Jörg Spaniol
· 23.01.2023
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Passt nicht? Dass der Reifen partout nicht auf die Felge will, kommt gefühlt immer öfter vor. Was tun? Tipps und Tricks für die Reifenmontage.
An einem der letzten warmen Freitagabende der Saison saß meine Nachbarin Annette fluchend im Hof, vor sich das demontierte Vorderrad ihres Gravelbikes, drumherum Reifenheber und Luftpumpe. Nun ist Annette eine, die sich eigentlich mit Fahrrädern auskennt. Dass sie trotzdem fragte, ob ich nicht mal versuchen wolle, den extra für einen langen Wochenend-Trip bestellten Neureifen auf die Felge zu zwingen, war schon eher ungewöhnlich. Mein Scheitern war es auch: Bislang war ich ein bisschen stolz darauf, praktisch jeden Reifen ohne Werkzeug montieren zu können. Keine Chance! Selbst mit Reifenhebern ging das Biest nicht drauf, bis zum oberen Felgenrand fehlte locker ein Zentimeter. Wir einigten uns zur beidseitigen Ehrenrettung auf einen Produktionsfehler, sie zog den abgefahrenen Schlappen wieder auf und retournierte den Neureifen.
Ein paar Wochen später schickte ein genervter MYBIKE-Leser eine Mail: Nach einer Reifenpanne auf seiner Radreise musste er das defekte Rad 25 Kilometer weit in eine Werkstatt fahren. Reifen flicken mit Bordmitteln, so wie früher? Ging nicht, der Reifen saß zu stramm. Ob wir da nicht mal drüber schreiben wollten? Und dann hat es mich schließlich selbst erwischt. Für eine Radreise mit Offroad-Anteil sollte ein gebrauchter Gravelreifen anstelle der glatten Straßenreifen aufs Tourenrad. Er weigerte sich standhaft. Also: Was tun? Was raten die Experten in Netz und Echtwelt, um zu stramme Reifen zu montieren?
Am Reifen selbst ist offenbar wenig zu tun. Natürlich muss die Größe passen, und zwar diejenige, die in der ETRTO-Angabe steht. Die „European Tyre and Rim Technical Organisation“ legt den Durchmesser genau fest. Wenn auf dem Reifen beispielsweise „40-622“ steht, sollte der Reifen auf eine Felge passen, die an der Stelle, wo der Reifenwulst beim aufgepumpten Reifen sitzt, einen Durchmesser von 622 Millimeter hat. Das ETRTO-Maß ist viel eindeutiger als die früher üblichen Angaben in Zoll. Ist ein neuer Reifen trotz eigentlich korrekter Maße zu stramm, kann man ihn auf eine andere Felge montieren und über Nacht mit dem maximal zulässigen Druck aufgepumpt stehen lassen. Manchmal dehnt sich ein neuer Reifen dabei und lässt sich dann leichter auf das gewünschte Rad montieren. Viel mehr ist am Reifen nicht zu machen. Vor allem hochwertige Reifen, die auch für die Tubeless-Montage geeignet sind, müssen eng sitzen, um dicht zu halten.
Ein Tipp zum Reifen hat sich doch noch aufgetan. Online-Redakteurin Sandra Schuberth kam mit Hilfe der warmen Sommersonne zum Erfolg.
Sandra Schuberth: “Vor einiger Zeit hatte ich mal so ein Ungetüm von Reifen, bei dem kein Trick helfen wollte. Schließlich habe ich sie auf dem Balkon in die pralle Sommersonne gestellt, in der Hoffnung, dass diese den Reifen etwas geschmeidiger macht. Ordentlich aufgeheizt klappte dann die Montage - noch nicht gut aber besser als vorher.”
An der Felge gibt es möglicherweise mehr Möglichkeiten. Ein supersimpler Trick aus dem Internet ist es, das dünnstmögliche Felgenband zu verwenden. Ich habe nachgemessen: Das zum Kreis geschlossene, hellblaue Kunststoffband in meinem Tourenrad ist 0,5 Millimeter dick, das selbstklebende Tubeless-Band für mein Rennrad nur 0,1 Millimeter. Der Durchmesser multipliziert mit der Zahl Pi ergibt den Umfang eines Kreises. Ergebnis der Rechnung: Der Umfang verringert sich mit dünnem Felgenband um knapp 2,6 Millimeter. Das bringt wohl meistens wenig, doch es soll auch einen Millimeter dicke Felgenbänder geben. Dann würde der Tausch schon relevanter.
Der zweite Check gilt dem Felgenbett: Ist es eine Tubeless-Felge? Die erkennt man unter anderem daran, dass sie im Felgenbett eine tiefe umlaufende Rinne hat, aber weiter außen, wo der Reifenwulst sitzt, ganz eben ist. Eine Norm für diese Art Felgen legt fest, dass die Rinne zwischen 2,6 und 3 Millimeter tief sein muss. Wenn diese Rinne (das sogenannte Tiefbett) vorhanden ist, verschafft sie erheblich mehr Spielraum als ein dünneres Felgenband. Auch bei fast allen anderen Felgen ist das Felgenbett einwärts gewölbt. Das ist für die Reifenmontage entscheidend. Es gilt also immer, den größtmöglichen Teil des Reifenwulstes in die Felgenmitte zu schieben, wo der Durchmesser am geringsten ist, um den Reifen schließlich an einer anderen Stelle über das Felgenhorn wuchten zu können.
