KettenschaltungenIhre Einsatzbereiche, ihre Vorteile

Jochen Donner

 · 31.01.2022

Kettenschaltungen: ihre Einsatzbereiche, ihre VorteileFoto: Daniel Simon
Kettenschaltungen: ihre Einsatzbereiche, ihre Vorteile

Kurbeln mit nur einem Kettenblatt liegen im Trend – vom Tourenrad bis zum Pedelec. Aber sind sie tatsächlich für jedes Fahrrad sinnvoll? MYBIKE klärt auf

Jetzt haben sie den Umwerfer getötet! Entsetzte Kommentare geisterten durch die Fahrrad-Foren im Netz, als 2012 Komponentenhersteller SRAM seine erste 1x11-Gruppe vorstellte: vorne nur mit einem einzelnen, einsamen Kettenblatt, kein Umwerfer, kein Schalthebel links! Bis dahin galten eigentlich immer noch mehr Gänge am Rad als ­erstrebenswert. Und jetzt sollte plötzlich weniger mehr sein?

Konkurrenz der Systeme

Die damalige Aufregung hat sich mittlerweile gelegt: Einfach-Kettenschaltungen sind als ein weiterer Standard im Mahlstrom der technischen Evolution akzeptiert. Mountainbikes sind heute fast ausschließlich mit 1x12-Schaltungen bestückt. Denn auch Mitbewerber Shimano hat seine Mountain­bike-Gruppen zwischenzeitlich vereinfacht. Doch haben die Japaner den Umwerfer nicht ge-opfert: Sie lassen dem Käufer die Wahl. Die jüngste Version der MTB-XT kann mit einem oder zwei Kettenblättern betrieben werden.

  Die Ritzelkassetten variieren je nach Zahl der Kettenblätter erheblich. Ganz links eine universelle XT-Kassette mit 11-34 Zähnen für 3x10-­Schaltungen, darunter eine fein gestufte Rennrad-Kassette, 2x10 mit  12-28 Zähnen. Besonders eindrucksvoll ist die 1x12-Kassette von SRAM (10-52 Zähne, rechts). Elf ihrer Ritzel sind aus einem Block gefräst
Die Ritzelkassetten variieren je nach Zahl der Kettenblätter erheblich. Ganz links eine universelle XT-Kassette mit 11-34 Zähnen für 3x10-­Schaltungen, darunter eine fein gestufte Rennrad-Kassette, 2x10 mit 12-28 Zähnen. Besonders eindrucksvoll ist die 1x12-Kassette von SRAM (10-52 Zähne, rechts). Elf ihrer Ritzel sind aus einem Block gefräst

Auch an Gravelbikes und artverwandten Adventure-, Offroad- oder Pendler-Rädern werden immer öfter Ein- statt Zweifach-Kurbeln gesichtet. Bei Mittelmotor-Pedelecs für Touren und All­tag, erst recht bei E-Mountainbikes, ist die einblättrige Kurbel sowieso zwingend: Nur wenige Motorsysteme lassen Platz für ein zweites Kettenblatt. Sind also Reiseräder und tourentaugliche Allrounder die letzte Bastion des ehrwürdigen Dreifach-Kettenblatts, das einst das völlig neue, revolutionäre Mountainbike überhaupt erst möglich machte?

Stetige Evolution

Zunächst muss man festhalten, dass alle Hersteller alle Kettenschaltungen laufend weiterentwickeln. Stand der Technik bei 3x10-Systemen ist Shimanos XT Trekking. Es folgen, qualitativ nach unten abgestuft, die Gruppen Deore, Alivio, Acera und Altus, von denen die beiden Letzteren auch mit Neun-, Acht- oder Siebenfach-Kassetten einzig passend an ältere Fahrradmodelle montierbar sind. Dreifach-Kettenblätter haben alle.

Die Mountainbike-Linie hat Shimano ­getrennt weiterentwickelt: Die Gruppen XT, SLX und Deore tragen Zwölffach-Kassetten und Ein- oder Zweifach-Kurbeln. Konkurrent SRAM dagegen setzt ausschließlich auf Einfach-Schaltungen am Mountainbike mit zwölf Ritzeln hinten. Auch deren Dimen­sionen haben sich gewaltig entwickelt: Das kleinste Ritzel hat zehn, das größte 52 Zähne – auf einer Kassette, wohlgemerkt!

  Shimanos XT-Schaltung ist ein Klassiker und hat die Entwicklung des Mountainbikes wie des Trekkingbikes erst ermöglicht.
Shimanos XT-Schaltung ist ein Klassiker und hat die Entwicklung des Mountainbikes wie des Trekkingbikes erst ermöglicht.

Dafür waren einige technische Kunstgriffe nötig. Denn die Kassette darf mit einem weiteren Ritzel nicht breiter werden, der Platz am Hinterrad und dessen Achsbreite geben das Maß vor. Zudem passen Ritzel mit nur zehn Zähnen aufgrund ihres geringeren Innendurchmessers nicht mehr auf den Freilaufkörper der Hinterradnabe. Shimano und SRAM mussten deshalb für ihre Zehner-Ritzel neue Freiläufe entwickeln. Am Einfach-Kettenblatt sind die Zahnprofile dreidimensional ausgeformt, damit die Kette gleichermaßen leise wie sicher darüberläuft. Die Schaltwerke beider Hersteller arbeiten mit verstärkten Spannmechanismen dagegen, dass die Kette auf holperiger Strecke abspringt. Vergrößerte Leitrollen an den Schaltwerken bändigen die Kettenlänge, ohne dass der Schaltwerkskäfig verlängert werden muss. Die schmalen Ketten sind mit verstärk­tem Material, speziell geformten ­Laschen und Pins sowie teils vergrößerten Rollendurchmessern und Hightech-Be­­schich­tungen fit gemacht, damit sie trotz starkem Schräglauf reibungsarm und haltbar um Kettenblatt und Ritzel kreisen.

