen-Zähne in silbern glänzenden Riemenscheiben für viele der Inbegriff moderner Fahrradtechnik. Waren anfangs nur hochwertige Reise- und Vielfahrer-Räder mit dem langlebigeren, aber teuren Riemenantrieb ausgestattet, kommen heute Gates-Riemen-Systeme an Fahrrädern und E-Bikes jeglichen Typs und in sämtlichen Preissegmenten zum Einsatz. Mitbewerber Conti blieb nach Qualitätsproblemen und einem Rückruf (Stichwort: IKEA-Fahrrad) 2018 auf der Strecke.
„Das schlagende Argument ist eigentlich immer die Wartungsarmut“, weiß Schneider. Insbesondere Erstkäufer von E-Bikes, die nicht bereits mit Fahrradtechnik und -wartung vertraut sind, legen extremen Wert darauf, ein unter allen Umständen jederzeit funktionierendes Rad zu besitzen. Neben einem platten Reifen fürchten sie insbesondere die Fahrradkette, die bekanntermaßen regelmäßige Wartung und Pflege benötigt. Nun ist es nicht so, dass der Gates-Riemen-Antrieb wartungsfrei wäre. „Wir sprechen deshalb ausdrücklich von ‚wartungsarm‘, um Missverständnisse von vornherein zu vermeiden“, stellt Schneider klar. Denn auch der langlebige Kunststoffriemen mit seinen längungsresistenten Carbon-Zugfasern hält nicht für immer und ewig.
Das Gates-System wird in drei für uns interessanten Versionen angeboten: CDX (Carbon Drive Extreme), CDC (Carbon Drive Commuter) und CDN (Carbon Drive Network). Die einfache ST(Sidetrack)-Version arbeitet mit simplen Bordscheiben an den Riemenscheiben und ist nur für Gelegenheits-Radler gedacht.
Von den drei für intensivere Radnutzung relevanten Versionen ist CDX die mit der größten Belastbarkeit, Langlebigkeit und dem höchsten Preis. Sie bietet nach Gates-eigenen Messungen die dreifache Lebensdauer eines vergleichbaren Kettenantriebs. CDC mit zweieinhalbfacher und CDN mit eineinhalbfacher Ketten-Lebensdauer reihen sich dahinter ein.
Die Angaben sollte man jedoch nur als Anhaltspunkt und nicht wörtlich nehmen.
Alle Gates-Riemen sind gleichartig aufgebaut und verfügen über die zentrierende Mittel-Nut namens Centertrack. Sie unterscheiden sich jedoch im Material: CDX verwendet Polyurethan, CDC und CDN Ethylen-Elastomer als Riemenmaterial. Die vorderen Riemenscheiben bestehen aus gehärtetem Alu (für reguläre Fahrradkurbeln) oder Stahl (Pinion- und Mittelmotor-kompatible Bikes), die hinteren aus Stahl oder Edelstahl. Für E-Bikes gibt Gates das CDX-System auch für stärkste Mittelmotoren bis 90 Newtonmeter frei, die CDC-Variante dagegen nur für Low-Assist-Antriebe mit Drehmomenten bis 50 Nm. CDN ist nicht für E-Bikes freigegeben und auch an Fahrrädern nur für weniger intensiven Einsatz empfohlen.
Preislich lassen sich die Versionen schlecht verorten: Sie werden ausschließlich direkt an Fahrradhersteller verkauft. Nur anhand der Verkaufspreise von Rädern mit Gates-Riemen lässt sich eine preisliche Klassifizierung ableiten. Meist fehlt ein vergleichbares Rad mit Kette anstelle des Riemens zum Direkt-Vergleich. Doch das ist der Punkt: Der Gates-Riemen hat bei Getriebeschaltungen die Kette fast vollständig verdrängt. Ersatzteile wie Riemenscheiben, die Sprockets, und Riemen sind im Webshop von Universal Transmissions, vereinzelt im regulären Online- und natürlich auch im stationären Fachhandel erhältlich.
Der Riemenantrieb funktioniert so lange tadellos, wie die Zähne des Riemens ohne Störungen formschlüssig in die Zwischenräume der Riemenscheiben greifen. Dann überträgt sich die Kraft von der Kurbel mit nur geringem Verlust optimal ans Hinterrad. Das System jedoch deshalb nie zu reinigen und zu pflegen, nur weil das Transmissionsmedium aus Kunststoff statt aus Metall besteht, ist zu kurz gedacht.
Schmutzpartikel schmuggeln sich immer zwischen Gates-Riemen und Scheiben und graben sich durch den Druck während der Kraftübertragung in die Oberflächen der Teile. Da hier jedoch, anders als beim Kettenantrieb, eine relativ weiche Oberfläche (Riemen) auf eine sehr harte (Zahnscheiben) trifft, verliert zuerst der Riemen an Substanz. Dass sich die blaue oder schwarze Innenschicht abreibt, ist noch kein Verschleiß. Sie dient nur bei der Herstellung des Riemen-Rohlings als Trennschicht zur Gussform. Nach den ersten 100 Kilometern hört ihr Abrieb langsam auf. Sind aber einmal Tausende von Kilometern unter schmutzigen Bedingungen zusammengekommen, kann man meist eine deutliche Veränderung am Zahnprofil des Riemens erkennen: Es wird spitzer, schlanker oder unregelmäßig, wo sich die Stege der Riemenscheiben eingegraben haben.