Der Tipp, den Reifen dabei erst zuletzt in der Nähe des Ventils über die Felge zu hebeln, hat mir eigentlich nie eingeleuchtet. Wer das so macht, muss nämlich abschließend das Ventil nach innen drücken, damit der Reifen keine Beule nach außen hat. Doch bei knapp sitzenden Reifen hat die Variante „Ventil zuletzt“ definitiv einen Vorteil: Der Reifenwulst lässt sich auf fast dem gesamten Reifenumfang in die Felgenmitte schieben, also zum tiefsten Punkt des Felgenbetts. Damit der Wulst während der Reifenmontage dort bleibt, hilft notfalls die Fingerkraft eines netten Menschen oder ein Riemen respektive Kabelbinder.
Der kann auch helfen, den bereits montierten Teil des Reifens zu fixieren, während man an anderer Stelle weiterwerkelt. Auf den letzten Zentimetern ist die Reibung zwischen Reifen und Felgenhorn besonders hoch. Hier kommt notfalls ein Montagefluid zum Einsatz, eine Art optimierte Seifenlauge. Im Prinzip tut es auch Spülwasser. Nach dem Einschmieren kommt man allerdings nur noch mit Reifenhebern weiter, denn für die Reifenmontage per Hand wird die Angelegenheit zu glitschig.
Zurück zu meinem Fall: Mit einer Kombination aus diversen Tricks und drei Reifenhebern ist es mir schließlich gelungen, den Gravelreifen auf die Tourenrad-Felge zu zwingen. Aber vielleicht hätte ich den montierten Schlauch vorher checken sollen. Der hatte nämlich ein kleines Loch, das nach täglichem Aufpumpen schreit – und die Demontage eines zu knappen Reifens ist noch schwieriger als die Reifenmontage …
Ich habe das Problem schließlich umschifft und den Schlauch mit Tubeless-Milch befüllt. Jetzt ist er erst einmal dicht und sollte tunlichst die Luft halten, solange Profil auf dem Reifen ist. Danach werde ich den Reifenwulst mit einer scharfen Zange durchknipsen und die unselige Kombination in die Tonne werfen.
Tubeless-Reifen sind eigentlich ein alter Hut: Praktisch jedes Auto fährt ohne Schlauch. Der Luftdruck presst den Reifen gegen die Felge und dichtet so das System ab. Auch beim High-End-Mountainbike und vielen Gravelbikes ist die Technik seit Jahren verbreitet. Doch aus physikalischen Gründen und wegen der empfindlicheren Reifen kommt bei Fahrrädern zusätzlich Dichtmilch zum Einsatz. Sie dichtet den Übergang zwischen Reifen und Felge und verschließt kleinere Durchstiche von selbst. Bei diesen Sporträdern hat Tubeless oft Vorteile: Tubeless-Reifen lassen sich mit weniger Druck fahren, ohne einen Durchschlag zu riskieren, der den Schlauch beschädigen würde. Und weniger Druck bedeutet mehr Grip und mehr Komfort.
Stefan Franken, Produktmanager Tourenreifen, SCHWALBE: „Auch an Tourenrädern nutzen manche Hersteller die eigentlich vorteilhaften, breiten Tubeless-Felgen vom Mountainbike. Das ist kein Problem, wenn alle Maße stimmen. Wenn sich bei so einem ausgereizten System die unvermeidlichen Toleranzen bei Felgen und Reifen aber zufällig addieren, kann es bei der Montage etwas schwieriger werden.“
Doch was bringt Tubeless für Tourenradler, die mit normalem Luftdruck auf halbwegs gepflegten Radstrecken reisen? Für die Technik spricht die erhöhte Pannensicherheit gegen kleine Schnitte und Durchstiche – doch die sind bei entsprechenden Reifen ohnehin selten. Auch die Gewichtsersparnis ohne Schlauch ist nicht überwältigend: Ein mittelschwerer Schlauch für durchschnittlich breite Reifen wiegt etwa 120 Gramm, die Dichtmilch* etwa 60 bis 90 Gramm pro Reifen. Ein Argument, das vor allem bei Rennradlern zieht, ist der verringerte Rollwiderstand. Weil sich ein Schlauchlosreifen beim Abrollen leichter verformt als die Kombination aus Reifen und Schlauch, lassen sich offenbar ein paar Watt sparen: Einige Profiteams bei der Tour de France waren schlauchlos unterwegs.
Am Gebrauchsrad sprechen praktische Gründe dagegen eher gegen Tubeless. Das beginnt bei der Reifenmontage: Tubeless-Reifen müssen schlagartig mit viel Luft befüllt werden, um dicht abzuschließen. Das erfordert einen Kompressor oder eine spezielle Pumpe mit Druckbehälter. Das Einfüllen der klebrigen Dichtmilch und die Demontage eines so betankten Reifens können in eine ziemliche Sauerei ausarten. Zudem muss die Dichtmilch alle paar Monate nachgefüllt werden, um bei Pannen zuverlässig abzudichten (ohne Pannen hält auch eingetrocknete Milch dicht). Nicht zuletzt erfordert ein Tubeless-Reifen auch häufigeres Nachpumpen als ein guter Butylschlauch, das Ventil verklebt zudem leicht.
Unser Fazit: An Sorglos-Rädern ist es derzeit nicht die richtige Technik. Nur für besonders dornige Reisereviere oder optimierte Sporträder ist Tubeless ein Fortschritt.