  Jede Kettenschaltung funktioniert mit einem Einfach-Blatt – es kommt nur darauf an, was man daraus macht! Acht-, ­ Neun- oder Zehnfach-Kassetten sind mit nur einem Kettenblatt unergiebig in hügeligem oder bergigem Gelände. Selbst für Elffach und Zwölffach gilt: Entweder fehlen Klettergänge bergauf oder große Übersetzungen bergab und in der Ebene zum schnellen Fahren.
Jede Kettenschaltung funktioniert mit einem Einfach-Blatt – es kommt nur darauf an, was man daraus macht! Acht-, ­ Neun- oder Zehnfach-Kassetten sind mit nur einem Kettenblatt unergiebig in hügeligem oder bergigem Gelände. Selbst für Elffach und Zwölffach gilt: Entweder fehlen Klettergänge bergauf oder große Übersetzungen bergab und in der Ebene zum schnellen Fahren.

Gegenüber einer Dreifach-Schaltung spart die Einfache je nach Ausführung wenige Hundert Gramm Gewicht. Der gewichtigere Vorteil ist ihre einfachere Bedienung: Eine Hand triggert an einem Schalthebel alle Gänge nacheinander durch. Doch trotz technischer Weiterentwicklung bleibt das Manko, dass selbst eine High-End-Einfach-Schaltung noch lange nicht an die Übersetzungsbandbreite gut abgestimmter Mehrfach-Schaltungen herankommt. Wo sie das im Vergleich zu manchem Zweifach-System annähernd schafft, fehlen für den universellen Einsatz dennoch entweder große Gänge zum Schnellfahren oder kleinere für die Berge. Zudem sind die Drehzahlsprünge beim Treten von Gang zu Gang bei den kleinsten Gängen größer als bei Mehrblatt-Systemen mit weniger breit abgestuften Kassetten.

Wer braucht was?

Wer vorzugsweise auf Straßen und Wegen unterwegs ist und sportlich nicht das Letzte aus sich herausholen will, kann mit einer Einfach-Schaltung schon zurechtkommen. Man muss halt akzeptieren, dass fehlende Übersetzungen die Performance einschränken. Im Gelände und bei relativ geringen, aber dynamisch wechselnden Geschwindigkeiten und vielen Richtungswechseln kann die Einfache ebenfalls punkten. Hier wirkt sich das intuitive Schalten mit einem Hebel deutlich positiv aus. Auf Strecken in hügeliger oder gar alpiner Landschaft ist der Verzicht auf ein zweites Kettenblatt für ein breit gestuftes Getriebe mit Nachteilen verbunden; für Touren mit Gepäck in bergigem Terrain ist die Dreifach-Kurbel unverzichtbar.

  Zweifach-Kurbeln sind traditionell am Rennrad zu Hause. Die beiden Kettenblätter (konservativ 53/39 Zähne, moderner: 50/34 Zähne) erweitern eine in der Regel eng abgestufte Ritzelkassette. So überwindet man effizient auch weite Strecken. Stehen Berge im Weg, greift man zu größeren Ritzeln hinten und kleineren Kettenblättern vorne.Foto: Daniel Simon
Zweifach-Kurbeln sind traditionell am Rennrad zu Hause. Die beiden Kettenblätter (konservativ 53/39 Zähne, moderner: 50/34 Zähne) erweitern eine in der Regel eng abgestufte Ritzelkassette. So überwindet man effizient auch weite Strecken. Stehen Berge im Weg, greift man zu größeren Ritzeln hinten und kleineren Kettenblättern vorne.

Gerade auf langer Strecke, wenn die Kräfte nachlassen, ist man froh um das kleinste Kettenblatt als „Rettungsring“. Rennradschaltungen wie Shimanos Ultegra, 105 oder SRAMs Force finden an Randonneur-Rädern für sportliches Reisen oder Pendeln ihren Platz. Auch hier ermöglichen zwei Kettenblätter eine Vielfalt und Bandbreite von Übersetzungen, die anspruchsvolle Strecken erst fahrbar machen. Das Gleiche gilt für Shimanos Gravel-­Komponenten der GRX-Gruppe sowie die Zwölffach-Gruppen XT, SLX und Deore fürs Mountainbike. Dass viele Trekkingradler das Potenzial ihrer Dreifach-Schaltung nicht nutzen und die Kette häufig nur auf einem der drei Kettenblätter belassen, soll kein Argument gegen 3x10 sein. Viele E-Bike-Pedaleure haben die üppigen Akkus ihres Bikes auch noch nie leer gefahren – aber es vermittelt einfach ein Gefühl von Sicherheit und Unabhängigkeit, dass man es könnte. Das gilt auch für die Reserven des Dreifach-Kettenblatts!

Fazit:
Die drei Schaltsysteme stehen für verschiedene Einsatzbereiche. Technisch sind sie einander ebenbürtig. Den Unterschied macht allein ihre Gängevielfalt und -abstufung

Den ausführlichen Artikel zum Systemvergleich der Kettenschaltungen können Sie kostenpflichtig als PDF herunterladen.

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