Eventuell tauchen Längsrisse im Riemenkörper auf, einzelne Zähne brechen ab oder aus. Dann ist es Zeit für einen Riemenwechsel. Man sollte sich dann auch die Riemenscheiben genau ansehen: Oft, aber nicht immer, hat die hintere Ritzelscheibe, wo weniger Zähne die Last ertragen müssen als an der größeren vorderen Riemenscheibe, ebenfalls Verschleißerscheinungen. Die Stege zeigen Kante, wo sie, analog zu den Riemenzähnen, der Schmutz-Schmirgelpaste ausgesetzt waren. Je nach Belastung kann man etwa alle zwei bis drei Gates-Riemen-Leben auch mit einem verschlissenen Satz Sprockets rechnen. Bei deutlich kleineren Hinterachs-Ritzeln (Rohloff, Alfine) verschleißen diese entsprechend früher. Der Verschleißgrad hängt jedoch immer stark von den Gegebenheiten ab, etwa, wie viel Kraft auf die Pedale kommt, wie schwer Rad und Fahrer sind, wie oft der Antrieb gereinigt wird, ob meist Asphalt- oder Offroad-Strecken gefahren werden.
Je nach Zähnezahl und Gates-Riemen-Variante kann man, ganz grob, mit Kosten zwischen 100 und 180 Euro (nur der Riemen wird ersetzt) oder 250 bis 350 Euro (Riemen und beide Scheiben sind fällig) rechnen. In jedem Fall muss man Ersatzteile von gleicher Zähnezahl und gleicher oder höherer Qualität nachkaufen. Der Vorteil des Riemens ist, dass er selbst bei maximalem Verschleiß nur auf seiner Innenseite Substanz verliert und so weiterhin zielgenau in die Zwischenräume der Riemenscheiben greift. Gelängte Kettenglieder tun dies nicht. Sie fügen sich nicht mehr deckungsgleich in die Zahnzwischenräume an Ritzel und Kettenblatt, laufen auf und zermahlen die Zähne langsam zu Metallstaub.
Ja, der Gates-Riemen schluckt mehr von der Tretkraft als eine Kette. Die Gelenke einer Kette drehen sich mit weniger Reibung um die Ritzel ein als der steife Riemen. Der wird bei jeder Biegung in die Kurve gezwungen, das Material jedes Mal leicht gequetscht, und dehnt sich dann wieder aus. Diese innere Reibung erzeugt Wärme und ist vergleichbar mit dem Walken eines Reifens beim Abrollen. Zudem läuft ein Riemen ja sicherheitshalber unter einer definierten Vorspannung. Plausible Messungen von Universal Transmissions zeigen einen Wirkungsgrad von ca. 99 Prozent für die Kette und zwischen 98 und 98,5 Prozent für den Riemen, mit relativ geringem Verlust um die ein bis zwei Prozent zur Kette, abhängig vom Lastbereich – wenn Riemen und Kette neu und gepflegt sind.
Sind beide stark (100 %) bzw. sehr stark (200 %) verschlissen, hat der Riemen immer mehr die Nase vorn, die Kette lässt sehr stark nach. Nachvollziehen lässt sich dies im technisch reichhaltigen und daher allen Riemen-Nutzern empfehlenswerten Youtube-Kanal von Universal Transmissions. Daneben existiert eine Vielzahl anderer Messansätze unabhängiger Wissbegieriger mit teils abweichenden, teils später als fehlerhaft erkannten Ergebnissen. Doch es ist schwierig, die unterschiedlichen Ansätze objektiv zu bewerten. Der Wirkungsgrad eines Riemens hängt beispielsweise auch stark vom Grad der Vorspannung ab. Und er fällt je nach Wattzahl der eingebrachten Kraft anders aus.
Zudem bringt ein Fahrradantrieb die Kraft pulsierend und nicht linear wie ein Prüfstandmotor ein. Deshalb scheiden sich am tatsächlichen Wirkungsgrad des Riemenantriebs noch immer die Geister. Der unbestreitbare Kraftverlust schlägt sich in längerer Fahrzeit oder niedrigerer Geschwindigkeit auf gegebener Strecke nieder, bleibt aber immer im Ungefähren. Denn die Tagesform von Radler oder Radlerin, Fahrbahnoberfläche, Steigungs- oder Windverhältnisse, ja sogar, ob ein Nabendynamo im Einsatz ist, erzeugen größere Auswirkungen.
Physikalisch ist es ein Faktum, dass die Wartungsarmut des Riemensystems mit etwas erhöhtem Krafteinsatz bezahlt wird. Doch stimmen alle Beteiligten darin überein, dass die Wirkungsgradverluste eher akademischer Natur und zwar mess- und berechenbar, im Fahrbetrieb aber nicht spürbar sind. Wer sich tiefer in die Argumente wühlen möchte: Engagierte Protagonisten dieser Diskussion sind etwa Georg Schmeisser und Prof. Dr.-Ing. Hubert Hinzen von der Uni Trier, Fachbereich Technik. Es gibt aber noch zahllose weitere Diskutanten. Die Dauer und der technische Tiefgang der Debatte zeigen auch, wie viel am scheinbar so simplen Fahrrad und Radfahren noch unerforscht ist. Und sie zeigen, wie eng der Abstand zwischen Kette und Riemen offenbar ist – schon deshalb hat er seinen Platz in den Annalen der Fahrradtechnik verdient. Selbst anfänglich hartnäckige Riemen-Verweigerer der Branche bieten heute riemenkompatible Rahmen an. In der Praxis hat der stets optimierte Riemen der Kette eindrucksvoll die Zähne gezeigt.